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Die SS wollte mich erschießen

Von ehemaliges Mitglied Montag 02.11.2020, 07:27


Es war in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges. Ich war damals ein Mädchen im Alter von 23 Jahren und in der Nähe von München als Verkäuferin beschäftigt. Meine Mutter wohnte in dieser Zeit mit meinem zehnjährigen Bruder in einem stillgelegten Bauernanwesen in einer Ortschaft des Chiemgaues. Mein Vater und zwei Brüder waren beim Militär an der Ostfront und ein Bruder in Frankreich. In Sorge um meine Mutter entschloss ich mich trotz der damals herrschenden Verkehrsunsicherheit infolge der Bombenangriffe, besonders auf die Stadt München — erfahrungsgemäß musste man zu Fuß durch die ganze Stadt marschieren —, sie Samstagabend bis Montag früh zu besuchen. Als ich daheim ankam, war meine Mutter krank. Da sich ihr Gesundheitszustand bis zu meiner geplanten Rückreise nicht besserte, entschloss ich mich, noch eine Woche bei ihr zu bleiben und entschuldigte mich telefonisch bei meinem Arbeitgeber. Inzwischen erfuhr man in dem Dorf, dass die Amerikaner weiter vorgedrungen waren und bereits München besetzt hatten. Es wurde davon gesprochen, dass die »Amis« bald Rosenheim erreichen und wohl auch in unser Dorf kommen werden. Die Leute rieten, weiße Tücher an den Fenstern und Balkonen aufzuhängen. Wir taten dies, wie auch die meisten Dorfbewohner. Als wir jedoch nach einer Stunde hörten, dass die Amerikaner noch nicht so weit vorgedrungen seien, zogen die Leute ihre weißen Tücher wieder zurück. Auch ich nahm das weiße Tuch, merkte aber nicht, dass die in unserem Hause wohnende Mieterin das Hereinnehmen vergessen hatte. Es dürften wieder einige Stunden vergangen sein; meine Mutter, deren Gesundheitszustand sich im Laufe der Tage gebessert hatte, verschaffte sich in einem Schuppen Ablenkung durch Arbeit. Mein kleiner Bruder spielte draußen mit anderen Dorfbuben und ich befand mich ganz allein in dem großen Hause. Um meine unsichere Stimmung los zu werden, putzte ich auf dem 10 m langen Gang des Erdgeschosses, so etwa in der Mitte, vor der Küchentür die Schuhe. Da plötzlich wurde die Haustür, die von der Straßenseite her den Zugang zu dem Hausgang bildete, aufgestoßen und ein SS-Kommandant mit sieben SS-Männern im Gefolge stürzte herein und auf mich zu. Der Kommandant schrie mich an: Wer hat Ihnen gesagt, die weiße Fahne zu hissen?

Sofort umringten mich die SS-Männer. Ich gab zur Antwort: Ich kenne die Leute hier nicht. Dies stimmte auch, denn meine Eltern waren erst in das Dorf gezogen, als ich schon von daheim weg und in dem Geschäft bei München angestellt war. Nun schrie der SS-Kommandant: „Sie werden erschossen!" In meiner Todesnot rief ich innerlich zur Gottesmutter, denn meine Gedanken waren: jetzt kann mich nur mehr sie retten. Ich verehrte sie ja schon von Kindheit an und hatte ein großes Vertrauen zu ihr. In demselben Augenblick gingen der SS-Obere und die sieben SS-Männer zur Haustür und sie verließen, ohne etwas zu sagen, das Haus. Eine Zeit darauf kam meine Mutter wieder in das Haus und ich erzählte ihr, was geschehen war. Wir erkannten, daß es gut war, dass meine Mutter bei dem Vorfall nicht im Hause war; denn was tut eine Mutter in einer solchen Situation für das Leben ihres Kindes! Es wäre wahrscheinlich ein größeres Blutbad zu befürchten gewesen. Am Abend desselben Tages kam einer von den sieben SS-Männern zu uns und sagte: Es ist noch nicht vorgekommen, dass unser Kommandant einen derartigen Befehl nicht durchführen ließ. In den letzten Tagen ließ er mehrere Leute erhängen. Seine Kameraden, so berichtete er, haben gesagt: Uns hätte nur das junge Mädchen leid getan. Mir aber wurde damals sogleich klar und in den vielen Jahren seit dem schrecklichen Erlebnis kommt es mir immer wieder zum Bewusstsein, dass ich das Überleben der damaligen Stunde der Gottesmutter verdanke.
M. R.


Aus dem Buch "Die schönsten Mariengeschichten"
von Stadtpfarrer Karl Maria Harrer, München

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