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UND DANN NOCH EINE KRÖNUNG

Von egalis Dienstag 09.06.2020, 14:38 – geändert Dienstag 09.06.2020, 14:41

Eine Attraktion besonderer Art findet in Bad Rappenau alljährlich im Hochsommer statt. Wenn der Park schwelgt in bunter Blütenpracht, wenn tausende von Rosen ihren Duft verströmen, dann lädt die Kurverwaltung ein zum traditionellen Rosenball. Dann verschieben die Kurkliniken ihren Zapfenstreich auf 24 Uhr.
„Wer hat Lust, Sonnabend gepflegt auszugehen?“, frage ich in die Tischrunde, die sich vor der Cafeteria auf der Terrasse niedergelassen hat. „Was hast Du denn zu bieten?“, fragt jemand. „Es ist Rosenball mit der Wahl der Rosenkönigin. Mal sehen, was da so läuft.“ Erich sagt spontan zu. Gabi, Erika und Helga wollen in die „Linde“ oder in den „Hühnerstall“, wie das Züchterheim genannt wird. Hannes hat keine Lust. Erich und ich gehen allein hin.
Die Leiterin des Verkehrsamtes eröffnet den Abend. Dann übernimmt ein Conferencier das Mikrophon und bringt ein paar nette Einlagen. Die „modern-sound-band“ ist klasse. Erich hat mich allerdings vorgewarnt, dass er ungern tanzt. Walzer schon gar nicht. Na, denke ich, macht nix. Wird schon was werden. Was es dann wird – damit habe ich im Leben nicht gerechnet.
Zehn Herren werden auf die Tanzfläche gebeten. Mein schüchterner Erich ist plötzlich verschwunden, steht mit anderen vor der Bühne. Ein elfter Herr eilt noch hinzu. Die mutigen Herren werden den Damen als leuchtendes Beispiel vorgestellt. Wenn es nachher um die Wahl der Rosenkönigin gehe, sollten sie ebenso mutig sein. Dann werden die Vorreiter mit einer weißen Rose, die sie der Dame ihrer Wahl überreichen sollen, entlassen. Erich hat mich ausgewählt und ich fange an, mich diebisch zu freuen: Ahne, dass ein Ehrentanz gefordert wird. Die Band spielt einen Walzer, mein Herr wird nervös. Ich lasse mich erweichen, wir bleiben sitzen und sind nicht die einzigen, die nicht tanzen wollen. Der Moderator rennt wie aufgescheucht durch die Tischreihen und sucht die Verlorengegangenen, ohne sie zu finden.
Glück gehabt.
Nach einigen Tänzen werden diejenigen Damen nach vorne gebeten, die eine weiße Rose erhalten haben: Das sind die Kandidatinnen. Mich trifft der Schlag. Ich will da nicht hin. Bin doch nicht blöd. Nee, mit mir nicht – und sowieso, was soll ich da? Bei deeer Auswahl?!?
Zehn mutige Damen bewegen sich auf die Bühne. Ich sitze immer noch auf meinem Platz. Erst als mein Tischherr nicht aufhört zu quengeln, stürme ich doch los. Egal – bloß dies eine Mal. Als Letzte erhalte ich die Nummer 11 und ein Glas Sekt, woran ich mich festhalten kann. Denn komischerweise werden jetzt die Knie weich. Mein Blick schreit um Hilfe zum Tisch. Von dort kommt lediglich ein vergnügtes Grinsen. Dann geht der Moderator von einer Kandidatin zur nächsten und lässt jede sich vorstellen. Derweil fange ich mit der Frau Nummer 10 leise einen kleinen Plausch an. Sie hat Ausstrahlung, ist mir sympathisch. Ich bin überzeugt, sie wird die Rosenkönigin.
Jetzt bin ich dran. Was habe ich noch gesagt? Bruchstücke bleiben in Erinnerung. Sage meinen Namen. Sage, dass ich aus Ostfriesland komme, erhalte dafür Applaus. Komme vom entferntesten Zuhause. Es wird nach Hobby gefragt, Beruf, welchen Sport frau treibt. – Keinen. Punktum. Großes Unverständnis beim Interviewer. Alle anderen Damen hatten, wenn auch nicht durchweg Tennis, so doch wenigstens Gymnastik und ähnliches anzubieten. Meine Güte, welcher Sport liegt mir denn bloß mal? Ich hab’s: Reiten mag ich. Na, wenigstens etwas. Und sonst nichts? (Gerade war die Fußball-WM vorbei) „Nein, sonst habe ich mit Sport nix am Hut!“ - Ich komme zu mir, als ich bemerke, dass sich das Publikum im Saal fast nicht beruhigen will vor Begeisterung. Sollten da noch mehr Nichtsportbegeisterte…?
