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Finale - eine Kurzgeschichte

Von Jungfrau75 Montag 14.12.2020, 17:31

Vor mir liegt ein Behälter mit zwei Tabletten . Endlich! Lange hat es gedauert, bis die in der Regierung gemerkt haben, dass wir "Alten" viel zu teuer sind und man uns deshalb die Entscheidung "Schluss zu machen" ruhig überlassen kann; bzw. man darf uns sogar anhalten, sie zu nehmen, wenn es "genug" ist ! Und das ist es sicher, denn ich bin schon über 90 !

So ein schönes langes Leben hatte ich!

Und sogar noch eine richtige Liebe im Alter!

Erst wollten wir beide es nicht glauben, lange gingen Mails und Texte hin und her. Aber voneinander lassen konnten wir nicht!
Schließlich mussten wir uns wenigstens einmal treffen und sehen, wer unser langjähriges Gegenüber war! Da standen wir beide verloren am Bahnhof... Ich: Oje, da steht ja nur noch ein einsamer alter Mann, sollte er es sein??? Und ihm wird es nicht anders ergangen sein!
Aber dann schlossen wir uns in die Arme, die Wärme tat so gut, schließlich waren wir uns keine Fremden mehr!
Wir verbrachten ein herrliches Wochenende und konnten uns gar nicht trennen! Wir hatten uns soviel zu erzählen, ein ganzes Leben...
Aber immer wieder mussten wir uns in die Arme nehmen, uns berühren und halten! Welche Freude, in unserem Alter so etwas erleben zu dürfen!

Wir wollten jeder seine Wohnung behalten und nicht zusammen leben, damit die Freude des Wiedersehens nie erlöschen sollte...

Also mussten wir uns trennen, jeder fuhr zurück in seine Wohnung! Mit dem festen Versprechen, uns wiedersehen zu wollen, immer wieder!

Wir kehrten in unseren Alltag zurück, alles ging so viel leichter und besser, wir waren wie beflügelt; waren wir verliebt?!

Mit einem Mal sahen wir überall die Frühlingsblumen blühen und der scharfe Wind wehte mild. Auch die Liebespaare, die zu sehen waren, störten uns nicht mehr: wir hatten uns gefunden und konnten selbst bestimmen, wann wir uns wiedersehen wollten...

Das geschah noch oft, es war immer neu aufregend und wunderschön!

Bis nach fünf Jahren mein Freund an einem Herzschlag plötzlich starb!
Da hätte ich zum ersten Mal wirklich gerne die "Tabletten" gehabt. Aber noch waren sie in der Regierung leider nicht so weit, sie mussten erst noch endlos diskutieren...

Während der Zeit ging es mir schlecht, Schmerzen überfielen mich und die Nächte lag ich wieder wach und konnte mich nur hin- und herdrehen. Keine Geschichten mehr, keine Gedichte, keine Texte!

Pflegekräfte sollten neu eingestellt werden, aber es wollte niemand die Arbeit für so wenig Geld tun!
Und wir Alten mussten uns ohne Hilfe selbst gegenseitig unterstützen. Solange ich das konnte, war ich jeden Tag unterwegs, um Strümpfe anzuziehen und andere Hilfen zu leisten. Bis ich das auch nicht mehr konnte!
Schmerzmittel gab es auch eher selten, daher war mir jede Beschäftigung lieb und ich konnte meine Schmerzen dabei vergessen...

Auch die um meinen geliebten Freund...

Doch heute, endlich werde ich ihn wiedersehen! Die Pflegerin drängelt schon und ich nehme schnell die beiden Tabletten, die mich erlösen sollen. Jetzt dauert es nicht mehr lange...
Plötzlich wird es ganz hell um mich, ein solches Strahlen hatte ich nicht erwartet, alle Probleme, auch alle Schmerzen sind verschwunden! Dort steht mein Freund und winkt mir zu, ich soll mich beeilen...


Die Pfleger tragen meinen seelenlosen Körper schnell in die Verbrennungsanlage...sind doch sowieso keine Angehörigen mehr da...

Eine fiktive Geschichte von mir : Marianne Hoffmann, Jungfrau75

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