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Herr Zapf oder die verärgerte Logik

Von ehemaliges Mitglied Montag 14.10.2019, 10:43


Herr Zapf oder die verärgerte Logik


Willi Zapf, arbeitslos seit Jahren, in einfachsten Verhältnissen lebend und in erheblichem Maße dem Alkohol zugetan, erfuhr eines nachts im Traum von einer guten Fee, dass sich sein Leben grundlegend verändern wird.
Die Fee, ein wunderschönes ätherisches Wesen, kam zu Willi in seine armselige Behausung, tippte ihm auf die Brust und sagte:

„Morgen musst du zeitig aufstehen, dein letztes Bargeld zusammensuchen und dir für 10 Euro eine Flasche Wodka kaufen. Du darfst sie aber nicht öffnen und davon trinken.“

„Warum denn nicht“, fragte Willi.

„Warte ab, morgen Nacht, wenn du schläfst, wirst du weitere Anweisungen erhalten“, entgegnete die Fee und verschwand aus Willis Traum.

Willi suchte am nächsten Morgen aus allen Jacken- und Hosentaschen die Cents zusammen, brachte leere Pfandflaschen zum Getränkemarkt und als er endlich die 10 Euro beisammen hatte, ging er zum Supermarkt und kaufte eine Flasche Wodka. Zuhause stellte er sie auf seinen Nachttisch, widerstand der Versuchung, sie zu öffnen und wartete ungeduldig bis zum Abend. Er schlief auch gleich ein. Die wunderschöne gute Fee erschien ihm in goldenem Gewand und hauchte:

„Das hast du gut gemacht, Willi Zapf, höre nun, was ich dir jetzt zu sagen habe. Morgen wirst du in dein Stammlokal gehen und dir vom Wirt ein Schnapsglas mit Eichstrich borgen.“

„Was soll ich denn damit, ich trinke viel lieber aus der Flasche“, nörgelte Willi.

„Warte ab, habe Geduld, vertraue mir“, sagte die gute Fee „morgen Nacht erhältst du weitere Anweisungen, adieu bis zu deinem nächsten Traum, ich komme wieder.“ Und weg war sie.

Am nächsten Morgen war Willi Zapf dann doch etwas frustriert. Soll ich etwa wieder den ganzen Tag die schöne Wodkaflasche anstarren und nichts davon trinken, dachte Willi voll Ingrimm und schlüpfte in seine Hose, dazu noch die komische Idee mit dem Schnapsglas. Aber er tat, wie ihm geheißen. Der Wirt von Willis Kneipe war zwar etwas überrascht, gab aber seinem guten alten Stammkunden das Schnapsglas mit Eichstrich. Willi eilte nach Hause und stellte das Glas neben die Wodkaflasche. Ein Anblick war das, verlockend und schön.
Willi Zapf seufzte laut. Er legte sich früh ins Bett und war gespannt, was die gute Fee ihm diese Nacht mitzuteilen hatte. Und tatsächlich, die Fee erschien wie versprochen und lobte Willi für sein Verhalten.

„Sehr gut, Willi", sagte sie, "nun hast du den Grundstein für deinen zukünftigen Reichtum gelegt. Heute habe ich es ein bisschen eilig, aber morgen sage ich dir, wie du weiter verfahren sollst. Vergiss nicht deine Sozialhilfe abzuholen, kaufe dir zu essen, keinen Alkohol und rühre die Wodkaflasche nicht an.“

In der nächsten Nacht erschien die gute Fee zum vierten Mal in Willis Traum. Diesmal kam sie nicht mit leeren Händen, sondern brachte ein Notizbuch, einen Bleistift, einen Bleistiftspitzer und einen Radiergummi und sagt etwas streng:
„Die Wodkaflasche, das Schnapsglas mit Eichstrich und diese Schreibutensilien werden fortan deine wichtigsten Begleiter sein. Morgen wirst du die Flasche öffnen und dir ein Glas einschenken. Dafür legst du 2 Euro in die Kassette, welche ich dir noch besorgen werde. Notiere genau, wie viel Geld du eingenommen hast. Führe penibel Buch und befolge meine Anweisungen. Begehe keinen Fehler, sonst ist das Geschäft verdorben und du bleibst ein armer Schlucker für alle Zeit.“

Als Willi Zapf frühmorgens erwachte, traute er seinen Augen kaum. Auf seinem Nachttisch lagen tatsächlich neben der Wodkaflasche und dem Schnapsglas mit dem Eichstrich ein Notizbuch, ein Bleistift nebst Spitzer, ein Radiergummi und die gute Fee hatte ihm wirklich noch eine Kassette aus blankem Metall dazugestellt.

Freudig erregt wusch sich Willi heute ganz besonders gründlich, zog seinen besten Anzug an und fühlte sich bereits wie ein angehender Geschäftsmann. Er öffnete die Wodkaflasche, füllt sich das Schnapsglas bis zum Eichstrich, legte 2 Euro in die Kassette und trank mit Genuss das Glas leer. So gut hatte ihm Wodka noch nie geschmeckt. Er nahm, wie von der Fee befohlen, das Notizbuch und trug folgendes ein:

Betriebsvermögen: Eine Flasche Wodka 0,7 Liter für 10 Euro

Am 1. Tag entnommen 1mal 2cl Wodka 2,-- Euro
Am 2. Tag entnommen 2mal 2cl Wodka 4,-- Euro
Am 3. Tag entnommen 2mal 2cl Wodka 4,-- Euro
Am 4. Tag entnommen 3mal 2cl Wodka 6,-- Euro und so weiter…

bis nach 35 Gläsern die Flasche leer war. Er hatte sage und schreibe 70 Euro in der Kassette, abzüglich der 10 Euro für den Wodka, blieben ein Reingewinn von 60 Euro. Toll, dachte Willi Zapf und kaufte sofort im Supermarkt 6 weitere Flaschen Wodka.

Er wurde sehr schnell sehr reich, starb aber, bevor er Euromillionär wurde an Leberzirrhose. Sein Vermögen vermachte er seinen ehemaligen Saufkumpanen, die ihn seither täglich hochleben lassen. Das Geheimnis aber, wie er so schnell zu seinem enormen Vermögen gekommen ist, nahm er mit ins Grab.

© quastella

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