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Sperrmüll - westerwälderisch

"Morgen ist Sperrmüll. Hilfst du mir bitte, Sachen rauszustellen?" "Na. klar, aber lass uns gleich anfangen, nachher muss ich noch korrigieren." "Beginnen wir auf dem Dachboden?" "Ja, gut!" Heiner öffnet das Dachfenster und zieht das Geländer aus, sodass ein kleiner Dachbalkon entsteht.

"Beseitigen wir als erstes dieses Trum hier? Die "Heimat" haben wir doch schon jahrelang nicht mehr gebraucht." "Ja, ab damit durchs Fenster." Die "Heimat" segelt mit Schwung auf das Rasenstück vorm Haus. Ellen greift als nächstes zur "Moral". Mit Schmackes wirft sie sie aus dem Dachbodenfenster. "Weg damit, die hat lang genug den Platz versperrt."

"Gehen wir jetzt an die ´Leichenkammer´?" "Ja, unbedingt, die muss geräumt werden. Das gibt Platz für die Polster der Balkonmöbel und die Sonnenschirme." "Na, los, räumen wir sie aus. Wir können alles auf den Balkon werden." So wandern die "Ehre", das "Gewissen", die "Treue" und die "Pünktlichkeit" aus der Kammer durchs Flurfenster auf den Balkon.

"Im Keller steht auch noch Gerümpel, das dringend weg muss!" Heiner transportiert die "Liebe", den "Glauben" und das "Mitgefühl" gleich durch die Waschküchentür auf den Bürgersteig. Bei der "Tapferkeit" zaudert er. Aber Ellen besteht darauf, dass Platz geschaffen werden muss.

Ellen und Heiner stapeln nun die Sachen vom Dachboden und aus der Leichenkammer auch auf den Bürgersteig. "Geschafft, dann kann ich jetzt ja korrigieren."

Ellen arbeitet konzentriert zwei, drei Stunden. Dann ist sie fertig und kann den Tag zusammen mit Heiner bei einem Glas Federweißer und gemütlichem Plaudern beschließen. Plötzlich knirschen draußen auf der Straße Bremsen. Das Auto hält vorm Haus, der Fahrer richtet die Scheinwerfer voll auf den Haufen Gerümpel, steigt aus, besieht das dort Liegende, wählt aus, prüft, testet. Dann klappt er die Hecktür auf, und die "Heimat" verschwindet in seinem Mercedes. Zehn Minuten später das gleiche Spiel. Diesmal sitzt eine Frau am Steuer. Sie entscheidet sich für die "Liebe". Eigentlich ist es für Ellen und Heiner schon längst Zeit, zu Bett zu gehen. Das Geschehen vor ihrem Wohnküchenfenster empfinden sie aber als so spannend, dass sie noch etwas länger sitzen bleiben. Und so erleben sie, wie allmählich, nach und nach, ein Stück nach dem anderen in Besitz genommen wird.

Sie entscheiden sich nun doch, zu Bett zu gehen. Heiner schnnüffelt; "Hier riecht es nicht gut! Ich trag´noch schnell den Mülleimerbeutel runter." Mit der Plastiktüte in der Hand läuft er schnell die Treppe hinunter. Er lässt den Beutel in der grauen Tonne verschwinden. Dann überprüft er den Bürgersteig. Da liegt sie ja noch, die "Tapferkeit". Heimlich klaubt er sie auf und trägt sie vorsichtig in sein Arbeitszimmer. Nun kann er beruhigt zu Bett gehen.

Ellen hat sich derweil im Badezimmer für die Nacht hergerichtet. Sie braucht heute länger dazu als sonst. Als sie hört, wie Heiner die Treppe hoch zum Schlafzimmer steigt, läuft sie leise die Stiegen hinunter und geht durch die Vordertür zum Bürgersteig. Allein und verlassen liegt dort die "Treue". Sorgsam nimmt Ellen sie auf und drückt sie an ihr Herz.

Und nun bescheint der Mond den leeren Bürgersteig.

Autor: funnow

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