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Hardcore-Enkel


„Kannst du schon Schleifen binden?“, frage ich. „Nein, das kann Frida noch nicht“, antwortet Erik anstelle seiner Schwester. Ich nehme den kleinen Stiefel und stelle fest, dass er mit Doppelknoten geschnürt ist. Einem sehr festen Doppelknoten, der mir lange Minuten widersteht.

Meine Finger beginnen zu verkrampfen. Frida sitzt ausnahmsweise ganz ruhig auf der untersten Treppenstufe und schaut mir interessiert zu. Erik, der daneben steht, wirkt fasziniert. Lediglich Carina, ausgehfertig in rosa Stiefeln, Löcherjeans, grauer Jacke und Wuschelschal auf der Dielenbank, hat ihren konzentrierten Blick fest auf ihr Handy geheftet. Endlich gelingt es mir, den ersten Knoten zu lösen, bald auch den zweiten.

Ich ziehe den Schuh leicht auseinander, so dass der kleine Fuß meiner Enkelin hinein rutschen kann. Binde die Schleife. Doppelknoten. Greife nach dem nächsten. Zwei Kinder verfolgen gespannt mein Tun. Ich schimpfe: „Wieso kauft Mama Schuhe mit Schnürsenkeln für Frida! Das ist reiner Anachronismus!“ „Die haben an der Seite auch Reißverschlüsse“, weiß Carina. Frida lächelt. Erik kichert. Carina ist mit dem Handy beschäftigt.

Die Wahl fiel auf IKEA. Weil es dort ein Kinderparadies gibt. Man kann dort die Kinder abgeben! Einfach abgeben! Es gibt dort ein Kugelbad , in dem die Kleinen, wenn man Glück hat, verschwinden können. Leider graben sie die nach anderthalb Stunden wieder aus. Für meine strapazierten Nerven klingt das dennoch verheißungsvoll. In den letzten Tagen irritierte mich nämlich ihr Verhalten zunehmend. Nie habe ich erlebt, dass Geschwisterkinder so viel Vergnügen dabei haben, sich gegenseitig zu beißen, zu treten, zu boxen und sich an den Haaren zu ziehen. Nach dem ersten Staunen versuchte ich noch, solcherlei zu unterbinden. Doch beide sahen mich mit großen Augen an und meinten: „Hauptsache ist doch, dass wir fröhlich sind.“ „Sie sind immer so“, kommentierte Carina, die auf dem Sofa ihr Handy bediente.

Also IKEA, ich brauche eine Pause. Carina und ich bummeln durch Schlaf- und Wohnzimmer.. Ab und zu ertönt eine Durchsage. „Liebe Eltern! Tim möchte aus dem Kinderparadies abgeholt werden.“ „Liebe Eltern, Sven möchte … „ Anfangs horche ich jedes Mal panisch auf, allmählich entspanne ich mich. Wir testen Küchenschubladen und wählen gemütliche Kissen für gemütliche Zeiten aus, die wir in einer großen Einkaufstasche verstauen. Hecken Möblierungspläne für erste Studentenbuden aus. Als ich mich schon beinahe richtig erholt fühle, kommt wieder eine Durchsage. „Liebe Eltern! Karim, Elsa, Ben, Jakob und alle anderen Kinder möchten, dass Erik und Frida aus dem Kinderparadies abgeholt werden.“

Am Abend erfasst mich der Übermut. Es ist der letzte, morgen darf ich die Enkel den Eltern zurückgeben. Welche Erleichterung! Entgegen Carinas skeptischen Blicken wage ich es, alleine mit den Kleinen einkaufen zu fahren, um ein nettes Abschiedsabendbrot herzurichten.

Kaum haben wir den Laden betreten, flitzen sie los und verschwinden im nächsten Seitengang. Nun muss ich mich zunächst an einer Bekannten, ihres Zeichens Tagesmutter, vorbei mogeln, sie steht mit einer anderen Frau plaudernd in der Ecke. Ihre fünf Tageskinder, jeweils eine Hand am Einkaufswagen, warten geduldig und verfolgen mit sehnsüchtigen Augen meine lärmenden Enkel. Das Vorbeimogeln misslingt natürlich, also bleibt mir nur, so tun, als hätte ich mit den tollenden Blagen nicht das Geringste zu schaffen. Etwas weiter sehe ich zwei Köpfe um die Ecke lugen, aber noch bevor ich „Kinder …“ gesagt habe, ziehen sie sich mit frechem Grinsen zurück. Ich schiebe würdevoll den Einkaufswagen, fest gewillt, irgendwelche Verwandtschaft rigoros abzustreiten, sollte man demnächst nach einem für angerichtetes Chaos zuständigen Erwachsenen Ausschau halten, und besorge knapp und kurz Brot, Aufschnitt, Obst, fertig. Doch jetzt plötzlich tauchten sie auf, die Zwei, Frida laut heulend, mir einen leicht blutenden Finger herhaltend und anklagend auf Erik weisend. Na gut, räumt er ein, er habe sie wohl beim Wettlauf etwas zu doll angerempelt und da sei sie halt hingefallen. Der nette Filialleiter gibt jedem Kind ein Tütchen mit Süßigkeiten, damit sie lernen, dass so ein Verhalten belohnt gehört, und Frida ein Pflaster.
Wie sagte meine Mutter immer? „An den Kindern merkt man, wie die Zeit vergeht.“ Ich könnte auch sagen: „An den Enkeln merkt man, wie die Zeit sich dehnt.“

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