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Ich bin Du …

Von Feierabend-Mitglied Montag 15.07.2024, 10:29 – geändert Montag 15.07.2024, 10:40

Ich hab geträumt von mir.
Ich sah ich mich selbst als kleinen Jungen, ungefähr sieben Jahre alt, in einem Fahrradständer sitzen. Diese standen in den 50er Jahren praktisch vor jedem Geschäft in unserer Gasse. Neben mir saß Evi, meine Freundin aus dem Nachbarhaus. Es sah aus, als würden wir freiwillig in einem Käfig sitzen. Mit einer Hand hielten wir uns an den Stäben fest, mit der anderen umarmten wir uns. Dass wir später einmal heiraten würden, war beschlossene Sache.
Ich schwebte quasi über den beiden Kindern, war zugleich der siebenjährige Ferdinand, der niemals so gerufen wurde, sondern immer nur der „Burli“ war. Das Verrückte an diesem Traum war, dass ich der Junge und zugleich dessen Vater war. Ich fühlte mich verantwortlich für den Buben. Ich (er) redete mit Evi, die mir (ihm) soeben ein fantastisch gut riechendes Döschen geschenkt hatte. Evi hatte immer so gut riechende Sachen dabei. Sie selbst duftete wie sonst niemand, außer ihrer Mutter, die besaß nämlich einen Friseursalon.
Die beiden sprachen leise, aber ich wusste ohnehin, worum es ging: Sie sprachen von der Zukunft. Evi wollte Kosmetikerin werden – Burli hingegen Kaufmann. Er) träumte von einem Kaffeeladen, der mindestens so gut riechen sollte wie das Delikatessengeschäft von Julius Meinl.
Ich sah in Burlis Augen und gab mich zu erkennen. „Ich bin Du”, sagte ich, „bin nur etwas älter geworden. Ich will dir helfen glücklich zu werden. Ich will alles Übel von dir fernhalten. Möchtest du das?”
Der Junge nahm Evi an der Hand und stieg aus dem Fahrradständer. In dem Moment, als die beiden vor mir standen, sah ich in Burlis Gesicht – es war zum Gesicht des erwachsenen Ferdinand geworden.
„Du bist zu spät“, sagte er, nahm seine Freundin an der Hand und ging. Von irgendwo her hallte seine Stimme: „Wo warst du, als ich dich gebraucht hätte? Manchmal hatte ich Fragen, die nur du hättest beantworten können.“
Schweißgebadet schrak ich mitten in der Nacht hoch. Seitdem quält mich die Frage, was dieser Traum mir sagen soll. Jetzt sitze ich am Küchentisch, trinke meinen Frühstückskaffee und versuche einen klaren Kopf zu bekommen. Kurz kommt mir der Gedanke in den Sinn, meinen Psychologenfreund Thomas anzurufen. Weil ich aber aus Gesprächen mit ihm weiß, was er mir antworten würde, unterließ ich es und grübelte weiter.
Ich kann mir den Traum nur so erklären, dass es um meine Literatur geht. Seit langem schreibe ich an einem biografischen Roman. Meine Recherchen sind aufwändig, weil alles so lange zurückliegt. Die meisten Menschen von damals leben nicht mehr. Ich versuche alles, um in die Seele meines kleinen Protagonisten zu schlüpfen, um so authentisch wie möglich sein bescheidenes Leben in den Nachkriegsjahren wiederzugeben.
Mein Traum könnte belanglos sein – es könnte aber auch eine Projektion sein – die meine eigenen Gefühle meinem Vater gegenüber darstellen. Dieser Satz ist natürlich von Thomas, meinem Psycho-Freund, der sagt so etwas.

© by salzbaron

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