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Die Stimmung der Russen in Russland

Von Feierabend-Mitglied Mittwoch 17.05.2023, 07:15

Mithilfe von Suchmaschinen hat man versucht herauszufinden, wie die Stimmung der Russen in Russland sein könnte.



Die Russen scheinen unbeeindruckt vom Krieg in der Ukraine und den Sanktionen - ja, es soll ihnen sogar richtig gut gehen. Dieses Bild zeichnet zumindest die russische Propaganda. Doch wie eine neue Studie der Uni Cambridge zeigt, dürfte die Wahrheit anders aussehen.

Zehntausende tot, Jobs weg, Inflationssprünge und Bachmut immer noch nicht erobert - na und? Wenn die russische Führung um Präsident Wladimir Putin einen Eindruck erwecken möchte, dann den, dass all das eben keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Aber ist das wirklich so? Ein Blick in die Umfragen hilft da nicht unbedingt weiter. Denn die aus Russland sind längst nur eingeschränkt glaubwürdig und andere gibt es nicht. Selbst wenn die Daten nicht manipuliert werden: Sagen die Befragten überhaupt noch das, was sie wirklich denken? Möglicherweise misstrauen sie auch denjenigen, die Umfragen durchführen und sagen das, was die Führung hören will. Eine aus Sowjetzeiten bekannte Übung.


Roberto Stefan Foa und Roula Nezi von der britischen Universität Cambridge haben versucht, das Problem zu umgehen - mit Daten von Internetsuchmaschinen, namentlich Google und dem russischen Marktführer Yandex. Denn im Netz suchen auch Russen das, was sie wirklich interessiert. Diese Daten lassen sich auswerten und geben Hinweise darauf, was die Menschen beschäftigt - der Studie zufolge ein bewährtes Verfahren.

In den Daten aus den Suchmaschinen fahndeten die Autoren nach drei Kategorien: subjektives Wohlergehen, finanzielle Zufriedenheit und kognitiver Widerspruch. In die erste Kategorie fielen Suchbegriffe wie "Depression", "Schlaflosigkeit", "Alkoholismus" und "Angststörung". Begriffe der zweiten Kategorie lauteten "Pleite", "Hypotheken-Umschuldung" oder auch "Nieren-Spende". Des Weiteren wurde nach "kein Krieg mit der Ukraine", "Protest" oder dem Orwell-Roman "1984" gesucht. Die Ergebnisse:

Russische Umfragen zeigten nach Beginn der Invasion eine Kriegseuphorie. In Wahrheit dürfte sich die Stimmung im Land seit Ende Februar 2022 kontinuierlich verschlechtert haben. Die Menschen hätten sich eben nicht um die russische Flagge herum versammelt, schreiben die Autoren. Damit meinen sie, es habe keine Patriotismuswelle nach Beginn der Invasion in die Ukraine vor gut einem Jahr gegeben. Die Suchmaschinen-Daten sind insofern glaubwürdig, als sie nach der Annexion Krim 2014 eine solche Patriotismuswelle zeigen Die Sanktionen hatten laut Studie nur einen begrenzten Effekt auf die Haushalte. In den ersten Wochen nach Invasionsbeginn lasse sich zwar Geldnot nachweisen. Seit März 2022 habe sich die Lage aber stabilisiert. Die Sanktionen dürften die Staatseinnahmen geschmälert haben, in der breiten Masse sei davon aber wohl wenig zu spüren. Entsprechend rumort es auch nicht in der russischen Gesellschaft

Zu Beginn des Feldzuges und nach der Teilmobilisierung im September zeigt die Studie große Ausschläge der Unzufriedenheit auf. "Stillschweigendes Infragestellen" ("tacit questioning") nennen das die Autoren. Das habe sich darin gezeigt, dass im Netz verstärkt nach Begriffen wie "Pazifismus" oder den Namen von Dissidenten gesucht worden sei. Seit dem dritten Quartal 2022 sei dieser "Online-Widerspruch" aber abgeflacht. In der Phase wurden verstärkt Söldner und Häftlinge im Krieg eingesetzt. Nach der Teilmobilisierung wurde zudem verstärkt nach Informationen über Schlafstörungen und Depressionen gesucht.

Ein Problem dabei ist allerdings, dass gerade in der letzten Kategorie, dem Widerspruch, die Internetnutzer sich eher zurückhalten. Sie müssen befürchten, auch im Netz überwacht zu werden. Eine solche Selbstzensur könnte wiederum die Repräsentativität der Daten beeinträchtigen. Daher wurden offensichtlich kritische Begriffe wie die Namen bekannter Dissidenten nicht mit ausgewertet.

Die sich verschlechternde Stimmung zeige sich auch in den Verkaufszahlen von Antidepressiva. Diese seien in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres um 48 Prozent gestiegen. Da die Medikamente verschreibungspflichtig sind, sei davon auszugehen, dass dahinter Diagnosen von Ärzten stehen.

Was die finanzielle Zufriedenheit der Menschen angeht, überrascht es durchaus, dass die Sanktionen offenbar nur in den ersten Wochen des Feldzugs einen deutlichen Effekt auf private Haushalte hatten. Der Studie zufolge war aber die Corona-Welle 2021 der noch viel schwerere Schlag für die Wirtschaft und damit die Geldbeutel der Menschen. Seitdem habe sich die Stimmung kontinuierlich verbessert. Mit dem Beginn der Invasion ging die Kurve zwar nicht weiter nach oben. Dass es aber auch nicht dauerhaft wieder abwärts ging, geht auch auf das erfolgreiche Eindämmen der Inflation zurück.

Den Autoren zufolge zeigen die Daten, dass die Russen eben nicht stets der Kreml-Politik stillschweigend zustimmten, sondern sehr wohl ein Scheitern der Regierung wahrnähmen und kritisch darüber nachdächten. Das könne letztlich auch zu größerer Unzufriedenheit in der Bevölkerung führen, heißt es in der Studie. Ein Risiko für den Kreml. Läuft ein Krieg gut, kann es zu patriotischen Aufwallungen kommen und die Regierung gestärkt werden. Verlorene Kriege sind für Diktaturen hingegen eines der größten Risiken. "Das Vermessen des Online-Widerspruchs könnte es uns ermöglichen, diesen Legitimitätsverlust in Echtzeit zu verfolgen." Noch scheint es aber nicht so weit zu sein.

Quelle: ntv.de

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