Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

Trost

Gestern Abend waren Heidi und und ich bei unserem Nachbarn eingeladen. Dieser Nachbar heisst Hans-Jörg, ist achtzig Jahre und seine Frau Trudi starb vor drei Monaten.
Die Kontakte mit Hans-Jörg ergaben sich bisher meist nur gelegentlich, obwohl er nur einen Hausblock neben uns wohnt.
Man sagte sich guten Tag, redete über das Wetter und kurz über dies und über das. So, wie es Tausende von Menschen auf der Welt mit ihren Nachbarn täglich tun.

Gestern Morgen kam ich mit ihm wieder ins Gespräch. Und wir vereinbarten, am Abend endlich mal ein Glas Wein zusammen zu trinken.
So läuteten wir kurz vor sieben an seiner Tür. Wir nahmen draussen auf seiner Terrasse Platz. Die Sonne hatte sich noch nicht verabschiedet, und die Temperatur empfanden wir als angenehm. Der Abend wirkte friedlich – es war windstill und recht ruhig.
Es wurden unterhaltsame Stunden. Hans-Jörg, ein sehr feinfühliger Mensch, war früher Lehrer in einer Mittelschule – sehr belesen – und kennt sich im weltlichen Politgeschehen sehr gut aus.
Aber er wirkte etwas traurig, nachdenklich, und wir gewannen den Eindruck, dass er versuchte, das Beste aus seinem Witwerdasein zu machen.

Es war noch nicht dunkel, da bekamen wir Besuch. Eine Meise umflog uns plötzlich und setzte sich gegenüber von uns in einem Strauch – blieb dort eine Weile sitzen. Flatterte wieder davon – und setzte sich ins Gras auf der anderen Terrassenseite. Das wiederholte sich noch ein paar Mal.
«Seht ihr», meinte da Hans-Jörg etwas versonnen, «da besucht mich wieder Trudi.
– Sie schaut fast jeden Abend, wie es mir geht.»
Heidi und ich sahen uns kurz erstaunt an. –
Dann blickte ich zu unserem Nachbarn.
Bemerkte, wie sich sein Gesicht entspannte – und in seinen Augen trat ein kleines Leuchten.

federigo

Artikel Teilen

 


30 29 Kommentieren
Mitglieder > Mitgliedergruppen > Deine Kurzgeschichte