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So geschehen in Lourdes

Von ehemaliges Mitglied Dienstag 03.11.2020, 07:42


Die ersten Zeichen der Krankheit meines Mannes hielt jeder für vorübergehende Erschöpfung. Pierre war ja erst siebenundfünfzig Jahre alt. Aber als sich sein Zustand verschlimmerte, mussten wir mehrere Ärzte konsultieren, die ihm kaum noch ein Jahr gaben.

Mein Mann hatte keinen Glauben. Mich aber hielt mein Glaube aufrecht. Und meine Gedanken gingen nach Lourdes. Es fiel mir nicht schwer, eine Reise nach Europa zu begründen, konnten wir doch dort eine Reihe Spezialisten aufsuchen. So war Pierre auch damit einverstanden, in Lourdes halt zu machen, trotz seiner Gleichgültigkeit. Im Jahre 1956 fuhren wir von Kalifornien über New York und Le Havre zuerst nach Paris. Nach drei Tagen hatte Pierre genug von den Ärzten. „Lass uns gleich nach Lourdes fahren."

Am ersten Abend ging ich allein zur Grotte. Pierre zeigte zwar für die geistlichen Einflüsse eine gewisse Empfänglichkeit, hielt aber im übrigen Religion und Wunder für Unsinn. Und niemand diskutierte mit ihm.

Zwei Wochen nach unserer Ankunft wurde ein dreizehnjähriges Mädchen zur Grotte gebracht. Beide Beine waren amputiert. In seiner skeptischen Stimmung fragte Pierre sie, ob sie vielleicht erwarte, Gott werde ihr die Beine zurückgeben. Doch lachend sagte das Mädchen, dazu sei sie nicht nach Lourdes gekommen, sondern nur um den Seelenfrieden von Gott zu erflehen. Und das Kind fügte hinzu: „Warum sind eigentlich Sie so mutlos? Ihr Fall ist lange nicht der schlimmste."
Als man am nächsten Tag das Eis in den Bädern zerschlug, schloss sich Pierre dem jungen Mädchen an und ließ sich untertauchen. Es schadete ihm körperlich nichts — aber er fasste neuen Mut.
Mit Pierre ging eine Veränderung vor. Er fing an, den wahren Frieden zu entdecken. Täglich machte er im Rollstuhl den Rundgang um das Heiligtum. Er sollte das ein ganzes Jahr lang tun. Die Krankheit besserte sich nicht, aber Pierre wurde wieder der energische Mann von einst. Vor allem die Genesungen und Bekehrungen änderten seine religiösen Ansichten. Es war ein langsames, aber stetiges Aufwärtsschreiten einer ringenden Seele mit dem Ziel: GOTT.

Als man wieder einmal einen völlig gelähmten Knaben brachte, den mein Mann mit eigenen Augen geheilt sah, fasste Pierre den Entschluss, katholisch zu werden. Auch er wollte zu dieser Religion gehören, die sich in Krankenhäusern und Spitälern der Flut von Krankheit und Elend widmete. Er fing an, mit der Not all dieser Leidenden mit zu leiden. Eines Tages erfuhr er, es fehle den »Schwestern von der Liebe« an Decken für tausend Krankenbetten. Er versprach ihnen tausend Decken der besten Qualität, ohne die Geldfrage zu bedenken.

Pierre lebte wirklich in einem tiefinnerlichen Frieden, der auf mich ansteckend wirkte. Sein Rollstuhl wurde ein echter Anziehungspunkt für echte Freunde. Doch die Krankheit untergrub seinen Organismus immer mehr, und ich bereitete alles vor, um ihn im Krankenhaus von Toulouse in eine eiserne Lunge aufnehmen zu lassen. Kurz nachdem man meinen geliebten Mann in die eiserne Lunge gepackt hatte, ließ er sich in den Schoß de katholischen Kirche aufnehmen. Drei Tage später, am 1. Dezember 1956, starb er. Kaum wage ich es zu bekennen: Die Freude besiegte meine Trauer. Mein geliebter Gatte war tot, aber ich wusste jetzt, dass er für immer lebte. Und so war uns — meinem Mann und mir — ein Wunder geschehen in Lourdes. Zu Hause ließ mir der Gedanke an Pierres Versprechen gegenüber den »Schwestern von der Liebe« keine Ruhe. Den Freunden meines Mannes hatte ich davon erzählt, und sie halfen mir. Tausend Wolldecken ließen sie auf ihre Kosten herstellen. So landete ich mit Hilfe der Air France und eines französischen Kraftfahrers am 18. Dezember 1957 mit meiner Fracht in Lourdes. Welch eine Überraschung für die Schwestern! Das Versprechen Pierres war eingelöst, und ich erkannte staunend — zum zweiten Mal: Meine Freude war größer als mein Leid.


Aus dem Buch "Die schönsten Mariengeschichten"
von Stadtpfarrer Karl Maria Harrer, München

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