Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

32 16

Zwei Reihen weiter

Von Reineke1794 28.11.2021, 14:52


Je älter man wird, desto häufiger die Einschläge in der Nähe. Wer kennt ihn nicht, diesen lockeren Spruch, den man mit 50 Jahren noch recht kokett ausspricht, mit 60 schon etwas gehemmter und mit den 70er Jahren schon recht nachdenklich? Eine Gelegenheit, ihn ganz leise nur zu denken, hatte ich erst neulich wieder.

Robert ist gestorben, wurde mir da mitgeteilt von seiner Frau. Robert? Oh Gott, mein Jahrgang schießt es mir durch den Kopf. Zwei Reihen weiter, auf der rechten Seite, hat er vor mir gesessen in der Schule. Mit ihm hatte ich wenig gemeinsam. Sein Hobby war recht ausgefallen nach meinem Geschmack. Er hat es aber gepflegt, hat es sogar zu seinem Beruf werden lassen, wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann und, das muss ich anerkennend sagen, dank dieses Interesses ein vermutlich wohlhabender Mann. - Robert ist gestorben. Ich musste dies erst einmal ankommen lassen bei mir. Was hat mich mit ihm verbunden? fragte ich mich. Zwei Reihen weiter hat er gesessen. Rechts außen, wie schon erwähnt. Nicht ein einziges Mal während der Schulzeit hatte ich mich mit ihm allein getroffen, um etwas zu unternehmen. Nein, Freunde waren wir nie, doch respektiert haben wir uns. Jeder ging seiner Wege. Es gab keine Animositäten und eben auch keine besonderen Beziehungen. Bei der Klassenreise nach Wien ist er mir insofern aufgefallen, weil er nicht zu denen gehörte, die sich mit Federweißer hatten volllaufen lassen und dann am Abend in der Jugendherberge den Klassenlehrer anpöbelten. Im Gegenteil, er gehörte zu jenen, die bei diesem unschönen Vorkommnis Partei für den Menschen ergriffen, der uns über Jahre durch die Schule begleitet hatte. Begegnet bin ich ihm nach dem Schulabschluss nur noch ein einziges Mal. Jahrzehnte später war das, anlässlich eines Klassentreffens.

Nur ein einziges Mal habe ich an solcher Veranstaltung kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand teilgenommen, da ich zu jenen gehörte, die sich räumlich am weitesten von unserem damaligen „Tatort“ namens Schule entfernt hatten und somit häufig Probleme hinsichtlich Planung und Anreise aufgetreten waren. Robert hat den Ort, in dem er aufgewachsen ist, zeitlebens nicht auf Dauer verlassen. Bei diesem Klassentreffen hat er etwas durchgezogen, was nach meinem Gefühl schon recht außergewöhnlich gewesen ist. Nach dem üblichen Beisammensein in einem Lokal hatte er uns gebeten, ihn auf den Friedhof zu begleiten, um dort am Grab unseres ehemaligen Klassenlehrers Blumen abzulegen und dessen zu gedenken. Das war's dann aber auch, was ich mit Robert verbinden kann.

Die Nachricht über Roberts Tod war dann gewissermaßen der Abschluss einer fast nur flüchtigen Begegnung selbst über mehrere Jahre hinweg. „Zwei Reihen weiter“, so habe ich meinen Brief an die Angehörigen Roberts begonnen, habe über die eher unbedeutenden Ereignisse mit ihm berichtet und zum Ende hin in etwa festgestellt, dass der Tod die Brücke ist, die die räumliche Entfernung, die Fremdheit und die Zeit überspannt, die das Trennende zu diesem Schulkameraden gewesen ist.

Wochen später, längst hatte mich eine weitere Todesnachricht eines mir eher vertrauten Menschen erreicht, erhielt ich überraschend Post von Roberts Angehörigen. Sie bedankten sich für den Trauerbrief, der sie sehr bewegt und berührt habe, legten dem Schreiben aber auch einen Zeitungsartikel bei, der mich in großes Erstaunen versetzte. Robert, der junge Mann, zwei Reihen weiter, rechts außen, hatte es nicht nur zum Geschäftsführer einer weltweit agierenden Firma gebracht, sondern war vor Jahren bereits mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet worden. Über 30 Jahre lang hatte er eine Region, aus der er als Kind mit seiner Mutter als Spätfolge des letzten Weltkrieges hatte flüchten müssen, dank beruflicher und privater Kontakte regelmäßig mit Lebensmitteln und anderen Gütern unterstützt. Hier, in seiner Heimatgemeinde hatte er einer Tafel für Bedürftige finanzielle Hilfen jahrelang zukommen lassen und erst vor wenigen Jahren, als in Griechenland in einem Flüchtlingslager katastrophale Verhältnisse herrschten, startete er einen Hilfsaufruf und finanzierte den Transport der ersten Waren zunächst aus eigener Tasche.

Robert ist nicht mehr. Robert ist verstorben. Er war mir kein Freund, er hat mir in meinem Leben nicht gefehlt, war nicht gegenwärtig. Und jetzt? Mit Erstaunen erfahre ich, dass er ein besonderer Mensch gewesen ist, ein Menschenfreund. Wie sollte man ihn anders bezeichnen?

Gut, ich war nur einmal zu einem Klassentreffen, habe ihn also nur einmal erlebt bei solcher Veranstaltung. Da habe ich nichts darüber erfahren, was er so geschafft hat in seinem Leben, sind doch gerade Klassentreffen häufig der Ort, wo sie hervorgeholt werden diese Bilder mit „meine Frau, meine Kinder, mein Auto, mein Pferd, mein Haus“ usw. usw. usw. Nein, nichts habe ich von Roberts Leistungen gehört, damals beim letzten Treffen. Ist es Bescheidenheit gewesen? Mich hat er im Nachhinein jetzt sehr beeindruckt und mich angehalten, mal genauer hinzuschaun, wo denn noch welche sitzen von diesen Roberten, denn sie sind es, die ein Gemeinwesen beleben, eine Gemeinschaft erst groß und stark machen. Robert ist nicht mehr. Es gibt aber Spuren von ihm. - Hoffnung machende!

Laut sind die eigentlich selten diese Roberte. Die fallen gar nicht so auf, wollen es vermutlich auch gar nicht. Man muss manchmal tatsächlich genauer hinblicken, wenn man sich über Menschen freuen will – und siehe da, es gibt sie hier und dort und manchmal eben nur zwei Reihen weiter.

Immerhin, die Menschen in Deutschland haben trotz Corona-Pandemie deutlich mehr Geld gespendet als früher. Das geht aus der Bilanz des Deutschen Spendenrats für 2020 hervor. Mit 5,4 Milliarden Euro sei das Spendenniveau um etwa 260 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr gewachsen, teilte der Verband mit. Das entspricht rund fünf Prozent.

Epilog:

Gestern habe ich in der Zeitung gelesen, dass die Sorge um den Zusammenhalt in der Gesellschaft wachse. - Na ja, kann ja stimmen, muss es aber auch nicht. Oder?










Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten

Mitglieder > Mitgliedergruppen > Kreativ Schreiben > Forum > Zwei Reihen weiter