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Ein Brieflein ...

Von tastifix Donnerstag 25.02.2021, 20:02 – geändert Donnerstag 25.02.2021, 22:53

Es war einmal ein 24-jähriges Mädchen. An diesem Vortag eines für ihn wichtigen Ereignisses schlich es ausgesprochen bedrückt einher ...

Sorgsam prüfte Gott ein letztes Mal vor dem Schlafengehen das Treiben auf der Erde, als ihm dieses traurige Menschenkind auffiel, das sich wirklich besser optimistischen Gedanken hätte widmen sollen.
Dringlich ernannte er dessen Schutzengel zum Schutzengelbriefträger.
„Flieg sofort zur Klein-Kleckersdorfer-Str.44 in Pusemuckel. Dort wartet ein Eilauftrag auf Dich. Los, aber fix!"
„Okay, Chef!“
Irre stolz, setzte der Engel eine wichtige Miene auf und bewies dann, was eine solche Beförderung auslöst. Mit rasanten 300 km/h düste er dahin. Dabei ignorierte er die Himmelsstraßenverkehrsordnung total. Zum Glück war nur er allein unterwegs. Deshalb ereignete sich auch keine der gefürchteten Himmelskarambolagen. Immer wieder blickte der Engel prüfend zur Sonne, die ihn, wie gemein aber auch, aus Jux anhaltend blendete und dies gar so ganz kurz vor ihrem eigenen Untergang. Ihr Arbeitstag war wohl nicht übermäßig anstrengend gewesen, dass sie in diesen Minuten, für ihn denkbar ungünstig, noch die nötige Kraft dafür mobilisieren konnte.
„Verflixt!“
Den Rest verkniff er sich. Engel kennen keine unflätigen Ausdrücke, es sei denn, sie verlieren während der Mauser einige wesentliche Anteile ihrer Erkennungsmerkmale. Dann holen sie an Flüchen eifrig nach, was sie sonst runter zu schlucken haben.

Endlich landete er in Pusemuckel. Überirdisch klug spürte er in der Klein-Kleckersdorfer-Str.44 sofort das wartende weibliche Wesen auf. Kälteschlotternd stand es in der eisigen Nacht und streckte ihm, ihn flehend ansehend, mit rot gefrorenen Fingern einen Umschlag hin:
„Bitte beile Dich! Sonst ists zu spät!“
Engel sind auch Männer (s. der Engel) und der seelenvolle Blick rührte ihn zutiefst. Er nahm den Brief, hörte noch das gehauchte ´Danke!` und erhob sich in die Luft. Neugierig schielte er auf den Umschlag.
´Wichtige Nachricht? Hmmm ... So, wie des ausschaut, wär es aber nichts für Reich Ranitzki! Der liebt es kurz und würzig!`
Fix konzentrierte er sich erneut auf seinen Auftrag, raste wie ein Düsenjäger dahin und wirbelte ein paar Sterne durcheinander. Die wurden sauer. Sie waren an Ordnung gewöhnt und bestanden auf ihre traditionelle Umlaufbahn.
„Eine Unverschämtheit! Strafe muss sein!“
Einer beherrschte aus Wut seine Glut nicht länger, zielte mit kochenden Strahlen auf des Engels Federkleid und erwischte treffsicher die linke Flügelspitze. Darob sehr zufrieden und wieder besänftigt, grübelte er:
´Und sowas hat mein Chef gestattet? Ob der vielleicht gar überarbeitet ist?`
„Aua!“, brüllte der Briefträger, besorgt die angesengte Feder beäugend. Zum Glück wars nicht die Prestigefeder, sondern nur die zweite daneben. Trotz des gelungenen Denkzettels kümmerte sich der Engel nicht länger um die sich weiter entrüstende leuchtende Schar. Die Zeit drängte. Leider ließ die Monduhr, extrem unhöflich, die Zeiger ohne Rücksicht auf ihn munter weiterlaufen, anstatt sie mal kurz für zehn Minuten anzuhalten.
„Hoffentlich komme ich noch rechtzeitig!“
Bei Unpünktlichkeit würde er die Beförderung garantiert wieder los. Gott war ein strenger Arbeitgeber!

Bereits drei Stunden saß das 24jährige Mädchen am Schreibtisch und blickte nun ausgesprochen genervt auf die vor ihm liegenden Hefter. Deren Inhalt war so wenig fesselnd, dass die Studentin am liebsten den Kopf auf die ordentlich ausgerichteten Blätter hätte fallen lassen und eingeschlafen wäre.
´Durchhaalten! Morgen ists soweit! - Das schaffe ich nie! So ein Mist!!"
Derweil versuchte ihr Gehirn empört, seine Auftraggeberin zu durchschauen.
´Sie will doch nicht etwa die Denkarbeit noch fortsetzen!!??`
Am liebsten hätte es vor Unmut seine Windungen noch stärker gekräuselt als ohnehin. Aber dies war ihm verwehrt. Darum wandte es sich um Hilfe an den Himmel:
„Bitte, lass sie endlich aufhören. Wir rauchen schon!!“
Dessen Meinung nach hatten sie für heute ihre Pflicht mehr als gewissenhaft erfüllt:
„Geduld, sie will nur noch überprüfen, ob ihr alles gespeichert habt!“

