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Helles Pulver, kleine Tüten Teil 1

Von Feierabend.de Mitglied Petronia Mittwoch 17.06.2020, 23:27

Wir schreiben den 19. Juni 2039 . Ort ist eine Villa in Sirmione, auf der Halbinsel am südlichen Gardasee.
Hedwig lehnt sich etwas müde aber entspannt zurück. Sie saß auf der kleinen Terasse ihrer Villa " Ursina" , 10 Zimmer von 12 waren zurecht gemacht für die Gäste, die Haushälterin hatte bestens für Annehmlichkeiten gesorgt. Alles klar, also kann sie morgen ganz cool und mit Finesse ihren 100. Geburtstag feiern. Lächelnd streicht sie sich durch's dunkelrote Kurzhaar -damit hatte sie auch keine Sorgen. Das grüne Kleid von "Venedo" nach einem Entwurf ihrer Enkelin hing für morgen bereit....
Sie kicherte leise und schaute verschmitzt. Wer hätte das vor 23 Jahren gedacht ?? Und nicht mal die engste Familie wusste Bescheid, nur das Wichtigste. Es hatte alles so traurig begonnen. Als sie 2016 wegen zunehmender Beschwerden Abschied von ihrem geliebten Garten nehmen musste, war sie am letzten Tag noch einmal dorthin gefahren, um noch 1-2 Pflanzen zu retten und darüber nachzudenken, wieviele schöne und schwere Stunden sie hier verbracht hatte. Ein "Tränendes Herz" stand noch einsam am Rande, der Busch war ihr bisher zu groß gewesen. Aber Tränendes Herz- das passte und der musste noch mit ! Beherzt setzte sie den Spaten an. Erst ging es ganz flott, doch dann stieß sie nicht nur auf Wurzelenden, sondern auch auf etwas Hartes. Das kann doch nicht wahr sein, auch das noch ! Ein erneuter Versuch , abermals Widerstand . Was soll das ? Sie drückte die Pflanze seitlich nieder und schnitt gekonnt mit der Gartenschere die restlichen Wurzeln ab und zog die Pflanze heraus. Neugierig sah sie in das entstandene Loch. Da blitzte etwas goldig und blauglänzend. Was ist das ? Mit kräftigen und tiefen Spatenstichen rund um das Objekt legte sie es vorsichtig frei. Mit Hilfe eines alten festen Strick's und viel Mühe zerrte sie das bodenvasengrosse Gefäß aus dem Krater. Wie lange mag es schon da drin gelegen haben ?
Schnell, damit kein Gartenfreund es bemerkte, brachte sie ihren Fund keuchend in ihre leere Gartenhütte. Fix entfernte sie mit einem Tuch den gröbsten Schmutz. Was für ein Anblick !! Freudig erstaunt betrachtete sie das wunderschöne Gefäß. Gold, blau und rot verziert war die etwa 65cm hohe bauchige Vase- sie erinnerte Hedwig irgendwie an die Nebraer Himmelsscheibe.... Ob der Deckel aufgeht ? Ein-, zweimal geruckelt, vorsichtig mit dem Schraubenzieher nachgeholfen und mit einem hörbaren "Pfuff" löste sich der Deckel. Ein wohlriechender und fast sogar appetitlicher Duft entströmte der Vase. Sie war fast randvoll mit einem eierschalenfarbenen Pulver gefüllt. Instinktiv, bevor sie nachdenken konnte, probierte sie mit der Fingerspitze das feine Pulver. Es schmeckte gut, aber dann bereute sie den Versuch sofort. Am ganzen Körper setzte ein Kribbeln und Jucken ein und es brannte leicht wie Brenessel. Und es schien nicht aufhören zu wollen, sie wurde panisch... Schnellstens wollte sie ihre Tochter und den Enkel anrufen, hielt aber inne. Das war nun ein seltsames Gefühl, nicht dass man sich kratzen musste, sondern eher wohlig wie eine sanfte Massage. Auf jeden Fall wollte sie ihr Gesicht kühlen. Sie schöpfte Wasser ins Gesicht und trocknete sich ab. Beim Blick in den Spiegel sah sie in ein Gesicht. Ihr Gesicht !?! Ja, ihr Gesicht !! Sie war fassungslos, denn das Spiegelbild zeigt ihr Gesicht mit deutlich geglätteten Falten. Auch insgesamt fühlte sie sich besser. Ob das mit dem Pulver zusammenhing ? Noch völlig verwirrt wagte sie einen neuen Versuch, wieder nur eine Fingerspitze. Ihr Körper reagierte wie zuvor : Kribbeln, Krabbeln, etwas Panik nur noch, dann der Blick in den Spiegel. Erstaunlich !! Die Falten waren noch weniger geworden, die Rückenschmerzen vom Graben waren fast gänzlich verschwunden. Eine unglaubliche Feststellung !!
Ratlos setzte sie sich auf die kleine Terasse. Wie lange hält wohl die Wirkung an ? Und vor allem, was sollte sie tun ?!? Kein Mensch würde ihr das glauben. Und wenn der Fund erst bekannt wurde, war sie ihn bestimmt fix los. Museen, die Stadt, das Land Sachsen-Anhalt, sogar der Bund würden sich darum streiten. Ein paar Kröten würden vielleicht für sie abfallen, aber was sind diese wenigen Euros gegen dieses Pulver ?? Jetzt hieß es, schnell handeln ! In einer knappen Stunde kommt ihr Enkel, um sie abzuholen. Sie verschloss die Vase sorgfältig, wickelte sie in eine alte Decke und stellte sie zum Blumenbusch. So schwer das war, ihr fiel es leicht.
Stunden später war sie allein zu Hause , die Vase stand äußerlich gründlich gereinigt vor ihrer Couch. In Ruhe konnte sie nun das wundervolle Gefäß betrachten : die Kreise, die verschiedenen Figuren, die vielen Sterne, das beeindruckende Farbenspiel. Seines Inhaltes würdig ! Ob die Vase extra dafür geschaffen wurde ? Wie viel Kunstfertigkeit, Zeit und Mühe der unbekannte Künstler wohl für dieses Kunstwerk gebraucht hat ??

