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Es sind einige Tage vergangen.

Von Feierabend-Mitglied Samstag 16.02.2019, 18:08


Ich war etwa 9 Jahre alt, mein Bruder 7. Wir warteten wie jeden Schultag, vor der Schule um viertel nach 12 auf unseren Nachbarn, der uns mit dem Wagen abholen und mit nach Hause nehmen würde. Unser Nachbar, Herr Maier, ein Schwabe, wohnte in der Nachbarwohnung. Arbeitete für eine Stuttgarter Autofabrik die Lastwagen vor Ort montierte, da auf dem Import fertiger Lkw hohe Steuern lagen.
Er hatte ein Abkommen mit meinen Eltern. Aß mittags und abends in der Woche mit uns zusammen. Hatte also etwas Familienanschluss. Dies war für einen Mann von ca. 30, der weit von Zuhause allein wohnen musste sehr praktisch. Heute ist mir klar, dass er ohne die Unterstützung meiner Eltern das Jahr mit Sicherheit nicht hätte durchstehen können.
Es war das erste Mal, dass er nicht kam. Es wurde halb 1, viertel vor eins 1. viertel nach 1. Inzwischen war die Schule aus und wir beide standen immer noch verloren auf der Straße. Ich kam so langsam zu der Erkenntnis: Der kommt nicht. Du musst etwas unternehmen.
Kurz entschlossen nahm ich mein Brüderchen an die Hand und wir gingen los.
Bei 98 % Luftfeuchtigkeit, über 30 Grad im Schatten, den es natürlich nirgends gab ein etwas anstrengendes Vorhaben.
Wir waren 4-5 Kilometer von unserer Wohnung entfernt und ich kannte den Weg. Ich war ihn zwar noch nie gelaufen aber oft genug mitgefahren.
Damals durfte man als Kind noch vorn sitzen, was sich nun als Vorteil entpuppte.
Wurden die Straßen noch existieren, ich würde es heute noch finden.
Schaute mal bei Google Maps nach, aber dort ist heute eine Autobahn oder Schnellstraße. Würde dort nichts mehr wiederfinden.
Die Stecke war einfach.
Es ging immer gerade aus, dann am Kreisverkehr rechts ab. Die 3, einstöckigen Häuser, in einem Meer von Wellblechhütten, nicht zu verfehlen.
Es fuhr eine Buslinie. Nach ca. 1 Kilometer kam eine Bushaltestelle.
In der Schule, vorher noch einen Schluck Wasser zu trinken, daran hatte ich nicht gedacht.
Aber. Ich hatte ein 6 Pence Stück in der Tasche. Davon sollte ich in der Pause ein Eis kaufen. Leider oder zum Glück war das Eisfahrrad nicht gekommen.
Eine Fahrt mit dem Bus kostete 3 Pence, das wusste ich von meinen Klassenkameraden und vor einem Haufen Schwarzer hatte ich keine Angst. Der Bus fuhr an unserem Haus vorbei.
Auch das was mir bekannt.
Ich zu Brüderchen. Komm, warte. Wir warten hier auf den Bus. Es gab keinen Fahrplan.
Da einzige was sicher war, irgendwann kommt einer.
Nach ca. 20 Minuten kam einer. Der Schaffner nahm meine 6 Pence und wir durften mit.
Meine Englisch- und vor Allem Pidginenglisch Kenntnisse ließen sogar zu das der Schaffner mit den einzigen Weißen weit und breit ein Frage und Antwortspiel veranstalten konnte. Sprich, er fragte mich aus. Alle waren sehr fröhlich und freundlich.
Leider dauerte das Vergnügen der Fahrt nur kurz. Ein vorbeifahrender Engländer hatte uns im Bus erspäht, hatte ihn kurzerhand angehalten und uns beide aus dem Bus geholt, in seinen Wagen verfrachtet und nach der Adresse gefragt. 10 Minuten später Schloss uns unsere Mutter in die Arme.
Über 2 Stunden nach der erwarteten Ankunft. Sie muss vor Sorge fast umgekommen sein.
Aber nie hat mir Jemand erklärt, dass dies auch böse hätte ausgehen können. Erst viel später, ich war schon erwachsen, als mir diese Geschichte in den Sinn kam, erkannte ich die Gefahr, in der wir latent geschwebt hatten.
Der Engländer wollte uns davor bewahren. (was ich ihm damals etwas übel nahm, da er mich um das Abenteuer und das Lob dafür gebracht hatte.)
Unser Nachbar kam gegen 18°° aus dem Krankenhaus. Er hatte viele Pflaster auf dem Körper. Ihm war jemand in seinen Fiat 600 gefahren.
Damals hatte Lagos ca. 500 000 Einwohner.
Wir Kinder gingen allein auf den Markt und wurden nie angefeindet oder unfreundlich behandelt. Ich handelte wie ein Einheimischer und war darin deutlich besser, als die meisten meiner schwarzen Klassenkameraden. Weil ich wusste, wann der Normalpreis erreicht war und woran man dies zweifelsfrei erkannte.
Heute hörte ich, soll die Stadt ein Moloch mit 22 Millionen Einwohnern sein.
Entführungen sind an der Tagesordnung.




28195 Bremen to Lagos


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