Irgendwie komme ich auf meinen Platz zurück. Erich ist begeistert: „Du wirst Königin!!“ Ich sage kurz und knapp: „Du spinnst!“
Die Zettel, auf die jeder der 400 Leute im Saal seinem Nummerntipp schreiben kann, sind längst eingesammelt. Die Jury ist beim Auszählen. Die Kapelle spielt einige Tänze, der Moderator macht seine Späße. Es rauscht alles an mir vorbei. Ich werde auf einmal fürchterlich nervös.
Wir tanzen – keinen Walzer -.
Ein Tusch: Es ist soweit, die Auszählung ist beendet. Prinzessin wird Kandidatin Nr. 3. Sie kommt aus Berlin. Es war damit zu rechnen, dass sie gewählt wurde. Sie trug als einzige von uns einen sehr kurzen Hosenrock. Ihre Antworten waren berlinerisch frisch und kamen an.
Ich unterhalte mich mit meiner Tischnachbarin über das Ergebnis und kriege dadurch nur die Hälfte vom Geschehen mit. Tusch. Nummer 10 wird aufgerufen. Ich bin begeistert. Das wünsche ich ihr. Damit habe ich gerechnet. „Ich freue mich, dass sie die Königin geworden ist“, sage ich zu Erich. – „Wieso“, sagt der, „die ist doch auch erst Prinzessin. Du kommst noch dran.“
Ich winke ab. Riesentusch. Die Spannung steigt. Der Moderator spricht die bedeutungsvollen Worte: „Und nun bitte ich die Nummer 11 nach vorne. Die Nummer 11 ist unsere Rosenkönigin 1990!“
„Ich hab’s gewusst, ich hab’s gewusst“, sagt mein Tischherr. Und ich glaube, ich habe mich verhört, das kann doch nicht sein. Ich glaube, ich träume. „Erich, kneif mich mal.“
Mein Rosenkavalier geleitet mich zur Bühne. Gratulation. Schärpe um, die dauernd auf die Füße rutscht und erst später mit einer Nadel am Rutschen gehindert wird. Gratulation mit einem riesigen roten Rosenstrauß. Ein großes Geschenk wird mir in die Hand gedrückt. Es ist ein Kleiderkoffer zum Aufhängen. Ein DIN-A 4-Kuvert wechselt den Besitzer: Gutschein für ein Essen zu Zweit im ersten Hotel am Platze. Blitzlichter zucken. Fototermin im Foyer des überaus prächtig mit Blumen geschmückten Kursaales.
Ehrentanz. Ich bitte die Band um einen Blues, meinem Partner zuliebe. Die Band freut sich über die Abwechslung beim Ehrentanz. Schließlich dehnen wir unseren Zapfenstreich noch um eine halbe Stunde aus. Die sonst sehr strenge Nachtschwester zeigt Verständnis und freut sich mit uns, spendiert sogar noch eine Flasche Sekt. Am nächsten Tag geht die Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Rheumaklinik. Hofknickse werden eingeübt. Es gibt viel Spaß.
Wir melden uns zum Dinieren im Salinenhotel an. Am Dienstag lassen wir uns vom Küchenchef überraschen, haben noch einmal unseren großen Auftritt. Tage später wundert sich der Zeitschriftenhändler über die rege Frage nach der „Heilbronner Stimme“ und der „Rhein-Neckar-Zeitung“.
In beiden Blättern steht am Freitag, dem 20. Juli 1990 zu lesen: „Rosenkönigin aus Ostfriesland“. Und das bin ich. Wahnsinn…
Wie bemerkte Kurfreundin Inge einmal ganz treffend: Wir sind zwar nicht mehr taufrisch, aber wir bestechen durch und mit unserer Natürlichkeit.
Vielleicht ist da was dran…

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