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Gregor (2)

Von Reineke1794 Dienstag 21.03.2023, 09:13

Gregor (2)





Ja, und eines Tages war dann die Sorge für einen weiteren Soldaten an einer anderen Front zu meinen Überlegungen hinzugekommen. Pjotr, der Mann von Irina war nun auch vor kurzem eingezogen worden, um sein Land gegen einen Agressor zu verteidigen. Als Sozialarbeiter war er tätig in Kiew, genauer gesagt in der Obdachlosenhilfe hatte er sein Betätigungsfeld gefunden, dieser Nazi, wie er wohl von Seiten der Teilnehmer an der Spezialoperation bedenkenlos bezeichnet werden würde, zählte er mit seinen 26 Lebensjahren immerhin schon zu den „reiferen jungen Männern“, die den Krieg oder eben die Spezialoperation hautnah miterleben müssen. Beide stehen für hunderttausede junger Menschen, die auf beiden Seiten der Front verpflichtet worden sind, Dienst für eine Sache zu tun, die weder mit ihren Lebenszielen, noch ihren Erwartungen in die Zukunft auch nur einen Hauch mit den eigenen Interessen zu tun haben.

Machtpolitische Interessen, wie leider schon so oft in der Geschichte, waren der Auslöser dieses Konfliktes, der mittlerweile nach mehr als einem Jahr zu einem entsetzlichen Krieg mit argen, mit sicherlich unbeschreiblichem Elend entartet ist. Zu den Sorgen des russischen Kämpfers, wie ich Gregor mal beschreiben will, der täglich um sein Leben fürchten muss, kommen auf der Seite der ukrainischen Soldaten noch die Sorgen um die eigene Familie hinzu, denn auch diese ist einbezogen in diesen Wahnsinn. Die Angriffe richten sich schließlich auch gegen die Zivilbevölkerung, die Infrastruktur des eigenen Landes, so dass das ganze Volk direkt in Mitleidenschaft gezogen wird.

Als Kleinkind habe ich zwar den letzten großen Krieg in Europa noch miterlebt, jedoch nur wenig davon mitbekommen. Von diesem Adolf Hitler und seinen Helfern, die ein Großreich aufbauen wollten, habe ich erst viel später über das Ausmaß des damit verbundenen Schreckens und Terrors erfahren.

Den anderen Diktator dieser Zeit, Josef Stalin, der zum Aufbau seiner Macht sich zunächst gegen das eigene Volk gewandt hatte, der später dann wie Hitler sein Imperium vergrößert, schließlich die Sowjetunion geschaffen hat, den habe ich bis in meine Kindheit Gott sei Dank nur aus der Ferne erlebt, also nur im Sinne von, zu jener Zeit zum Teil auch schon gelebt zu haben. Sehr viel bewusster dann schon die Zeit Mao Tse Tungs, der zum Ausbau seiner Macht den Tod von Millionen Menschen seines eigenen Volkes zu verantworten hatte.

Ja, und jetzt ein Wladimir Wladimirowitsch Putin, Präsident der Russischen Föderation, der sich als Streiter um die Existenz Russlands wahrnimmt und sich darum bemüht, Russland wieder zu der alten Größe zu führen, die es sowohl zur Zeit des Zaren und später als Zentrum des Warschauer Paktes im Rahmen der sogenannten Sowjetunion eingenommen hat, diesen muss ich nun nach einer langen, friedlichen Pause in Europa, als mittlerweile alter Mann wahrnehmen. Im Gegensatz zu diesen bedauernswerten Menschen namens Pjotr oder Gregor, die ich hier beispielhaft aufgeführt habe, konnten ich und mein Umfeld viele Jahrzehnte in Frieden leben, mein Leben gestalten, genießen und musste schon gar nicht um dieses fürchten, etwa durch die Machtinteressen eines Diktators verursacht, der meine persönliche Freiheit hätte einschränken können.

Möge die jüngere Geschichte es beweisen, dass solches Machtstreben nicht mehr in die Zeit passt, dass alle Ditktatoren, zu denen Putin zweifellos mittlerweile zu zählen ist, gescheitert sind bzw. scheitern werden, ja müssen, wenn sie die ohnehin noch brüchige Weltordnung mit Gewalt verändern wollen. Noch ist es leider nicht so weit und auch auf solche Friedenstauben kann und soll verzichtet werden, die Friedensverhandlungen propagieren, die einer Appeasement-Politik vergleichbar sind, wie bei der Zerschlagung der Tschechoslowakei 1938 zu beobachen war. Dies heißt jedoch nicht, dass die Stunde der Diplomatie noch nicht geschlagen habe. Längst, so meine Vermutung, gibt es Bemühungen, vielleicht sogar Verhandlungen, in denen ausgelotet wird, worin Ansätze für eine Beendigung des Krieges zu finden sind, wo sich etwa gleiche oder ähnliche Interessen überschneiden. Beispielhaft ist hier etwa das „Getreideabkommen“ zu nennen, das gerade verlängert worden ist. Aktuell auch die Mitteilung, dass Xi Jiping, Staatspräsident Chinas, nicht nur ein Treffen mit Putin geplant hat, sondern auch ein Gespräch mit Selenskyj erwogen wird. Jetzt der Zwischenfall mit der Drohne über dem Schwarzen Meer. Gut, Anschuldigungen hin oder her, interessant scheint mir hier der Ton zwischen den USA und Russland, wie versucht wird, den Vorfall im Nachhinein zu berurteilen bzw. einzuordnen. Ganz gleich, welche Ansätze man sucht und schließlich auch finden wird, bei allen Bemühungen, muss eines im Blick behalten werden: Verhandelt werden kann und darf nur auf Augenhöhe.

Dem Gregor sei zu wünschen, dass eines Tages eine Tafel nicht auf seinen Heldentod verweist, sondern auf ihn als Meister der Elektrotechnik, der in Petersburg seinen eigenen Laden eröffnet hat. Pjotr dagegen möge, so mein herzlicher Wunsch, mit seiner Frau Irina und den beiden Kindern möglichst bald durch eine freie Ukraine reisen und eines Tages natürlich auch seinen Cousin in Petersburg im Nachbarland Russland besuchen können, weil dieser Wladimir Wladimirowitsch von der Zeitgeschichte überholt worden ist.

Von all diesen Ereignissen würde ich gerne mittels einer schönen Ansichtskarte aus Kiew erfahren, die mir Irina geschrieben hat, unterzeichnet von ihrem Mann Pjotr und dessen Cousin, der gerade zu Besuch ist und, der nun mal G r e g o r heißt.










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