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Mutter's Geburtstag 1959

Von Feierabend-Mitglied Samstag 08.08.2020, 08:02 – geändert Samstag 08.08.2020, 08:03


Unsere Mutter hatte bald Geburtstag, der Erste, den sie nach der Scheidung mit uns 5 Kindern in einer neuen Wohnung feiern wollte. Wir lebten von der spärlichen Sozialhilfe, denn sie hatte im Geschäft meines Vaters mitgearbeitet, sie bekam keinen Unterhalt, weder für sich, noch für uns Kinder. Wir gingen zur Schule, oder waren im Studium und unsere Mutter war zu krank, um arbeiten zu gehen.

So wurde überlegt, wie wir ihr einen besonders schönen Tag bereiten konnten. Nach langen Diskussionen wurde ein Plan gemacht. Die Jüngste (10) wollte für sie Topflappen häkeln, das hatte sie in der Schule gerade gelernt. Mein Bruder (12) gestaltete ein einfaches Fotoalbum mit Bildern aus unserer Kindheit, mein Bruder (17) baute ihr eine Fußbank für ihre schmerzenden Gichtfüße. Der Älteste (1 komponierte ein Geburtstagslied, das wir mit einem auf sie bezogenem Text mehrstimmig singen wollten. Nun war nur ich noch an der Reihe (15), wir brauchten noch Geld für einen Kuchen, Blumen, Kerzen und ein gutes Essen.

Woher nehmen? Ich sprach mit meiner besten Freundin, die ein herrlich komisches Talent und eine schöne Stimme hatte, ich konnte Gitarre spielen und wir entschieden uns für etwas Ungewohntes. Wir wollten uns verkleiden mit alten Sachen unserer Mütter, uns schminken und auf den Berliner Hinterhöfen zweistimmig singen. Im Treppenhaus zogen wir uns um, setzten alte Hüte auf, malten uns an und konnten vor lauter Lachen kaum anfangen. Meine Freundin hatte das Waschbrett ihrer Mutter mitgebracht, auf dem sie mich wunderbar kreativ zur Gitarre begleitete. Wir sangen die alten deutschen Volkslieder, dann die bekannten "Lieder aus der Küche zu singen" und hatten einen riesigen Erfolg. An den Fenstern hingen Frauen, die laut mitsangen und uns Geldstücke runterwarfen und viele Kinder versammelten sich um uns. Wir hatten den Bewohnern und uns selbst viel Freude gemacht und beschlossen, es mehrere Tage zu wiederholen, immer auf anderen Höfen.

Glücklich zählten wir unser Geld, es waren 35.-DM und wir kauften uns zur Belohnung ein großes Eis. Nun ging es an die Vorbereitung und unsere Wangen glühten vor Freude. Es reichte für alles, was wir vorhatten und sogar Geld für eine neue Tischdecke war da, für Bohnenkaffee und einer Flasche Sekt.

Mutter musste im Schlafzimmer bleiben, bis wir alles vorbereitet hatten. Auf dem Tisch stand der selbstgebackene Kuchen, er sah etwas verunglückt aus, Kerzen wurden entzündet und der Platz unserer Mutter war mit einer schönen Girlande geschmückt. Wir stimmten ein Geburtstagslied an und Mutter kam, auf ihren Stock gestützt ins Zimmer. Sie war stumm und weinte vor Glück, dann bat sie darum, noch ein bisschen weiterzusingen und sie stimmte mit ihrem glockenreinen Sopran mit ein. Auch uns Kindern liefen vor Freude die Tränen.

Es war ein wunderbar berührender Geburtstag, noch nie hatte ich meine Mutter so glücklich gesehen. Dieses Bild hat sich tief in mir eingebrannt und unsere Mutter hat lange davon gezehrt.

© Brigitte Böck

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