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Alles mit allem

Von CeeBee Donnerstag 25.11.2021, 16:24



Mein Großvater hatte das erste Auto im Dorf, wie er mir damals erzählte. Ich weiß allerdings nicht, ob dieses Gefährt noch mit Dampf betrieben wurde oder schon Kraftstoff zu sich nahm.

Wenn er damit lärmend und qualmend durch den Ort fuhr, so die Geschichte, holten die besorgten Mütter ihre spielenden Kinder eilends von der staubigen Straße und der immer wachsame wie auch geschäftstüchtige Zimmermann hämmerte sogleich, ob des drohenden Unheils, das Großvaters schnaubendes Ungeheuer stets um sich verbreitete, aus hellen Fichtenbrettern nagelneue Särge zusammen. So wie man sich das aus den Wildwestfilmen abschauen konnte, wenn zum Schluss, zum Showdown, nur noch Zwei, der Gute und der Böse, von einem großen Sterben ringsum übrig geblieben waren und der Schuft, wie von uns Zuschauern klammheimlich erhofft, vom Schicksal hinterrücks ein Bein gestellt bekam, stolperte, vom Dach fiel und so, ohne dass sich jemand an dem Übelmann die Finger schmutzig machen musste, von selbst zu Tode kam, damit der Gute - "Nö, ich hab nix gemacht!" - sich in aller Unschuld nur den Staub aus seinen Kleidern zu schlagen brauchte, um mit uns allen, die wir an seiner und damit an der Seite der Gerechtigkeit siegreich gekämpft hatten, das Pferd zu besteigen und restlos zufrieden, unter den ruhigen, nachhallenden Klängen eines Steel Banjos, gegen den rot glühenden Horizont in den Sonnenuntergang zu reiten.


Vorhang ...


Mein Opa war immer der Gute! Er, ein Fortschrittspionier seiner Zeit, lehrte auch mich, die Technik zu lieben.

Erlaubte man ihm die Wiederauferstehung für ein kleines Weilchen, ich würde ihm auf meinem Smartphone Bilder unserer Zeit zeigen, wie Menschen aus jedem Winkel der Welt nach Belieben mit Menschen in jedem anderen Winkel der Welt ganz ohne Draht telefonieren, und Menschen zum Mond fliegen, mit Zügen nahe der Schallgeschwindigkeit durch endlos lange Tunnel rasen und in fahrerlosen Autos zielgenau und unfallfrei durch den dicksten Straßenverkehr gelotst werden.

Und dann würde mein Großvater mir das Handy aus der Hand nehmen und es mit dem kurzen, lapidaren Kommentar: "Näh, watt'n Schiet!" ins Klo werfen. Er würde allerdings nicht mehr registrieren können, dass auf dem ertrinkenden Smartphone sofort die Alarmmeldung: "Achtung, Klo verstopft!" erscheinen würde.

Vielleicht so oder so ähnlich könnte die Kollision der Zeiten ablaufen.

Ja, ich habe meine Wohnung runderneuert und technisch auf den neuesten Stand hochgerüstet. Da gibt es nicht mehr den schweigenden, dumpf vor sich hin brummenden Kühlschrank, die rumpelnde Waschmaschine oder der ewig vor sich hin heulende Staubsauger. Allen habe ich jetzt ein Hirn verpasst, ein elektronisches. Auch Toaster, Kaffeemaschine und Küchenherd fühlen und denken nun wie Menschen und verhalten sich auch so.

Sie alle sind miteinander vernetzt wie Laptops, Tablets oder Smartphones, unterhalten sich mit Gott und der Welt, reden über alles und jeden und lernen täglich neu hinzu, um mir mein Leben mit ein paar nützlichen Hilfestellungen so einfach und so angenehm wie möglich zu machen. Das jedenfalls war die Zielsetzung und der Grund für die Investition.

Von der Leselampe bis zur Dunstabzugshaube, sie sind inzwischen alle meine kleinen Wesen im häuslichen 'Internet der Dinge'. Sie können hören, fühlen, sehen, denken und auch böse sein ... wie neulich wieder.

