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Die Mutter

Von Feierabend-Mitglied Dienstag 31.01.2023, 11:55 – geändert Dienstag 31.01.2023, 23:06

Sie, Melanie, ein Nachkriegskind, hörte gerne Vaters Erzählungen. Er hat ihr mehr anvertraut, als ihrer Mutter, seiner Frau, die von den Kriegserlebnissen ihres Mannes nichts wissen wollte. Melanie hat es schon als Kind gespürt, dass zwischen den Eltern eine Mauer des Schweigens stand. Als Kind hat sie es nicht verstanden, aber oft beobachtet, dass ihre Mutter dem Vater das Leben nicht leicht gemacht hat. Später, als Jugendliche, hat sie genug eigene Probleme gehabt und war immer seltener zu Hause. Nach dem Studium eigentlich nur zu Gast. Sie hatte aber mitbekommen, dass ihr Vater daran zerbrach und aus einem Unternehmer wurde ein Trinker.
So fragte sie sich manchmal, war ihre Mutter eine gefühlslose Frau? Das ist eine harte Verurteilung, das war ihr bewußt, aber zwischen ihren Eltern war keine liebevolle Bindung. Ihr Vater war mehr gefühlvoll, verständnisvoll. Die Mutter war Gegenteil von ihm.
Er war gut genug, um das Geld zu besorgen, die Familie zu ernähren. Von seinem Geld hat er keine Mark gesehen. Sie hat ihn mit Zigaretten und Schnaps versorgt, sobald er nach Hause kam, dann ins Schlafzimmer “befördert“. So hatte sie ihre Ruhe. In Mutters Augen war keine Wärme zu erkennen. Nicht für den Ehemann, nicht für die einzige Tochter und auch für ihre zwei Söhne nicht. Nur Pflicht. Was anderes kannte sie nicht.
Es dauerte eine Zeit, bis die Melanie dahinter kam, dass ihre Mutter eigentlich ganz anders ist. Das war nur ihr Schutzpanzer, eine äußere Schale. Darunter, eine Frau, die in einer Zeit lebte, in der Gefühle zu zeigen verboten war, unmöglich sich diese selbst zu gestehen.
Nach Vaters Ableben kam die alte Dame mit 92 Jahren zu ihr. Erst jetzt waren sie sich näher gekommen. Sie fanden auch die Zeit und Mut für ehrliche Gespräche. Melanis Kinder waren längst aus dem Haus und sie war auch schon pensioniert.
Ihre Mutter überraschte sie immer wieder mit ihren Äußerungen. Sie war erstaunlich geistig fit und an gesellschaftlichen und politischen Ereignissen noch sehr interessiert. Recht detailliert erzählte sie ihr die Geschichte ihrer Vorfahren, die bis 4 - 5 Generationen zurück reichte. Mit der Zeit hat sie sich geöffnet und von den schrecklichen Kriegserlebnissen als Frau und Mutter immer öfter erzählt. Von Mutters 13 Geschwister waren alle 12 im Krieg verschollen oder nach Sibirien verschleppt. Nur ein Bruder und sie wurden verschont. Oft sagte sie in ihrer ruhiger Art, leise, als wollte sie ihre Gedanken nur für sich behalten, dass es vielleicht besser wäre, wenn die Frauen damals die Macht ergriffen hätten.
Erst jetzt begriff Melanie, dass ihre Mutter die Männer für den Krieg verantwortlich machte. Sie hat dem Vater nie verziehen, dass er in den Krieg, der ihre Träume zerstört hat und viel Leid brachte, gezogen war.

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