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„Peng – Peng“

Von Feierabend-Mitglied Dienstag 29.09.2020, 12:55

„Peng – Peng“
Gestern habe ich mit meiner Schwester telefoniert. Sie wohnt immer noch in dem Dorf, aus dem ich stamme. Wir redeten über dies und das, was gibt’s neues, nichts, alles prima. Doch am Schluß sagte sie, ach ja, noch was, Freitag ist der „Peng – Peng“ beerdigt worden. Er ist letzten Dienstag verstorben.
Jeder im Dorf kannte ihn, jeder nannte ihn nur „Peng – Peng“. Ein harmloser, geistig zurückgebliebener Junge. Ich sage Junge, aber er war in meinem Alter. Solange ich zurückdenken kann, stand er fast täglich in der Ortsmitte an der großen Kreuzung und „regelte“ mit großen Gesten den Verkehr. Autofahrer, die er erkannte, wurden mit salutieren wie ein Soldat gegrüßt. Die rechte Hand an eine nicht vorhandene imaginäre Mütze gelegt, die linke Hand an die Hosennaht, so wie er es immer bei den französischen Soldaten am Tor der Garnison gesehen hatte. Die allermeisten Autofahrer lächelten ihm zu und grüßten zurück.
Wenn aber jemand nicht grüßte, riß er sein nicht vorhandenes Gewehr hoch, zielte und erschoß den Autofahrer mit lauten „Peng – Peng“ Rufen. So kam er zu seinem Namen. Seinen richtigen Rufnamen weiß ich gar nicht mehr. Den wußten wohl die meisten Leute im Dorf nicht mehr. Er war über all die vielen Jahre nur der „Peng – Peng“. Richtig sprechen konnte er nicht. Er brabbelte immerzu unverständlich vor sich hin. Einige Schimpfworte konnte er, die ihm die Dorfburschen beigebracht hatten. Die rief er Sonntags auf dem Sportplatz unter allgemeinem Gelächter den gegnerischen Spielern zu.
Vor vielen Jahren, als meine Mama noch lebte, machte ich ein paar abfällige Bemerkungen über „diesen Idioten“, der da an der Kreuzung herumhampelt und sich lächerlich macht. Meine Mama nahm mich später allein zur Seite. Du hast mit dem Jungen einmal fast acht Wochen ein Zimmer im Krankenhaus in Merzig geteilt. Als du zwei Jahre alt warst, bekamst du und noch zwei Kinder aus dem Dorf Hirnhautentzündung. Ein Kind, ein Mädchen, ist verstorben. Das andere Kind war der „Peng – Peng“. Der dritte warst du. Die Oberschwester der Station hat zu deinem Papa gesagt, nehmen sie den armen Wurm doch mit nach Hause, wenn er stirbt, dann haben wenigstens sie die Überführungskosten gespart. Dein Papa hat eine Kuh verkauft und für das Geld im Militärhospital der französischen Garnison zehn Ampullen Penicillin gekauft. Die hat er einzeln ins Krankenhaus gebracht und ist dabeigeblieben, bis du die Spritze erhalten hast. So bist du wieder gesund geworden. Der arme „Peng – Peng“ hatte das Glück nicht. Ihn hat die Krankheit für sein ganzes Leben gezeichnet.
Letzte Woche also ist er verstorben. Niemand mehr wird im Dorf den Verkehr regeln. Ruhe sanft, hab ich gedacht und meine Schwester hat mich daran erinnert, daß er Jürgen hieß. Jürgen, den alle nur „Peng – Peng“ nannten.

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