Da gab ich dem Toaster, kurz vor meinem Gang unter die Morgendusche, über Smartphone zu verstehen, ich wolle in exakt zwanzig Minuten zwei Scheiben Weißbrot geröstet haben und bekam als Antwort barsch zu hören, dass da kein Brot sei im Vorratsschrank. Dieser hätte ihm, dem Toaster, nämlich gesagt, ich, also ich, der Herr im Hause, sei zu faul gewesen, einzukaufen. Das sei eine Unverschämtheit simste ich sogleich dem Toaster zurück, denn es wäre vereinbart gewesen, er hätte darauf zu achten, dass ständig Brot im Hause zu sein habe und wenn das nicht der Fall wäre, solle er dem Auto Bescheid geben, dass es losfahren müsse ... und dann fing das Auto, das da mitgehört hatte, an zu plärren, dass es ja gar nicht aus der Garage hätte heraus fahren können, weil das Garagentor noch nicht an das Internet angeschlossen wäre und sich daher auch nicht automatisch öffnen ließe.

Und so hatte ich, dem das Leben leicht gemacht werden sollte, doch wieder Schuld an allem und die ganze Misere allein zu erdulden. Irgendwie unergötzlich das Ganze.

Nun gut, jetzt war der Techniker da, hatte das Garagentor an das World Wide Web angeschlossen, damit das Auto demnächst allein zum Brot holen fahren kann.

Natürlich hatte der Kühlschrank davon erfahren, dass es ab sofort Möglichkeiten zum freien, direkten Einkauf gab. Und er, der als Lagerist und Warenspezialist für Fleisch, Milchprodukte, Gemüse und Obst in der Vergangenheit, ich gebe es zu, höchstens mal eine vertrocknete Möhre, eine aufgebrochene, leicht angeschimmelte Packung Käseaufschnitt oder ein in Zellophan eingewickeltes, angebissenes Butterbrot wochenlang bei exakt sieben Grad Celsius, frustriert und gelangweilt, zu bewachen hatte, bestellte sogleich wie wollüstig, ohne Rückfrage an mich, die Anlieferung von 25 Bechern Fruchtjoghurt, die gleiche Menge Schlagsahne, 20 Kg Magerquark und 10 Liter Buttermilch nebst 15 Packungen Nürnberger Schweinswürstel mit jeweils 12 Stück als Inhalt. Nicht zu vergessen die 7 Doppel-Pizzen und einige Familienpackungen Speiseeis für das Gefrierfach sowie 5 riesige, frische Salatköpfe und zwei Wassermelonen für die unteren beiden Schubfächer. Und bevor ich einschreiten konnte, meldete bereits mein Handy die vorausberechnete Überfüllung des Kühlschranks an, da sich mit höchster Wahrscheinlichkeit die Tür nicht mehr schließen lassen würde, weil der Kopfsalat, nebst Melonen, irgendwie zu sperrig sein dürfte.

