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Grünschnitt

Dies ist eine Geschichte für Menschen, die sich selbst auch auf den Arm nehmen können und den Widrigkeiten des Alltags humorvoll oder mit einem „twinkle in the eye“ begegnen.

Sommer, Sonne, ein gutes Buch, die Welt ist schön, was will man mehr. Nun, ich liege im Liegestuhl und blinzle in die Sonne. Bevor ich die Entscheidung treffe, daß mit Sonnenbrille lesen wohl gesünder für die Augen ist, fällt mein Blick auf den Fliederstrauch. Schon wieder sind Heckenrosenzweige durch das Blätterdach des Flieders gewachsen und stören mein Schönheitsempfinden. „Schau nicht hin“ sagt meine innere Stimme. „Du bist nur zu faul, die Zweige abzuschneiden“ flüstert sie mir zu. Doch ich finde in die Welt meines Buches zurück und erkunde literarisch Philadelphia und die Probleme von Internet-Nerds. Eine ganze Weile geht das gut, doch dann ist mir nach einem Kaffee. Der Gedanke lässt mich nicht mehr los und ich gebe auf, gehe ins Haus und entschließe mich zu Eiskaffee, den ich hinaustrage und im Liegestuhl genieße, jetzt mit intensivem Blick auf die Heckenrosenzweige. Eigentlich ein 5-Minuten Job, aber realistisch nicht für mich. Die Teleskopheckenschere ist eigentlich zu schwer, das lange Kabel ausbreiten dauert auch. Es sind halt die Vorbereitungen, die Zeit und Energie kosten. Meine Kaffeepause ist zu Ende, was nun: Buch oder Heckenschere? Was soll´s, ich mach´s, das Buch kann warten.

Und dann kommen die Überlegungen: Der Fliederstrauch ist ja eigentlich ein 3-Meter hoher Baum. Leider nicht von einem Stamm ausgehend, sondern von einem halben Dutzend verholzter Äste. Da sind mehrere mit der Zeit schräg über ein Grenzmäuerchen gewachsen und ragen mit ihrem Blätterwald fast 2 Meter in den gepflasterten Hof. Zwar schön anzusehen, aber jedes Mal ein Hindernis beim Rückwärtsfahren aus der Garage. Eine Rückentiefdehnübung beim Wegkehren der Blätter und im Winter sind die Äste eine unwillkommene Schneeschauer für mein Auto. Sollte ich nicht also besser gleich alles bis auf die Höhe der danebenstehenden Rosenhecke herunterschneiden? Der 5-Minuten-Job verlängerte sich zusehends, ließ mich aber auch nicht mehr los. Womit macht man das nun? In einer Zweitgarage und einem Keller voll Handwerkszeug suchte ich nun herum. Irgendwo hatte ich ja mal eine Fuchsschwanzsäge gesehen, die schien mir passend, aber wo war die? Doch dann fiel mein Auge auf eine Astschere, damit konnte ich besser umgehen.

Und nun war ich die nächste Stunde damit beschäftigt, viele Äste zum Teil mit äußerster Druckkraft zu durchtrennen und an der Hauswand zu stapeln. Wer hätte gedacht, daß ein Fliederstrauch soviel Innenleben hat. Das vorläufige Endergebnis begeisterte mich aber schon deswegen nicht, weil die verholzten hellfarbigen Stammäste mit der Astschere nicht abzukriegen waren. Da musste eine Säge her. Aber eine, die ich als Linkshänder auch bedienen kann. Mit diesem Handicap waren mir jahrzehntelang schon das Anfassen irgendeines Handwerkzeugs strickt untersagt. Ich hatte in einer Küchenschublande meinen eigenen Hammer, einen Schraubenzieher und eine Kneifzange, damit konnte ich alles reparieren was mich betraf und für sonst war ich nicht zuständig. Über 40 Jahre akribische Detailpflege ließen mich schon bei der Entnahme eines Nagels aus einem der vielen Schächtelchen auffallen, ganz zu schweigen von der fehlenden Achtung und Kenntnis gegenüber dem Wert des jeweiligen Werkzeugs. Jetzt hatte ich Zugriff auf alles, weil ich nur noch allein übrig war. Nur interessierte mich im Normalfall nicht, wo sich weitere Geräte befanden, bis ich sie halt brauchte. Und bei den Ansammlungen konnte man schon den Überblick verlieren. Doch ich fand sie, eine Säge. Zwar mehr für Bretter, aber die dünnen Stammäste würde ich schon damit schaffen.

Nach mehr als zweistündiger Arbeit hatte ich einen mittelgroßen Autoanhänger Strauchschnitt da liegen, war erschöpft und müde und immer noch nicht sicher, ob ich mit dem Ergebnis nun zufrieden war oder nicht. Warum hatte ich bloß damit angefangen, und wie wollte ich all das Grünzeug wegtransportieren mit meinem kleinen Fiat ohne Anhänger? Warum hatte ich nicht von vornherein den Gärtner angerufen, der mir meine 30 m Tujahecke jährlich schneidet. Nur weil ich mal wieder etwas alleine machen wollte und mich 5 Heckenrosenästchen störten, saß ich doch nun in diesem Schlamassel. Für meinen Gärtner wäre das wirklich nur ein 5-Minuten-Job gewesen alles abzusägen und mit dem Abtransport hätte ich kaum mehr als eine zivile Rechnung für eine Arbeitsstunde bekommen. Und logischerweise würde nur der Abtransport kaum weniger kosten. Aber nein, ich konnte es mal wieder nicht lassen, mein Alter zu ignorieren und jetzt galt es, Entschlüsse zu fassen.