Ein Jahr später war alles in trockenen Tüchern, war bestens geregelt. Das Pulver hatte sie
"Sternen-Puder" getauft, das war unverfänglich und offenbarte nicht seine wahre Wirkung. Hedwig hatte ihn angeblich in einem rosa Glasflakon von ihrer Mutter zur Konfirmation geschenkt bekommen. Diese kleine Schwindelei hielt sie stets als Erklärung parat. Längst hätte Sie herausgefunden, dass die Substanz mit jeder Einnahme das Äußere verjüngte, optisch so 9-15 Jahre. Aber auch die Gesundheit profitierte davon. Gelenk- und Rückenschmerzen waren passee, die Sinne waren geschärft und die inneren Organe erholten sich merkbar. Ihr ging es ringsum gut. Die Wirkung ebbte nach 5-6 Monaten ab. Aber sie hatte ja Nachschub und eine wunderbare Idee....
Zuerst hatte sie in einem neutralen Gemeinschaftslabor die Analyse des Puders in Auftrag gegeben und anstandslos gegen happige Gebühr erhalten. Also war nichts Giftiges oder Verbotenes in genau dieser Zusammensetzung enthalten. Einem jungen Laborant dort gab sie daraufhin die chemische Nachproduktion ihres ach so heissgeliebten Körperpuders in Auftrag. Der Laborant lächelte fast mitleidig, als er Hedwig Tage später die 30kg Puder übergab. Wer nimmt denn heut noch Puder, der die Poren verstopft ?!, fragte er sich kopfschüttelnd. Aber die 1500 € waren ihm ganz recht, die für die Herstellung benötigten Substanzen hatten nur einen Bruchteil gekostet und lang hatte es nicht gedauert. Diese Kosten und die für das Patentamt waren es Hedwig wert. Übrigens reagierte das Patentamt ähnlich wie der Laborant, aber sonst hatte der Beamte keine Einwände und gab das geschützte Produkt frei. Aber hinter ihrem Rücken schmunzelte er, nicht wissend, das Hedwig erst recht Grund zur Freude hatte.... Das alles hatte sie heimlich und ganz alleine geschafft, ohne das ihre drei Töchter davon etwas mitbekamen. Naja, ganz alleine nun doch nicht, die wahre Hilfe war ihr neuer Freund.

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