Mit der Abmahnung, die ich umgehend per Massen-E-Mail an alle Gerätschaften im Hause des Inhaltes verschickt hatte, dass ich mir nach den letzten Vorkommnissen insgesamt mehr Disziplin und Gehorsam erbäte, fing plötzlich die Waschmaschine an zu meckern, was mir denn einfiele? Sie hätte doch fast alle Lasten allein zu tragen. Der ganze Dreck, den ich ins Haus schleppte, landete letztendlich bei ihr und sie bekäme zum guten Schluss, für anständige und ausdauernde Arbeit noch einen Anpfiff obendrein. Dabei hätte sie schon seit ewigen Zeiten keinen entspannenden Weichspüler mehr bekommen oder zarte Dessous umsorgen dürfen, die ganz, ganz sanft gewaschen, mit viel weichem Wasser und einem behutsam zarten Schleudergang behandelt, ein längst fälliges, hochwillkommenes Dankeschön gewesen wären. Ob es mir noch gut ginge? Da solle sie aber erst einmal ein bisschen nachdenken, erwiderte ich empört. Niemals käme es mir in den Sinn, irgendwelche Frauenunterwäsche zu kaufen, geschweige denn diese zu tragen. Ich wäre nicht bereit, mich beim Anlegen der Reizfummel in diese restlos verheddern zu wollen, nicht wissend, ob ich aus dem Gewirr von Schlüpfergummi, Drähten, Riemchen, Zippern, Schnüren, Schlaufen, Haken und Ösen jemals wieder unversehrt heraus finden würde oder womöglich für immer darin gefangen bliebe. Überhaupt, wüsste ich denn, welche Spezialdessous sie, die sich mit plumper Frivolität als Dame von Welt aufspiele, bevorzugen würde? Vielleicht hätte ich sogar Riemen, Seile, Ketten und Stricke aufzudröseln, um mich mit Müh und Not aus der Marter wieder zu befreien. Schließlich sei ich nicht so talentiert wie der Entfesselungskünstler Houdini seinerzeit! Und ob sie zufällig wüsste, dass begreiflicherweise nur Getragenes einen Waschgang notwendig mache. Ständig saubere Wäsche zu waschen entspräche doch wohl der baren Unvernunft. Mir schiene, sie habe nicht alle Zahnräder an der Trommel! Ich wäre nicht bereit, mit vollen Händen das Geld nutzlos zum Fenster hinauszuwerfen, eher würde sie, die Meckertante, selbst demnächst einen sauberen Abflug machen, der sich, um beim Thema zu bleiben, gewaschen hat.

Dann meldete sich der Saugroboter zu Wort, dem der Streit zu Ohren gekommen war. Ja, genau, pflichtete er der Waschmaschine bei, ich sei ein Despot! Ich knechte hier die Dienstleister, all die guten Geister, die den ganzen Tag, vierundzwanzig Stunden lang auf den Rollen seien, um für hygienische Verhältnisse im Hause zu sorgen und mir fiele nichts Besseres ein, als mich zu beschweren, noch mehr Leistung zu fordern, anstatt mal für eine extra Batterieladung zu sorgen oder besser noch, für eine kleine Ruhepause mal den Stecker zu ziehen.

War das jetzt der Aufstand der Automaten?

Ich glaube, ja!

Denn seit kurzem scheint mir, dass jedes Mal, wenn sich nach dem Waschgang die Luke der Waschmaschine öffnet, direkt vor dem Hause die Straßenbahn ohne ersichtlichen Grund mit einem Höllenlärm aus kreischendem Eisen auf Eisen und dem schrillen Hämmern der Alarmglocke eine ratternde Vollbremsung hinlegt, die das Haus vom Keller bis zum Dach erzittern lässt und mich jedes mal glauben macht, der ganze Zug sei diesmal tatsächlich aus den Schienen gesprungen, habe die Hauswand durchbrochen und läge mit seinem Triebwagen ganz gemütlich in meinem Wohnzimmer. Gerade eben wieder. Und wenn mich meine Sinne nicht täuschen, haben Tisch und Stühle, selbst der mächtige Esszimmerschrank, erneut mit munteren Hüpferchen sich gemeinsam, wie verabredet, im Gleichschritt vom Platz bewegt. Probt etwa nun auch noch das tote Holz den gesammelten Aufmarsch zum vereinten Protest?

Jetzt ... da war es erneut, das Signal.

Ich habe es nicht übersehen. Die rote Betriebslampe der Waschmaschine hat wie zum Dank nach draußen und unverkennbar als Zeichen der Solidarität dreimal kurz aufgeleuchtet.

Die wollen mich fertig machen und ich fürchte, über kurz oder lang werde ich wohl von meinem Haus den Stuhl, vielleicht samt Tisch und Schrank, vor die Tür gesetzt bekommen!

Es ist nicht selten, gerade in jüngster Zeit, dass ich gerne auf den Friedhof gehe und das Zwiegespräch mit meinem Großvater suche, mit ihm, der dort oben vom Himmel aus das Treiben hier bestimmt mit großer Neugier und fortwährendem Kopfschütteln betrachtet.

Mehr denn je habe ich Verlangen nach Opas nostalgischen und gleichermaßen beschaulichen Erzählungen aus seinen guten, alten Tagen ...



© CeeBee --------

Foto: pixabay.com

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