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Meine Hand hielt den Rosenkranz

Von ehemaliges Mitglied Samstag 24.10.2020, 08:31


Ich war in harter Gefangenschaft. Täglich Aufstellen und Abkommandieren in Gruben und Bergwerke. Post von daheim und zurück gab es nicht. Was ist mit Frau und Kindern? Leben sie noch? Wie geht es weiter? Das waren bange, kummervolle Fragen.
Nach Monaten sah ich mich im Spiegel beim Lagerfriseur. Das konnte ich nicht sein. Der Friseur antwortete: „Was glaubst du, wer es denn sonst sein könnte?" Ich wog noch 42 Kilo. Mir kamen die Tränen. Beim Antreten im Lagerhof standen wir zehn Mann hintereinander. Es waren zusammen 6000. Ich befand mich gewöhnlich in den hintersten Reihen und konnte meiner Größe wegen, 1,56 m, von jemand, der die Front abschritt nicht gesehen werden. Das kam mir insofern zu Hilfe als ich ungestört Gelegenheit zum Rosenkranzgebet hatte (wir haben den Rosenkranz untereinander sogar ausgeliehen).

Es war am Fest Maria Himmelfahrt. Wir standen wieder in Reih und Glied. 18 Uhr abends. Was konnte schon Außergewöhnliches passieren. Musterung und Abkommandierung zur Arbeit. Das gewohnte Leben. Aber heute war Maria Himmelfahrt. Ich betete den Rosenkranz. Da munkelte man plötzlich durch die Reihen: „Die Ärztin!" Wir kannten sie. Eine kleine Frau, etwa meine Statur. Natürlich in Uniform. Ich war inzwischen beim vierten Gesätz: „Der dich, o Jungfrau, in den Himmel aufgenommen hat." Liebe Gottesmutter, dachte ich, du hast heute deinen Feiertag. Du wurdest in den Himmel aufgenommen. Gib mir doch etwas von deiner Freude mit!

Plötzlich war vorne in den ersten Reihen irgendetwas los. Ein Rutschen und Scharren mit den Schuhen. Ist jemand ohnmächtig geworden? Ich stellte mich auf die Zehen, um besser sehen zu können. Nein, nichts passierte. Die Ärztin hatte sich durch die ersten Reihen gezwängt und sah zu mir herüber. Was sollte das? Ich stand doch in der zehnten Reihe. Sie konnte mich Kleinen gar nicht sehen.
Sie winkte mir: „Komm her!" Ich glaubte, mein großer Vordermann sei gemeint, aber es galt mir. Ich musste nach vorne treten. Der Dolmetscherfragte mich, wie ich mich fühle. Ich antwortete, ich sei eben sehr schwach. Da kauderwelschte die Ärztin etwas und winkte mich auf die Seite. Dort standen schon zehn Kameraden. — Was sollte mit uns werden? Da die Überraschung: Entlassung aus russischer Gefangenschaft. Meine Hand hielt den Rosenkranz. Fest Mariä Himmelfahrt. Ich durfte an der Freude des Tages teilnehmen. — Mutter, ich danke dir! Aber lass die anderen bald nachkommen, sie haben Heimweh wie ich.
Als die Kameraden merkten, dass nun tatsächlich die ersten von ihnen heimfuhren, da lebte die Hoffnung und mit ihr das Leben in ihnen wieder auf. Für mich aber blieb es mehr als ein Heimkehr — denn es war an Mariä Himmelfahrt geschehen.

Anton Ruhl

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