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Der Gott des Frühlings

Von Feierabend-Mitglied Dienstag 21.03.2023, 13:17

Der weiße Gott des Frühlings saß am Hang,
Das Haupt, das licht war, nur von Licht beschienen,
Den Kranz sich flechtend, der ihm schön gelang
Und traulich Zwiesprach’ pflegend mit den Bienen.

Sie flogen ganz verliebt zu seinem Haar
Und saßen auf den Lippen, bei den Augen,
Weil er so rein und voller Süße war,
Als könnten sie gleich Honig von ihm saugen.

Sie machten summend Rast an seinem Kinn,
Umtummelten ihn, schwärmten, spielten, haschten.
Er streckte lockend einen Finger hin,
An dem sie wie von einer Blume naschten.

Auch raunten sie ihm vielerlei ins Ohr,
Berichteten ihm gern als fromme Späher.
Zuweilen beugte er sich etwas vor,
Dann krochen und bewegten sie sich näher.

Als nun die Luft vor lauter Licht zerschmolz
Und als er seinen Frühlingskranz geflochten,
Nahm er das Flötenspiel aus Weidenholz
Und blies das Lied, das sie so gerne mochten.

Da wurden seine Bienenfreunde stumm
Und wagten’s kaum, die Flügelchen zu heben.
Sie hielten ein mit jeglichem Gesumm,
Um sich dem Klang des Gottes hinzugeben.

Hernach befiel den Gott ein sanfter Schlaf.
Die Bienen blieben, um ihn zu bewachen.
Ein Wandrer, der vorbeikam und ihn traf,
Erzählt, der Schlummernde schien hold zu lachen.



Moriz Seeler (1896-1942)

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