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Die Beerdigung einer Klassenkameradin - Sommer1959

Von Feierabend-Mitglied Donnerstag 01.06.2023, 10:00


Vor einigen Tagen fiel mir ganz plötzlich ein Erlebnis ein, an das ich so viele Jahre nicht mehr gedacht habe.

Es war im Sommer 1959, ich gehörte zu den I-Männchen, wie man damals bei uns die Erstklässler nannte. Zu Ostern war ich eingeschult worden.

Unsere damals noch sehr junge Lehrerin hatte sicherlich alle Hände voll zu tun, denn wir waren etwas mehr als 50 Schüler in der Klasse. Dazu gehörte auch ein sehr ruhiges, sehr nettes und höfliches Mädchen mit langen, sehr streng geflochtenen Zöpfen, die bei Schulschluss immer noch so perfekt aussahen wie am Morgen, ganz im Gegenteil zu meinen. Margitta Schw. hieß sie und kam aus einer sehr kinderreichen Familie. Ob es 6 oder 8 Geschwister gab, weiß ich heute nicht mehr. Für mich, ich lebte allein mit meiner Uroma, war das unvorstellbar.

Eines Tages kam Margitta nicht zur Schule. Hinter vorgehaltener Hand erfuhr man, dass sie verschwunden sei. Lesen konnte ich zwar schon etwas, aber wahrscheinlich hat mir die Omi in den folgenden Tagen die langen Artikel mit den vielen großen Bildern vorgelesen, Bilder von Margitta und ihren Schwestern und Brüdern.
An eine Überschrift erinnere ich mich genau: Margitta komm nach Hause.

Aber nicht nur meine Klassenkameradin war verschwunden, sie hatte die Wohnung in Begleitung ihrer zwei jüngeren Geschwister verlassen.

Nicht sehr weit vom Haus, in dem ich damals lebte, floss die Ruhr. Für die Familie Schw. aber waren es nur sehr wenige Gehminuten. Einige Tage später geschah das, was man befürchtet hatte, man fand die drei toten Kinder, sie waren ertrunken. Man vermutete, dass eines der kleinen Kinder abgerutscht und ins Wasser gefallen war und die große Schwester helfen wollte...

Ich kann mich gut an meine Gefühle während der Beerdigung erinnern. Alle Lehrer und alle Schüler waren gekommen, unser Rektor hielt eine kurze Rede. Der Friedhof war schwarz von Menschen.
Wirklich vorbereitet hat man uns sicherlich nicht auf diesen Moment. Trotz der vielen Menschen und meiner Freundin neben mir, fühlte ich mich irgendwie allein und verloren beim Anblick der drei kleinen weißen Särge.

In den nächsten Jahren schickte mich die Omi an Sommerabenden oft zum Friedhof. Die Gießkanne hing in einer Tasche am Lenker meines Rollers und los ging es, die Gräber vom Uropa und von der Großmutter, die bereits vor meiner Geburt gestorben war, gießen und auch gelegentlich etwas Unkraut zupfen.

Immer führte mich mein Weg am Grab der drei verstorbenen Kinder vorbei. Und immer stieg ich vom Roller, blieb einen Moment stehen und dachte an meine Klassenkameradin.

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