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FRÜHLINGSERWACHEN

Von egalis Montag 15.04.2019, 15:32

oder - WIE WAR DAS NOCH MIT DER ZIRBELDRÜSE?


Der Winter hatte den kalendermäßigen Frühlingsanfang übersehen und uns noch einmal tüchtig Eis und Schnee beschert. Frühlingshafte Empfindungen, insbesondere der hausfrauliche Drang zum Rausputz, schienen noch eingefroren.
Helga und ich hielten in der Küche ein Schwätzchen. Plötzlich kam vom Kornboden ein Getöse, als seien unsere sämtlichen Mäuse auf der Flucht. Da wir einen kleinen Bauernhof haben, sind es der Nager nicht wenige, derer sich unsere Katzen anzunehmen haben. Nach einem gewaltigen Gepolter raschelte und krispelte und piepste es schließlich aus dem Luftschacht, der in der Küche über dem Schrank endet. Helga war der Meinung, sie habe ein Schwänzchen gesehen. Um mich zu überzeugen, stieg ich auf einen Stuhl und sah nach. Inzwischen war Ruhe eingekehrt und ich konnte nichts entdecken.

Mein Blick fiel auf den Schrank und ich fast vom Stuhl. Den ganzen Winter hatte ich mich nicht darum gekümmert und nun fühlte ich meine Hausfrauenwürde doch ziemlich angekratzt.
Das Muster des aufgelegten Schrankpapiers war nur noch zu ahnen und von den zur Zierde aufgestellten Einmachgläsern von AnnoDunnemals schwang sich elegant ein bestaubter Spinnwebfaden zur Wand. Mir schlug mein Gewissen, aber ich vertröstete mich auf den Frühling, wenn er sich endlich eingestellt hatte und das Schummeln sowieso losginge. Und das schien noch in einiger Ferne zu sein.
Am nächsten Tag gab strahlender Sonnenschein ein wintermäßig verschmutztes Fenster frei und Staubteilchen tanzten fröhlich ihren Reigen in der Küche. Der Hausfrauenteil in meinem Gehirn begann sich zu regen und ehe ich es eigentlich richtig wollte, hatte ich den Eimer neben mir stehen und einen Lappen in der Hand. Und dann ging’s rund. Die Blattläuse, sofern vorhanden, verkrochen sich in der Blumenerde und die Spinnen suchten auf langen Beinen, aus ihrem beschaulichen Dasein aufgeschreckt, eiligst das Weite. Die Arbeit lief mir fast allein von der Hand und ich ließ meinen Gedanken freien Lauf. Es fiel mir eine Zeitungsnotiz ein, die ich gelesen hatte. Darin war die Rede vom Frühling und wie Natur und Mensch darauf reagieren. Interessant fand ich, was der Frühling bei den Menschen anrichtet und wieso er das tut.
Na, wir wissen, die Frühjahrsmüdigkeit steckt einigen ganz schön in den Knochen. Aber auch das Gegenteil ist der Fall.
Die Kleidung wird leichter und bunter, der Gang beschwingter; die männlichen Zeitgenossen werden munter und schießen Blicke auf die holde Weiblichkeit ab.
Alles bekannt.
Neu war mir bloß, wodurch dieser Umschwung ausgelöst wird. Daran soll eine Drüse schuld sein: die ZIRBELDRÜSE. Sie sorgt mit anderen für die Produktion von gewissen Hormonen. Diese wirken sich auf den Stoffwechsel aus und bringen den Menschen in Schwung: das Blut gerät in Wallung, die Augen werden klar, die Haut wird straffer und rosiger, die Herzen schlagen ungestümer. Blicke werden gewechselt, und wie das dann weitergeht, weiß ein jeder.
Wahrscheinlich hängt damit auch zusammen, dass die Frauen einen Putzfimmel kriegen und zu schummeln anfangen.
Ist die Drüse eigentlich bei uns falsch gepolt?
Na, über das Grübeln war meine Küche frühlingshaft frisch geworden und ich war gespannt, ob die Zirbeldrüse bei meinem Mann auch schon in Aktion war, wenn er am Abend von der Arbeit heim käme.

Ich erwartete ihn in frühlingshafter Spannung.
Meine Zirbeldrüse hatte ihre bewusste Tätigkeit aufgenommen...

Mein liebster Mensch kam, begrüßte mich wie allezeit, ließ seinen Blick durch die Küche schweifen – dieser blieb oben am Schrank hängen und er sprach dieses:
„Siehst du eigentlich nicht das Spinngewebe an den Gläsern? Wie lange soll das wohl noch da hängen?“

Ich hatte vor lauter Frühlingsgedanken den Schrank obenauf ganz vergessen.

©Elke Bontjer-Dobertin

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