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Also, manchmal könnte man denken ... , gg

Von tastifix Dienstag 28.06.2022, 20:50 – geändert Freitag 01.07.2022, 17:12

Ziel war Weimar. Amalia-Bibliothek und Goethe-Museum lockten. Zusätzlich besichtigten wir noch Goethes Garten- und Schillers Wohnhaus. Nach soviel beeindruckender Besichtigung schwirrte uns der Kopf. Zur Belohnung für unseren Bildungsfleiß hatten wir eine Übernachtung im ´Blauen Elephanten` reserviert.

Die Empfangshalle glänzte in Schwarz und Gold. Doch kamen wir gar nicht erst dazu, jene doch ziemlich kalte Pracht ausgiebig auf uns wirken zu lassen. Sofort wurde unser Gepäck von überaus diensteifrigen Pagen ´stiebitzt`, Protest hätte nichts gebracht. Wir sahen es dann oben im Zimmer wieder. Fix räumten wir alles in den Kleiderschrank und machten neugierig anschließend einen Marsch durchs Haus. Von der Wand entlang der Treppe war vor Fotos von Berühmtheiten und königlichen Häuptern, die alle hier genächtigt hatten, kaum mehr etwas zu sehen.
„Praktisch, eventuelle Minilöcher alle verdeckt!“
Vielleicht sollte ich daheim auch mal …

Als wir, inzwischen total groggy, denn dem Speisesaal zustrebten, wurde uns klar:
„Hier wird Haltung erwartet. Einher schlurfen geht nicht!“
Wir näherten uns der breiten Flügeltür, die weit offen stand. Rechts knickste eine Serviererin, links dienerte ihr männliches Gegenstück.
´Fehlt nur noch das ´Gnädiger Herr` und ´Gnädige Frau`!´
Die eine Längsseite des Saales war zwischen Marmorsäulen mit einem Riesenabendbuffet mit allem, was sich ein hungriger Magen so wünschen konnte, ausgestattet. Es schmeckte wirklich toll, aber wir blieben nicht lange und sahen zu, wieder ins Zimmer zu gelangen und uns endlich dem erholsamen Schlaf zu überlassen.

Tja, bei dem Preis, den man hier zahlte, hätten wir besser damit rechnen sollen, dass uns noch eine kleine Überraschung erwartete. Richtig, denn auf den Kopfkissen lagen Gutenacht-Geschichten, aber welche der besonderen Art. Sogar mit einem Foto des Elephanten versehen, wurde sehr ausführlich erzählt, wie das arme Tier zu Tode gekommen war. Wir entschieden, es fix wieder zu vergessen. Auch noch einen Albtraum in dieser teuren Hütte wollten wir nicht riskieren.
Wahrscheinlich war den dienstbaren Geistern des Hauses denn doch in den Sinn gekommen, dass die Gäste vielleicht fluchtartig das Weite suchen könnten und so hatten sie sicherheitshalber jeweils eine niedliche Tüte mit knallbunten Gummibärchen daneben gelegt. Wir mussten denn doch sehr grinsen.
„Was wird uns morgen wohl erst beim Frühstück erwarten?“

Anderntags zogen wir gen Speisesaal, diesmal angemessen gekleidet, frohgemut und gespannt auf Weiteres …
Wieder empfing uns ein Spalier sehr charmant lächelnder Kellnerinnen und Kellner und wieder wurde geknickst und gedienert fast bis zum Boden. Wir waren ausgesprochen erleichtert, dann die Parade abgenommen und der Etikette Rechnung tragend, freundlich zurück gegrüßt zu haben. Weil ja gut ausgeschlafen und darum hellwach, waren wir nun auch fähig, den tollen Saal gebührend zu betrachten. Eine tolle Holzdecke, alle drei Meter eine imponierende Marmorsäule und dann das enorm edle Parkett … Fasziniert betrachtete ich es.
„Woow!“

Das Frühstücksbuffet war mindestens so reichhaltig wie das Essen am Vorabend. Der Tisch mit sehr edlem Porzellan gedeckt mit dazu passendem Besteck. Genauso hatten die Gläser unsere Beachtung verdient. Die erste Überraschung folgte sogleich. Die Stühle wurden untergeschoben und wir gelöchert, was wir Kundenhoheiten denn zu trinken und zu speisen wünschten. Die dienstbaren Geister überschlugen sich fast im Bestreben, ihre Gäste zufriedenzustellen und ließen uns keine Sekunde aus den Augen. Endlich war alles herbei getragen und wir freuten uns darauf, mal ein paar Worte miteinander wechseln zu dürfen. Aber wir mussten einsehen, dass dies hier wohl nicht üblich war. Prompt, wenn wir dazu ansetzten, eilte ein Kellner hinzu und fragte nach, ob wir noch einen Wunsch hätten, was vielleicht noch auf dem Tisch fehlen würde. So zum Schweigen verurteilt, schauten wir uns frustriert an.

Doch meinem Gegenüber fiel noch ein Ei ein. Ein Frühstück ohne ein leckeres Frühstücksei war eben nichts. Binnen dreier Minuten saß auch das Ei in dessen Becher. Ich griff derweil nach der geschnörkelt gestylten und an ihrer einen Ecke mit dem Foto des Elephanten geschmückten Serviette.
„Ist doch echt stilsicher, niich? - Ich meine, nach der Lektüre, wie der …?“
Leider besaßen die hervorragend geschulten Kellner und Kellerinneren anscheinend hundert Augen und hatten sofort meinen Plan durchschaut, mir die Serviette selber auf den Schoß zu legen. Ein äußerst zuvorkommend lächelnder Kellner flitzte herbei:
„Gnädige Frau, dürfte ich es für Sie übernehmen?“
Meinen Blick darauf vergaß er bestimmt nie mehr und meine Antwort garantiert auch nicht:
„Das ist sehr fürsorglich von Ihnen, aber das mache ich noch gerne selber!“
Wieder ein Diener und er verschwand. Vielleicht hatte er seine Kollegen informiert, dort säßen wirklich Gäste, die manches noch selber machen wollten, denn dann durften wir uns tatsächlich so lange unterhalten, bis wir gesättigt waren. Danach jedoch erfuhr jenes Kasperletheater für gut zahlende Erwachsene noch eine Steigerung.

Der ganze Frühstücksinventar befand sich ja noch auf dem Tisch. Wir waren gerade dabei, den letzten Bissen zu vertilgen. Anscheinend war die Schonzeit für die noch an den Tischen hockenden „Hoheiten“ zu ende. Ganz in Gedanken, zuckte mein Gegenüber erschrocken zusammen, es hatte eine Stimme neben sich vernommen, die verdächtig nach Kellner klang.
„Ach, ich sehe gerade, dass Sie Ihr Ei bereits verspeist haben? Dürfte ich es wohl entfernen??“
Unsere gute Erziehung verhinderte noch so gerade, dass uns der Unterkiefer runter fiel und die angesprochene „Hoheit“ schaffte es wirklich, noch kurz dazu zu nicken.

Verzweifelt die ernste Miene bewahrend und damit erneut der Etikette Rechnung tragend nahmen wir wieder die Parade am Ausgang des Saales ab. Kaum hatten wir jenen verlassen, verließ uns auch die gute Haltung und wir lachten laut. Als wir dann im Zimmer unsere Koffer packten, bestimmte ich:
„Nie wieder! Schlimmer geht’s ja fast nicht mehr. Das nächste Mal suchen wir uns eine gemütliche Pension ohne Kellner-darf-ich-die -Serviette-vorlegen und ohne Kellner-darf ich-das-Ei -entfernen!!!“

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