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Herr A. und die Gemütlichkeit

Ein ganz normaler, durchschnittlicher Mann ist Herr A. Das ist ein Satz, dem Herr A. allerdings gleich widersprechen würde. „Was ist normal und wer legt es fest?“ wäre sicher seine Frage. Herr A. ist ein glücklicher Mann. Er weiß das und in stillen Momenten empfindet er eine tiefe Dankbarkeit für dieses Glück. Er braucht nicht viel, um glücklich zu sein und alles, was dazu nötig ist, hat das Leben ihm beschert.

Eine bezaubernde Frau, ein gemütliches Heim, Kinder, Enkel, Hund und Katze, ja sogar einen Baum hat Herr A. schon einmal gepflanzt. Was will man mehr? Es gibt nur eine Kleinigkeit, die Herrn A. zu schaffen macht. Wie das bei älteren Menschen schon einmal sein kann, stört es ihn zu frieren. Er hat es gern gemütlich warm und im Sommer ist das auch kein Problem. Nur wenn der Herbst einzieht und der Winter naht, befällt ihn mitunter eine gewisse Melancholie.

Nicht, dass ihm diese Jahreszeiten etwa missfallen würden, keineswegs. Mit der richtigen Kleidung sind Herbstspaziergänge mit Frau und Hund oder kleine Wanderungen durch verschneite Landschaften nicht zu verachten. Aber im Haus, da möchte Herr A. nicht frieren.

Muss er doch auch nicht, werden Sie vielleicht sagen und eigentlich haben Sie recht. Wie das Leben allerdings mitunter so spielt, es gibt kleine, feine Unterschiede zwischen Theorie und Praxis, die nicht zu erklären und nicht zu ändern, sondern einfach nur hinzunehmen sind.

Zunächst, während sommerliche Temperaturen Körper und Gemüt erfreuten, waren Herr A. und sein bezauberndes Eheweib einig darin, dass Fenster und Türen weit geöffnet sein sollten. Mit abnehmenden Temperaturen stellte sich allerdings heraus, dass der Moment – Herr A. nennt ihn Fröstelpunkt – zu dem man beginnt die Umgebungstemperatur als kühl zu empfinden, bei A. viel eher als bei seiner Frau einsetzte. Nun hat Herr A. eine sehr kluge Frau, die sofort eine Lösung parat hatte. Sie schenkte ihm zwei schöne, warme Strickjacken. Fortan saßen beide gemütlich am Küchentisch, Frau A. im T-Shirt und Herr A. mit einer Strickjacke versehen. Die Welt des A. schien wieder in Ordnung zu sein.

Dann kamen die Tage, an denen Frau A. nun auch eine Strickjacke bevorzugte, während Herr A. ernsthaft in Erwägung zog, die Mahlzeiten in der Küche im Mantel einzunehmen. Für seine Arbeit plante er, neben dem Schreibtisch einen kleinen Bunsenbrenner zu installieren, um die eingefrorenen Finger immer wieder aufwärmen zu können. Als die Kälte winterliche Temperaturen erreicht hatte, ließ sich Frau A. erweichen. Die Fenster und Terrassentüren wurden geschlossen und nur für regelmäßiges Lüften geöffnet. Herrn A.‘s Erleichterung währte leider nicht sehr lange. Das Spiel mit der Heizung begann.

A. regelte die Thermostate der einzelnen Heizkörper hoch, die dann jedoch unter lauten Missfallensäußerungen von seiner Frau bald wieder geschlossen wurden. So oft A. sich auch bemühte, still und heimlich die Temperatur zu erhöhen, die wachsame Frau A. kam ihm rasch auf die Schliche und stellte den von ihr gewünschten Zustand wieder her. A. musste zugeben, dass ihre Hinweise auf Heizkosten, Umwelt und die wärmende Wirkung regelmäßiger Bewegung durchaus sinnvoll waren. Das änderte allerdings nichts an der beklagenswerten Tatsache, dass Herr A. Herbst, Winter und Frühjahr überwiegend frierend verbrachte.

