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Begegnung - in Israel

Von Melanchthon Dienstag 28.01.2020, 13:24

Vorhin habe ich den Film „Die Kinder von Windermere“ gesehen, nicht nur weil mich die Thematik interessiert sondern auch, weil ich vor vielen Jahren eine wunderbare Woche in der Region verbrachte.
Die Gegend ist eine Mischung aus relativ hoch erscheinenden, spärlich bewachsenen Bergen, die aus grünen Weiden und Wiesen plötzlich aufstreben und dazwischen diese spiegelnden kleinen und größeren Seen, Zu-Fuß-Zu-Umrunden und lieblich oder so groß, dass das andere Ufer nicht mehr sichtbar ist.

Natürlich musste ich auch die nachfolgende Dokumentation von „History“ sehen und mir kamen, wie schon oft bei diesem Thema die Tränen.
Welche Schuld haben unsere Großväter und Väter uns aufgeladen, eine Schuld die man nicht verdrängen kann und die heute von manchen Parteien einfach verleugnet wird. Aber sie ist da, und wird auch nicht weggehen, wenn man sie negiert!

Die Begegnung die ich in Israel am Toten Meer machte drängt sich mir wieder voll ins Bewusstsein.
Seit der Pubertät leide ich an Schuppenflechte (Psoriasis). Als sie mich wieder einmal im Würgegriff hatte, flog ich nach Israel ans Tote Meer.
Das Tote Meer wirkt unwirklich. Eine spiegelglatte Wasserfläche, ohne Pflanzen, ohne Fische oder anderes Getier, mitten in der Wüste, von halbhohen, kargen Bergen umgeben. Grün nur da, wo die Hotels Gärten angelegt haben, die Straßen mit Palmen gesäumt sind, usw.

Da das eigentliche Solarium gerade in einer Umbauphase begriffen war, hatte man zwei Behelfssolarien aufgebaut, Männlein und Weiblein - natürlich getrennt - lagen wir nackt auf Liegen. Wenn wir im Meer schwimmen wollten, richtig schwimmen konnte man eigentlich nur am späten Nachmittag, wenn nur noch wenige Badegäste das Wasser aufsuchten, zog man einen Badeanzug an, um das durch Palisaden abgegrenzte Areal Richtung Wasser zu verlassen. Nach dem erholsamen ‚Gleiten‘ auf dem Wasser, ich habe es ausprobiert, man kann dabei wunderbar lesen, wurde geduscht, der Badeanzug ausgezogen und wieder liegend die Sonne genossen.

Um meine Englisch-Kenntnisse zu erhalten, las ich damals nur englischsprachige Bücher. Bereits nach kurzer Zeit kam ich mit der neben mir liegenden Frau, einer älteren Dame, ins Gespräch.
Sie kam aus Tel Aviv. Wir unterhielten uns über Israel und das Tote Meer. Sie erzählte mir, dass sie jedes Jahr zwei Mal für einige Tage eine Kur am Toten Meer macht, da ihr die warme, trockene Hitze und das Wasser so gut bekomme.

Einige Tage später lernte ich andere Frauen meines Alters aus Deutschland kennen. Sie nutzten Liegen ein Stück entfernt von meinem Platz, aber wir hatten uns beim Verlassen des Wassers getroffen und wollten unser Gespräch fortsetzen, also blieb ich bei ihnen stehen.
Zurück an meiner Liege stellte ich fest, dass meine Nachbarin nicht mehr da war.

Sie kam auch am nächsten Tag nicht wieder. Eine ganze Woche blieb die Liege neben mir leer.

Umziehen zu den anderen Deutschen, die nebeneinander lagen, wollte ich nicht. Manchmal ging ich zu ihnen für ein Gespräch, manche traf ich ja sowieso abends nach dem Abendessen für einen Plausch, einen Drink oder Spaziergang, aber ich behielt die Liege bei, die ich von Anfang an belegt hatte.

Nachdem meine Nachbarin auch in den folgenden Tagen nicht zurückgekehrt war, nahm ich an, sie sei abgereist.

Es war ungefähr eine Woche vergangen, wegen eines Berges, der immer früher, die Sonne im Solarium verschattete, schließlich war es Ende September, mutierte ich zum Frühaufsteher um jeden Sonnenstrahl, den ich bekommen konnte, auszunutzen, kam ich im Solarium an und war überrascht meine Nachbarin wieder vorzufinden. Natürlich zeigte ich meine Freude, denn sie war eine sehr nette und liebenswerte Dame.

Das nachfolgende Gespräch werde ich nie vergessen:
Wegen der Bücher war sie der Meinung gewesen ich sei Engländerin. Erst als ich mit den Deutschen schwätzte sei ihr klar geworden, dass ich zum Volk der Feinde gehörte.
Sie hätte mit sich gekämpft. Eine Woche gebraucht, um sich dazu durchzuringen noch einmal ins Solarium zu kommen und mit mir zu reden.
Sie zeigte mir die im Arm eintätowierte Nummer, die sie als Überlebende stigmatisierte und gab mir im Prinzip die Absolution, denn schließlich, wie sie sagte, war ich zu der Zeit noch nicht geboren.

Es war ihr letzter Tag am Toten Meer und sie war lediglich gekommen, um mit mir zu reden und vielleicht Frieden zu schließen. Frieden mit den Nachkommen eines Volkes, das vielleicht ihre ganze Familie ausgelöscht hat?

Inzwischen bin ich etwa so alt, wie sie damals wohl war. Aber diese Begegnung habe ich nie vergessen und sie ließ mich nie los.

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