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Illusion in Moll

Von Feierabend-Mitglied Samstag 17.02.2024, 09:37


Es dauert nur fünf Minuten, schon habe ich den kleinen Park durchquert, an dessen Stirnseite eine große Ruine eines elegant wirkenden alten Gebäudes steht. Das äußere Gemäuer ist noch wunderbar erhalten und umringt von blühenden Büschen. Ich schätze, dass es für jemanden aus der reicheren Gesellschaft gegen Ende 18. Jahrhundert gebaut wurde. Durch die Öffnungen der leeren großen Fensterbögen weht nur der laue Sommerwind. Der blaue Himmel, mit seinen Schäfchenwolken, gibt der natürlichen Kulisse einen wunderbaren Hintergrund und nimmt der Ruine jegliche Düsternis und der Parkweg ist gefüllt mit kleinen Steinchen. Er endet vor einer großen Treppe, die zu einer breiten einladenden Türöffnung führt. Die Steinbögen sind kunstvoll verziert, aber bereits beachtlich durch die Witterung beschädigt. Es musste schon sehr lange her sein, als diese Öffnung von einer großen Tür verschlossen wurde. Damals, vielleicht vor mehr als zweihundert Jahren, sind hier sicher Damen in langen Gewändern spazieren gegangen. Sicherlich haben sie mit ihren langen und schweren Rocksäumen viele der kleinen Parkwegsteine zum Tanzen gebracht. Vielleicht war sogar in dem großen schönen Gebäude ein Festsaal, in dem sich die feine Gesellschaft zum Tanzen traf. Sozusagen eine Kontaktbörse des 18. Jahrhunderts.

Inzwischen bin ich die Freitreppe hinaufgestiegen und durch die Bögen des Eingangs in den Innenraum der Ruine gelangt. Abgesperrt ist hier nichts. Colaflaschen und Kekspapier lassen mich wissen, dass ich nicht der erste Besucher dieses Gemäuers bin. Tatsächlich befinde ich mich innerhalb der Ruine in einer großen Halle. Nichts lässt auf ehemalige Zwischenwände schließen.
In meiner Fantasie höre ich Musikanten auf alten Instrumenten spielen. Aus der rechten hinteren Ecke der Halle klingen sich Töne eines Spinetts in meine Fantasie. Auch höre ich nun viele Füße mit kleinen Schritten über den Boden schaben und schließe meine Augen.
Nun ist die Illusion perfekt.
Mir ist, als spürte ich die Schwere eines langen Rockes an mir. Mein Oberkörper ist in ein enges Mieder gequetscht. Wolken von Puder, Parfüm und Schweiß dringen in meine Nase und die imaginäre Musik der Musikanten erreicht mich aufs intensivste.
Ein unsichtbarer Tänzer schwingt mich zu melodischen Klängen im Kreis und ich dreh mich gern mit ihm im Tanz. Meine Röcke schwingen um meine Beine und verlieren ihre Schwere. Ich bin im Mittelpunkt des Tanzsaals und fühle mich einfach herrlich.

Plötzlich lässt ein lautes Gekrächze die Bilder meiner Illusion zerplatzen wie eine Seifenblase.
Erschrocken öffne ich meine Augen und höre auf, mich zu drehen. Im obersten Fensterbogen sitzt eine Krähe und schaut mit schrägem Kopf auf mich herab.

"Da staunst du?" sag ich zu ihr und muss lachen.

Schmunzelnd verlasse ich den Park und schlendere fröhlich nach Hause.





Text Mali25
Bild. Schloss Harbke Wiki

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