Gärtner einschließlich Abtransport hin oder her, Strafe muß sein. Ich hatte mir das eingebrockt, ich muß das nun auch auslöffeln. Noch hat mich meine Selbstdisziplin im Griff. Für die Biotonne war das auf jeden Fall zuviel. In unserer Gemeinde konnte man Baum- und Strauchschnitt nur einmal im Monat samstags von 12 – 14 Uhr entsorgen. Das war mir zu umständlich. Mir fiel der Strauchschnittplatz in der Nachbargemeinde ein, der an einem asphaltierten Wirtschaftsweg unterhalb einer Grillhütte lag und offen zugängig war. Die Idee klang gut, das war die Arbeit für den nächsten Tag. Ich konnte kaum schlafen, weil es nach Regen aussah und ich mir das nasse Zeug in meinem Auto vorstellte.

Es hatte aber nicht geregnet als ich mich am nächsten Morgen daran machte, die Rücksitze in meinem Auto umzulegen um mehr Platz zu schaffen. Die Äste waren verdammt lang und passten nur schräg eingelegt ins Auto. Das war voll, ohne daß sich der Blätterberg an der Hauswand merklich verkleinert hatte. Vielleicht täuschte ich mich ja auch. Also auf zur ersten Fahrt in die Nachbargemeinde einige Kilometer entfernt. Ich war zwar in diesem Jahr da noch nicht vorbeispaziert, konnte mich aber an keine Sperrkette erinnern, die war wohl neu. Da sie in Kniehöhe fünf Meter lang die Zufahrt versperrte, parkte ich parallel zur Kette und öffnete die Kofferraumtür. Mit einem Arm voll Zweige stolperte ich über die Kette und warf alles gleich dahinter auf einen bereits bestehenden Abfallberg. Beim Zurückgehen hob ich meinen Blick und sah an einem Baum eine Mitteilung genagelt: „Diese Deponie ist seit dem 15.5. nur noch für Gemeindebelange nutzbar. Jedwede Zuwiderhandlung wird strafrechtlich verfolgt.“ Das durfte ja wohl nicht wahr sein, ich sammle meinen Müll doch nicht wieder ein. Entschlossen leerte ich mein Auto von dem restlichen Grünzeug. Dann eben eine Anzeige, jetzt war Juli und ich hatte nichts davon gehört oder gewusst. Vorsichtshalber setzte ich mich aber schnell wieder in mein Auto und fuhr zurück auf die Hauptstraße. Das war ja wohl jetzt das Letzte, wohin sollte ich mit dem Rest von Daheim?

Beim Einladen der zweiten Fuhre fiel mir das ehemalige Munitionsgelände auf dem nahen Flugplatz ein. Das war noch besser. In dem mittlerweile gewachsenen Wäldchen nahe des Golfplatzes hatten schon immer Leute mit Insiderwissen ihr Gras entsorgt. Naja, wirklich erwischen lassen sollte man sich von der Flugplatzpolizei wohl doch nicht, aber das könnte höchstens eine Verwarnung geben. Bis auf ein halbes Dutzend krummer Stöcke passte alles ins Auto und ich machte mich auf den Weg. Auch hier war ich mindestens zwei Jahre nicht mehr hergefahren, und ich konnte es nicht fassen, daß mein Wäldchen nicht mehr existierte. Das gibt’s doch nicht. Vor mir lag eine planierte Fläche mit ca. 500 m Seitenlänge. Mir fiel ein, daß ich etwas von einer Solaranlageplanung auf dem Flugplatzgelände gelesen hatte, konnte mir bis jetzt aber nicht vorstellen, wo das sein sollte. Nun wusste ich es, und was ist mit meinem Grünzeug? Das fahre ich doch nicht wieder zurück nach Hause. Eine Parkanlage war das hier sowieso nicht und Büsche und Gräben gab es auch noch genug. Trotzdem, schon wieder illegal, was mich nicht hinderte mein Auto zu leeren und zu hoffen, daß alles ganz schnell verrottet, schließlich war es ein Naturprodukt.

Zuhause machte ich erst einmal mein Auto sauber und packte dann die restlichen Hölzer und mein Schwimmzeug ein, um auf dem Weg ins Schwimmbad die Fahrt durch ein Waldstück dazu zu benutzen, nochmals kurz halt zu machen und die Stöcke loszuwerden. Endlich konnte ich aufatmen, Abenteuer bestanden, war das nun alles nötig?

Viel später, wieder zu Hause, bewunderte ich meine eigene Leistung, stolz wie Oskar lag ich auf meinem Liegestuhl mit dem Buch in der Hand. Mein Blick wurde nicht mehr gestört von einigen vorwitzigen Heckenrosenzweigen mit denen alles begann. Mein zweitägiger 5-Minuten-Job hatte mir mal wieder meine Grenzen gezeigt und ich nahm mir hoch und heilig vor, kein Nächstesmal eintreffen zu lassen. Ob das gelingt?

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