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Herbstlaub


Marianne und Michael sitzen auf der Parkbank am Marianne und Michael sitzen auf der Parkbank am Giebelbach, einem Park am Seeufer in Lindau am Bodensee. Sie lassen ihre Blicke über die hintere Insel, und das Schweizer Ufer schweifen, hinter dem sich majestätisch die Berge erheben, die Gipfel bereits leicht verzuckert. Der See ist giftgrün aufgeschäumt. Der Wind reißt noch die letzten Blätter von den Bäumen. Wirbelnd fallen sie zu Boden.

Es ist Herbst geworden. Und herbstlich ist es auch bei Marianne und Michael. Sie sind bereits über 50 Jahre verheiratet, haben ihre Kinder groß werden sehen. Selbst die Enkel sind zum Teil schon erwachsen, ein Urenkelchen schreit in der Wiege.

"Mein Gott, wie die Zeit vergeht, Michael, ich kanns einfach nicht fassen, wo ist sie nur geblieben?", wundert sich Marianne. Michael schaut hinaus auf den bewegten See, drückt seinen Hut noch tiefer ins Gesicht, damit er nicht wegfliegen kann. "Hmm", sagt er, "früher hab ich Drachen um diese Zeit steigen lassen, bin ihnen nachgewetzt, wie ein Wiesel!" "Brauchst du nicht mehr, Michael, hast ja mich als Drachen nun ständig im Haus, oder?" Marianne knufft liebevoll ihren Michael in die Seite. Sie weiß, dass er in seiner Aktivität durch das Alter gebremst wurde. Er lehnt auch einen Spazierstock ab. Er doch nicht! Und wie schaut das denn aus? Was sollen die Leute dazu sagen?

"Siehst du die Blätter am Boden, Michael? Ist doch schön, der goldene Herbst - und das Licht ist so weich, so samtig!" "Hmm", brummt Michael, "aber der Nebel, der jetzt über den See kommt, Marianne, den siehst du nicht! Alles ist schön bei dir, egal was!" "Na und? Michael, ist das ein Fehler, ist es denn falsch, aus jeder Situation das Beste zu machen?" Es ist schon zum Verzweifeln mit diesem Miesepeter, denkt Marianne, aber sie kennt ihn ja. Kennt ihn schon so lange. Er ist nun mal, wie er ist.

Die Nebelschwaden werden dichter. "Komm", sagt sie, "wir haben nun lange genug gesessen, gehen wir weiter." Sie schlagen den Weg durch den Lotzbeckpark ein. Gefallenes Laub bedeckt den Weg. Marianne hat eine Idee: "Weißt du was, Michael, wir rascheln jetzt mit den Füßen durch das Laub wie die Kinder!" Und schon pflügt sie mit ihren Schuhen wie eine Lokomotive raschelnd durch das dichte Laub.

"Marianne! Du benimmst dich mal wieder unmöglich!", bemerkt Michael dazu. Marianne dreht sich nach ihrem Mann um, der etwas zurück geblieben ist, gerade so, als wenn er jetzt nicht zu ihr gehören möchte. "Was ist los?", fragt sie, "wieso ist durch das Laub rascheln nur Kindern vorbehalten?" Provozierend pflügt Marianne weiter durch die herbstgoldenen Blätter am Boden. "Wir sind doch schon zu alt dafür, kapier das doch mal, Marianne!"
"Jetzt hör´aber auf, " sagt sie, "das ist ja nicht zum Aushalten mit dir! Denk einfach, du kannst deine Füße nicht mehr so anheben und nur noch schlurfend laufen, das würden die Leute bestimmt akzeptieren und Verständnis dafür aufbringen!"
Michel dreht sich verstohlen um. Niemand zu sehen. Ja, warum sollte er nicht auch einmal ...?denkt er. Warum eigentlich nicht noch mal das Gefühl haben, wie es früher war - ob es heute noch so schön ist, mit den Füßen zu rascheln und durch dichtes Laub zu pflügen?!

Zögernd beginnt er - und es geht! Sehr gut sogar, macht Spaß! Immer schneller, immer heftiger rauscht er mit seinen Füßen durch das Laub am Boden. Holt seine Frau ein, gleicht sich den Schritten von Marianne an.

"Na, siehst du Männe" sagt Marianne, "ich habs doch gewusst, dass es dir Spaß macht! Wieso ist es denn ein Problem, noch einmal jung zu sein?!"

Autorin: Friedericke

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