Genau dazu hatte sich die junge Frau mit letzter Kraft aufgerafft:
„Impressionismus ...“
Klasse! Und fuhr fort:
„Expressionismus ...“
´Oje, wie viele ´Nismusse` denn nooch?`
Sie seufzte.
´Immerhin: Es sitzt!`
Ihr Kopf brummte. Aber sicherheitshalber tapfer nochmal von vorn.
„Impressionismus!“
Sehr gut! Dann:
„Expessimismus ...“
Sie wollte sich schon freuen, als ... :
´Irgendwas stimmt nicht, nur was??`
Fast wie in Trance hub sie von Neuem an:
„Expemismus …, ääh!“
Der Versuch einer Verbesserung folgte:
„Epemimus ... “
Sie konnte sich kaum mehr konzentrieren und dichtete nun lustig drauflos:
„Impesmus … Epimus … Impressinus ... ??“

Plötzlich aber strahlte sie.
´Wieso ist mir das denn nicht schon eher eingefallen?`
Solch tollen Geistesblitz hatte bestimmt nicht jede Studentin so kurz vorm Umfallen: Eine in ihrer Gewichtigkeit einmalige Einsicht! Ganz langsam ließ sie sich den Begriff auf der Zunge zergehen:
„Vul..ka..nis..mus!“
Juchuuh! Die Müdigkeit vergessend, drehte sie euphrorisch eine Runde Tango Argentino(um den jetzt heißgeliebten Schreibtisch) und berauschte sich am Tanz.

Doch auf einmal erstarrte sie.
´Darf doch nicht wahr sein! Hat mir der Verstand einen solch fiesen Streich gespielt?`
Denn es gab in der Kunst weder Epimus, Impressimus und erst recht keinen Vulkanismus. Der gehörte völlig woanders hin!
Deprimiert sackte sie auf den Schreibtischstuhl, den sie nun am liebsten gegen die Wand geklatscht hätte. Dagegen ordnete sie noch mit einer kraftlosen Bewegung sämtliche Hefter penibel auf dem jetzt verwünschten Tisch an, rückte den Stuhl korrekt davor, löschte die Lampe und verschwand heulend im Bad. Frustriert sich abschminkend, beobachtete sie im Spiegel ihre wachsende Ähnlichkeit mit einem kalkweißen Schlossgespenst.
´Augenränder bis fast zum Bauchnabel!`
Selbst dies war ihr jetzt beinahe einerlei. Sie streifte ihr seidenes Nachthemd über, fiel entkräftet ins Bett und schnarchte sofort melancholisch vor sich hin.

Der Engel seufzte. In fünf Minuten schlug es Mitternacht. Hatte er die Wegbeschreibung richtig verstanden, war das dritte Haus in der Straße dort unter ihm sein Ziel. Obwohl er in dieser Nacht bestimmt keinen Strafmandat von oben befürchten musste, setzte er den Flug ein wenig gesitteter fort.
´Bin ja gleich da!`
Pünktlich um11.59 Uhr faltete er, dabei die ramponierte Feder schamhaft unter der Flügelspitze verbergend, vor dem Haus Orchesterstraße Nr.88 die Flügel ordentlich zusammen. Dann schaltete er den ihn umgebenden Strahlenkranz auf ´Blitzen!`, nahm eine kerzengerade Haltung an und schellte nachdrücklich.

Wie eine Sturmsirene dröhnte die Klingel. Die äußerst frustriert ins Bett gefallene Studentin schreckte aus dem extrem benötigten erholsamen Tiefschlaf auf, rieb sich die verquollenen Augen, krabbelte wütend halbwach aus der Koje, griff sich den Morgenrock, wankte zur Tür und öffnete. Ein langes Gespräch war jedoch nicht drin. Selbst weibliche Menschenkinder haben damit um Mitternacht diverse Schwierigkeiten! Die Ansprache des im gleißenden Himmelslicht leuchtenden Gegenübers ging zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus. Zum Glück nehmen Engel unsere verminderte Auffassungsgabe in solch ungewöhnlichen Situationen aber nicht übel. Das Mädchen griff sich den höchtwahrscheinlich immens bedeutsamen Brief. Um ´Danke` zu flüstern, war es zu müde.
„D!“, meinte es nur, schlurfte zurück und rollte sich aufseufzend in die Decke.

Ob es seine Post noch gelesen hat? Das weiß nur der Himmel.
Jetzt fragen wir:
„Was stand so Wichtiges in dem Brief?“
Wie gesagt:
´In der Kürze liegt die Würze!`
Es waren nur wenige Worte: ´
„Viel Glück für Deine Prüfung! Ich denke an Dich!!“
Deine Mama

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