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Prinzessin Weißröckchen (1)

Von tastifix Dienstag 23.03.2021, 14:11

Prinzessin Weißröckchen wohnte mit ihren Eltern, der Königin Sauberfein und dem König Blitzesrein in dem schönen Land Güldenschein. Dort gab es nirgendwo Schmutz. Darauf zu achten, dass es auch so blieb, war die wichtigste Aufgabe aller Bürger. In den Häusern brummten die Staubsauger von früh bis spät. Der reichste Mann war der Staubtuchweber Wischundweg. Stolz erwähnte er die Millionen Tücher, die er bis bislang gewebt und noch stolzer die Millionen, die er damit verdient hatte. Das Putzen mit den Wundertüchern war nämlich zur Lieblingsbeschäftigung der Hausfrauen geworden. So blieben die Kleider der Leute porentief rein. Die Waschmaschinen gähnten vor Langeweile, denn nur noch selten im Jahre durften sie fleißig sein.

Sogar die Straßen blitzten vor ritzentiefer Sauberkeit. Kehrwagen mit riesigen Lupen an den Kotflügeln kontrollierten, ob sich irgendwo ein Dreckkrümel versteckt, fegten jene Störenfriede auf ihr mächtiges Kehrblech und machten ihm so den Garaus. An heißen Sommertagen feierten die Familien Straßenfeste. Derweil die Väter das Fleisch brieten, das dann zwar ein wenig asphaltig, aber wenigstens nicht nach der ollen Holzkohle schmeckte, beredeten die Mütter den neuesten Klatsch aus der königlichen Tratschpresse. Die älteren Kinder tobten ungestüm herum und die Jüngsten krabbelten lustig vor sich hin brabbelnd übers Pflaster. Die Bewohner Güldenscheins waren wirklich um ihr blitzreines und sauberfeines Reich zu beneiden, denn es überglänzte alle vor Schmutz starrenden Nachbarländer.

Eines Tages aber verbrachte Prinzessin Weißröckchen den Nachmittag im Schloss ohne sie. König Blitzesrein und Königin Sauberfein mussten zur Abwechslung mal regieren. Weißröckchens Mutter gefiel dies sehr, denn nur als Vorbild für die Frauen des Landes daheim Staubwedelmajorin zu spielen, war ihr viel zu blöd. Im Parlament dagegen schwang sie stundenlange Reden und niemand wagte es, sie zu unterbrechen. Weißröckchens Vater war froh, dass seine Frau jene lästige Aufgabe übernahm. So hütete er sich, zu ihren Ansprachen noch seinen Senf dazuzugeben und grübelte lieber über das neueste Fußballergebnis nach. Auch dies zählte zu den zwingenden Aufgaben eines Königs, meinte er.

Die kleine Prinzessin langweilte sich. Die Diener waren schon längst verschwunden und bereiteten sich daheim bei Bier, Salzstangen und Goldfischli auf das mindestens dreistündige angestrengt-und-unbeiirt-Zuhören vor und auch ihr Kindermädchen hatte keine Zeit für sie. Unzufrieden streifte Weißröckchen durch die Säle. Überall strahlte ihr gelbgoldene Sauberkeit und strenge Ordnung entgegen.
„Im Museum ist mehr los! Was mach` ich denn jetzt mal?`
Leider hatte sie so gar keine Idee. Geknickt verzog sie sich ins Kinderzimmer. Die schönen Spielsachen beachtete sie nicht. Selbst Puppe Babsie und Teddy Plumchen heiterten sie nicht auf. Ihre Bilderbücher konnte sie noch nicht lesen, denn die Prinzessin war erst fünf Jahre alt. Und die Telefonnummer ihrer Freundin aus dem Kindergarten wusste sie auch nicht.

Doch plötzlich guckte sie wieder fröhlicher. Ihr war der königliche Flimmerkasten eingefallen. Zwar hatten ihr die Eltern das Fernsehen wegen der vielen grausamen Filme verboten, aber:
„Sind ja weg!“
Im Arbeitszimmer machte sie es sich im Ohrensessel ihres Vaters gemütlich und zappte durch die Programme. Politik interessierte sie nicht und die Reiseberichte waren ihr zu wenig aufregend. Im 29. Programm aber stutzte sie. Fröhliche Kinder tollten durch Schlammpfützen, bewarfen sich lachend mit Lehm und schmierten sich mit dem Dreck von oben bis unten ein. Überhaupt ähnelten sie eher den Gruselgestalten aus Weißröckchens
Gespensterbilderbuch.
´ Die haben dollen Spaß!!`, murmelte sie neidisch.
Aber dann kam ihr eine recht pfiffige Idee. Fix schaltete sie das Fernsehen aus, verließ das Arbeitszimmer und hüpfte vergnügt nach draußen in den Schlosspark bis hin zu den schönen Blumenbeeten. Die hatte die Königin sogar selber angelegt. Weißröckchen übersprang den Minizaun davor und landete in der schwarzbraunen Blumenerde. Die weißen Sandaletten sahen kurz darauf aus wie die Schuhe der Bauarbeiter auf der Baustelle gegenüber des Schlosses. Sie wühlte mit den Händen in der feuchten Erde, schmückte das langweilig weiße Kleid mit dunkelbraun-nassen Streifen und schmierte sich von Kopf bis Fuß mit Lehm ein. Danach flitzte sie, ohne sich die Schuhe auf der Matte abzutreten, zurück ins Haus und hinein in den prächtigen Ballsaal und tanzte dort ein paar Runden. Bald war der Boden von schwarzbraunen Tapsen übersät.
„Sieht lustig aus!“
Die weiße Tapete sollte genauso lustig aussehen. Begeistert patschte sie mit den verkrusteten Händen darauf herum. Der Prachtsaal wurde zur Lehmkuhle.
„So schön wie jetzt war es hier noch nie!“, lobte sich Dreckspatz Weißröckchen.

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