Der Kuss

Der Kuss

Wenn Tante Hedwig kam,
ich wollte stets nur flüchten,
denn ihre Küsse, feucht und warm
und schmatzend laut,
die war'n mir doch so oft zum Fürchten,
als ich noch klein und voller Scham.

Als Mädchen später mir gefielen,
als Ute hat mich gar verhext,
da war es aus mit Kinderspielen.
Aus Wörtern reimte ich für sie den ersten Text.
Und dann, ja dann, dann kam, was irgendwann auch kommen muss,
nicht feucht, nicht laut, den Mund von ihr beinah verfehlt, der allererste Liebeskuss.

Was anfangs noch mit Ungeschick geschehen,
im Lauf der Zeit entwickelt' sich zur Perfektion.
Nach Ute, Bärbel, Biene und Jasmin,
die eine kam, bei der vor Glück ich fast verging.
Mit Küssen hat es sicherlich zu tun,
dass aus uns Zweien, Viere wurden,
So ist's nun mal, wer ist dagegen auch immun?


Die Tante Hedwig kommt nicht mehr – welch Glück!
Die feuchten Küsse, längst schon sind vergessen.
Ein wenig doch die Wehmut nagt, denk ich zurück
an sie und an den allerersten Kuss, der kühn noch war, geradezu vermessen.
Denk ich daran, verspür ich manchmal einen Stich,
weil mir bewusst, es gibt ihn täglich überall,
nur leider eben ohne mich.

© Reineke 1794