Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

6 7

Der Knotenfurz

Von Pinnacle 07.06.2020, 09:11

Der Knotenfurz
Joa Bosch©BJS


Nein, ich hielt dieses aufgeblähte Völlegefühl nicht mehr aus. Am Vorabend hatte ich bei Oma Mechthild noch ein deftiges Szegediner Gulasch ausgiebig genossen, aber seit dem frühen Morgen plagten mich, trotz vier Tassen Fencheltee, die heftigsten Bauchkrämpfe. Bedrückt und gebückt begab ich mich zur S-Bahnstation Königs Wusterhausen. Von dort fuhr ich, wie jeden Morgen, mit der S46 zu Alexanderplatz, wo sich die Berliner Niederlassung meiner Firma befindet.

Als ich auf dem Bahnhofsvorplatz die gelbe Rettungsinsel, eine Telefonzelle sah - ja in den 80er Jahren gab es so etwas noch - schrie mein Verstand: „Jetzt ruf doch endlich die Oma an!“ Na klar, denn so wie sie all die alten Heimatkochrezepte im Kopf hatte, wusste sie bestimmt auch ein bewährtes Hausmittel gegen diese Beschwerden. Also begab ich mich in die Zelle, kramte zwei Groschen hervor und wählte ihre Nummer

Oma Mechthild meldete sich: „Schauermann?“ Ich antwortete: „Guten Morgen Omi, hier Oskar, dein Szegediner Gulasch bringt mich noch um, was kann ich bloß gegen diese verdammten Bauchkrämpfe machen? Fenchel hilft da auch nicht.“ Lachend antwortete sie: „Was du brauchst, das sind Flatulenzen, also Darmwinde, damit die Blähungen, abgehen: Am besten einen Knotenfurz, der hilft alleweil.“ „Was issen das?“ entfuhr es mir. Sie kicherte: „So oft Du kannst, die ganze Mundhöhle einspeicheln, tief Luft holen, Speichel und Luft runterschlucken und dann pressen, pressen, pressen. Das Ganze so lange wiederholen, bis sich alle Gärgase verknoten und sich somit der Knotenfurz bildet, der dann mit den Winden abgeht. Das hilft immer!“

Ich wollte gerade ein paar Groschen zum Nachzahlen einwerfen, als ein dicker Mann von außen ungeduldig mit seinen Münzen an die Glastür klopfte. Ich deutete ihm mit verständlichen Gesten an, dass ich noch einen Moment benötige und begann mit den Übungen. Oma fragte: „Was machst Du denn da?“ „Ich speichle, atme, schlucke und presse, so wie Du mich geheißen hast.“ Dabei machte ich laute Schmatz-, Lufthol-, Schluck- und Stöhn-Geräusche. Zwischendurch schlug der Dicke immer fester an die Scheibe. Oma sagte unbeirrt: „Gut, Du machst das sehr gut, mach so weiter, Mund einspeicheln, tief Luft holen, runterschlucken und pressen, pressen, pressen. Weiter, weiter, pressen, pressen“

Als ich nach der x-ten Runde mit hochrotem Kopf laut zu japsen begann, drehte sich der Dicke zu der inzwischen angewachsenen Anrufer-Warteschlange um, tippte sich an die Stirn und deutete dabei auf mich. Dann schlug er wütend mit der Faust an die Tür und schrie: „Mach endlich hin, Du Edelwahnsinniger.“ Ich nickte prustend. Oma gleichmütig: „Weiter, weiter, einspeicheln, Luft holen, runterschlucken, pressen, pressen, pressen, weiter, weiter.“ Ich wiederholte alle ihre Kommandos und plötzlich war er da. Der Knotenfurz kroch lautlos, aber umso heftiger aus mir heraus.
Glücklich rief ich: „Oma, er ist raus.“ Sie sagte: „Gut mein Junge, aber mach den ganzen Tag so weiter bis restlos alles verpufft ist.“

Erleichtert dankte ich Oma, versprach ihr auch noch weitere Übungen zu machen, hängte den Hörer ein, öffnete die Tür und hielt sie freundlicher Weise dem Dicken auf, damit er sich in die enge Zelle zwängen konnte. Ich war schon im Gehen, als sich plötzlich die Zellentür wieder öffnete und der Dicke, den Telefonhörer wie eine Keule über sich schwingend, brüllte: „So ein verfurztes Dreckschwein“ und eine hinter ihm stehend Frau, die den gleichen Geruch einatmetet, schrie ihn sogleich an: „Sie Stinkeschwein, Sie elendiges.“ Der Dicke tobte laut: „Neinneinnein, das war ich nicht, da hinten läuft diese Furzsau!“

So schnell wie ich konnte verschwand ich mit Speicheln, Luft holen, Schlucken und Pressen im S-Bahnhof. Dabei zog ich eine Duftwolke der besonderen Art hinter mir her. Die für mich eigentlich angenehm riechende Fäulnisgase, bestehend aus vergärter gewürfelter Schweineschulter und geräuchertem Speck, sowie Zwiebeln und viel Knoblauch, vermengt mit Sauerkraut und Kümmel, vermischt mit saurer Sahne und dicken Saubohnen, erinnerten doch sehr an Omas Rezept.
Schmunzelnd stieg ich in die S46 ein. Speicheln, Einatmen, Speicheln, Einatmen, Speicheln, Schlucken, Pressen, Einatmen, Schlucken, Pressen, Schlucken, Pressen, Pressen, Pressen.

Etwas später, als vom Band die Ansage ertönte: „Nächster Halt: Platz der Befreiung“, kam die endgültige Erleichterung. Die letzte Pressung war doch wohl zu stark gewesen und ich spürte wie die „warme Befreiung“ in meinen Hosenbeinen, der Schwerkraft gehorchend und auf dem Weg ins Freie, bis hinunter in die Schuhe lief. Eingekesselt von wutschnaubenden Fahrgästen gab es bis zur Haltestelle diesmal für Niemanden ein Entkommen.

Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten

Mitglieder > Mitgliedergruppen > Kreativ Schreiben > Forum > Der Knotenfurz