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Einen Zahn zulegen

Von Pinnacle Dienstag 09.06.2020, 09:25

Einen Zahn zulegen
Joa Bosch ©BJS

„Jetzt leg mal einen Zahn zu, riechst Du denn nichts angebranntes?“ fauchte Theodorus seinen Mitbruder Harmuth an. Dabei rührte er mit einem hölzernen Schöpfer heftig in dem Kessel voll brodelnder Grütze und fügte hinzu: „Die Brüder haben das Sanctus schon gesungen und läuten gerade die Vesper ein“. Hartmuth kam der Anweisung sofort nach und kurbelte murmelnd an einer mächtigen Konstruktion, einem eisernen Kochgestell, das sich direkt über der Feuerstelle befand. Langsam glitten erst ein, dann weitere Glieder einer Kette über das ächzende Zahnrad. Das riesige rußgeschwärzte Kochgefäß hob sich dabei in die Höhe und entfernte sich immer mehr von den lodernden Flammen.

Als der Kessel sich in einer sicheren Höhe befand, beendete Bruder Hartmuth das Kurbeln und ein Zahn des Rades rastete knirschend in einem Kettenglied ein. Das Brodeln im Kessel ging sofort in leises Blubbern über. Jetzt erfüllte das Schlurfen von Füßen das Refektorium, dem wärmsten Raum im gesamten Kloster. Die Ordensbrüder reihten sich schweigend in eine lange Schlange hinter dem Prior ein. In den Händen hielten sie ihr Essgeschirr und harrten der Dinge. Nun schwenkte Hartmuth das Kochgefäß vom Feuer weg und Theodorus füllte nach und nach die Näpfe mit der kargen Mahlzeit. Bei jedem Schöpfer dankten die Mönche dem Herrgott mit einem
“Gratias Domini Nostri” und begaben sich zu ihrem zugestanden Platz.

Als der ehrwürdige Prior sich löffelnd umblickte und dabei die zufrieden schmatzenden Brüder sah, dachte er dabei an den schon längst in Verzug gekommenen Anbau der Krankenstation und sprach stumm zu Gott:
„Oh Herr, wir müssen wohl einen Zahn zulegen“.

*
Die Redewendung “einen Zahn zulegen” stammt ursprünglich aus dem Mittelalter und hat etwas mit knurrenden Mägen zu tun. Damals kochte man noch über offenem Feuer und nutzte sogenannte Kräuel, um die Töpfe über dem Feuer aufzuhängen. Die Metallstreifen hatten viele Zacken, um das Mittagessen im Topf näher ans Feuer oder weiter davon entfernt garen zu lassen.

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