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Schau ich in die tiefste Ferne - Fr. Hebbel

Von EwigerBrunnen01 Freitag 09.09.2022, 12:06


Schau ich in die tiefste Ferne
meiner Kinderzeit hinab,
steigt mit Vater und mit Mutter
auch ein Hund aus seinem Grab.
 
Fröhlich kommt er hergesprungen,
frischen Muts, den Staub der Gruft
wie so oft den Staub der Straße,
von sich schüttelnd in der Luft.
 
Mit den treuen, braunen Augen
blickt er wieder auf zu mir,
und er scheint, wie einst, zu mahnen:
Geh doch nur, ich folge dir!
 
Denn in unserm Hause fehlte
es an Dienern ganz und gar,
doch die Mutter ließ mich laufen,
wenn er mir zur Seite war.
 
Besser gab auch keine Amme
je auf ihren Schützling acht,
und er hatte scharfe Waffen
und Gebrauchte sie mit Macht.
 
Seine eignen Kameraden
hielt er mit den Zähnen fern,
und des Nachbars Katze ehrte
ihn von selbst als ihren Herrn.
 
Doch wenn ich dem alten Brunnen
spielend nahte hinterm Haus,
bellte er mit heller Stimme
meine Mutter gleich heraus.
 
Er erhielt von jedem Bissen
seinen Teil, den ich bekam,
und er war mir so ergeben,
daß er selbst die Kirschen nahm.
 
Wie die beiden Dioskuren
brachten wir die Tage hin,
einer durch den andern glücklich,
jede Stunde ein Gewinn.
  
Aber allzu bald nur trübte
uns der heitre Himmel sich;
denn er hatte einen Fehler:
diesen, dass er wuchs wie ich.
 
Und an ihm erschien als Sünde,
was an mir als Tugend galt,
da man mich ums Wachsen lobte,
aber ihn ums Wachsen schalt.
 
Immer größer ward der Hunger,
immer kleiner ward das Brot,
und der eine konnte essen,
was die Mutter beiden bot.
 
Als ich eines Morgens fragte,
sagte man, er wäre fort,
und entlaufen wie mein Hase;
doch es war ein falsches Wort.
 
Noch denselben Abend kehrte
er zu seinem Freund zurück,
den zerbiss’nen Strick am Halse;
doch das war ein kurzes Glück.
 
Denn obgleich er mit ins Bette
durfte – ach, ich bat so sehr –
war er morgens doch verschwunden,
und ich sah ihn niemals mehr.
 
 
Man sollte sich vorher gut überlegen ob man einen heranwachsenden Hund auch ernähren bzw. versorgen kann. Dieses Gedicht erinnert an die Unbesonnenheit vieler Eltern, die den Bitten ihrer Kinder nicht widerstehen können und Wünsche erfüllen, die sich später als Desaster herausstellen. Auch während des Lockdowns haben sich viele Menschen Hunde und Tiere angeschafft, die später dann im Tierheim landeten.


 

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