Dann kam es, wie es kommen musste. Oder besser gesagt, wie er kommen musste. Der Sommer. Das Schicksal hatte ein Einsehen und Herr A. war nun wieder rundum glücklich. Allerdings plagte ihn manchmal die Sorge darüber, dass jeder Sommer, sei er auch noch so warm, unweigerlich ein Ende hat. Bald – für A. viel zu rasch – war es dann auch soweit. Die Tage wurden kürzer und die blaue Säule im Thermometer neben der Terrassentür schaffte es nur mit Mühe und immer seltener über die 20 zu klettern. Bei A. stellte sich vorauseilend schon die Melancholie der kälteren Tage ein.

Doch dann, ganz plötzlich und vollkommen unerwartet, geschah etwas Sonderbares. Herr A. saß gerade auf seinem Lieblingsplatz am Küchentisch. Es war ein schöner Spätsommertag und A. immer noch mit einem Sommershirt und leichten Hosen bekleidet. Da betrat seine holde Angetraute die Küche, im Pullover und in eine Strickjacke gehüllt. So ganz allmählich und fast unbemerkt hatten sich die Fröstelpunkte der A.‘s einander angenähert. A. vermochte sein Glück kaum zu fassen. Mit offenen Augen träumte er von gemütlichen Herbsttagen in der heimelig beheizten Wohnung. Seit an Seite mit seinem bezaubernden Eheweib, während der kalte Wind ums Haus pfiff, bunte Blätter tanzen ließ und später dann Schneeflocken ihr zauberhaftes Ballett vor den Fenstern ihres Hauses aufführen würden.

Herr A. hatte jedoch die Rechnung ohne den Hund gemacht. Aus dem anfänglich kleinen, kuscheligen Welpen war derweil ein stattlich großer Hund geworden, der es liebte im Garten zu tollen, die Grenzen des Grundstücks zu bewachen und draußen seine kleinen und großen Geschäfte zu tätigen.

So kam es wie Herr A. in seinen schlimmen Vorahnungen voraus gesehen hatte.
Vorbei war die gemütliche Zeit mit frischem heißen Kaffee am Küchentisch. Oft schon nach dem ersten Schluck ertönte die Stimme der bezaubernden Frau A. aus dem Nebenzimmer: „Hast du den Hund schon rausgelassen?“ Meist gleichzeitig stupste eine große nasse Nase Herrn A. in die Seite. Seufzend blieb ihm nur, sich zu erheben, die Tür zum Garten zu öffnen und dem dankbar wedelnden Hund den Gang ins Freie zu ermöglichen. „Lass die Tür auf, damit der Hund wieder rein kann, wenn er sein Geschäft erledigt hat.“ war aus dem Nebenzimmer zu hören, während A. sich wieder an den Küchentisch setzte, eine Strickjacke um seine Schultern legte und mit traurigem Blick auf den Hund sah, der sich auf dem Weg vor dem Küchenfenster gemütlich hingelegt hatte.

A. hätte schwören können, dass der Hund dabei grinste.

Während Herr A. melancholisch seinen Kopf auf den Küchentisch stütze, dachte er daran, wie unfair das Leben doch sein kann. Er beneidete den Hund, der geschützt durch sein dichtes Fell den Aufenthalt im Freien zu genießen schien. Und er beneidete seine zauberhafte Ehefrau, die im Nebenzimmer, auf einem gemütlichen Sessel, eingehüllt in eine warme Decke, den wohlig schnurrenden Kater auf ihrem Schoss streichelte.

Während aus dem Nebenzimmer die liebevolle Stimme seiner Angetrauten rief: „Kannst du die Küchentür zu machen, solange die Terrassentür offen ist? Es zieht so ungemütlich durch alle Räume!“ rann leise eine Träne aus Herrn A.‘s linkem Auge, lief an seiner Wange hinunter und tropfte schließlich auf den Küchentisch.

Autor: sec

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