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Mein zweites Kind 1968

Von Feierabend-Mitglied 02.08.2020, 08:51



Nachdem mein erstes Kind problemlos auf die Welt kam war beim Zweiten von Anfang an alles anders. Ich freute mich, es ging mir jedoch während der ganzen Schwangerschaft elend. Die Geburt dauerte 48 Std., so dass man mir schließlich Lachgas zur Betäubung gab. Bevor ich im Nebel meine Gehirns und der Schmerzen verschwand hörte ich noch den Satz: Die Herztöne haben ausgesetzt, wir kriegen es nicht mehr lebend. Als ich zu mir kam hatte ich nur diesen Satz in mir und war voller Trauer.

Ich bat darum, mir das Baby in den Arm zu legen, man lehnte das ab mit der Begründung, das Kind braucht Ruhe. Ich war sicher, man wollte mich schonen, als ich jedoch am dritten Tag das kleine Mädchen noch immer nicht bekam setzte ich mich im Flur auf den Boden, verweigerte die Nahrung und war nicht bereit, aufzugeben.

Schließlich brachte man die kleine Sabine, legte sie auf mein Bett und zeigte sie mir. Sie war 3 Wochen übertragen, die Haut war vom Fruchtwasser ganz entzündet, die Füßchen ware so nach innen gedreht, dass sie auf den Knöcheln hätte laufen müssen. Sie war sehr klein, hatte feuerrotes Haar und schielte. Ein Bild des Jammers, aber sie lebte und ich liebte sie vom ersten Moment. Nach einer Woche kamen wir nach Hause mit einer genauen Anweisung, wie ich fünf Mal täglich die kleinen Füße massieren sollte. 3 Wochen später bekam ich einen Brief der Klinik, man hätte bei einem Test festgestellt, dass das Kind eine Phenylketonorie hat, das würde zur schwersten geistigen Behinderung führen, da alles an Eiweiß ausgeschieden wird, was als Nahrung für das Gehirn wichtig ist. Ich müsste sie einweisen lassen und brachte sie am nächsten Tag weinend in die Klinik.

Sabine blieb fast ein Jahr in Krankenhaus, nach 5 Monaten stellte man eine doppelte Hüftluxation fest und sie kam ins Gipsbett. Damals sah man das Kind nur durch eine Glasscheibe. Ich war fast täglich da und weinte jedesmal und mir blutete das Herz. Es gelang mir schließlich durch Sturheit zu erreichen, dass mir Untersuchungstermine mitgeteilt wurden, bei denen ich Sabine halten durfte, das war mein einziger körperlicher Kontakt mit ihr.

Es war eine schwere Zeit, nach 9 Monaten teilte man mir mit, der Eiweißspiegel geht zurück, weil die Nieren bei der Geburt entwickelt waren, wie bei einem 3 monatigen Embryo. Nach ca einem Jahr holte ich meine Tochter nach Hause mit einer angepassten Spreizhose. Sie blieb in ihrer Entwicklung stark zurück, fixierte nichts, sprach auch mit knapp 3 Jahren kein Wort und konnte nicht laufen. Sie wirkte geistig behindert, mein Bauchgefühl sagte etwas anderes. Erst als die Spreizhose nicht mehr nötig war lernte sie laufen, begann gleich, ganze kleine Sätze zu sprechen und holte mit enormer Geschwindigkeit und Lebenskraft alles auf. Sie wurde mit 6 Jahren normal eingeschult, hat Abitur gemacht, studiert und ist musikalisch hochbegabt.

Heute ist Sabine eine 52 jährige Frau, spielt in Orchestern, wir haben einen ganz liebevollen Kontakt. Ich bin sehr dankbar für diese Tochter.


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