Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

0 1

Rechtschreibung für Schildbürger (2)

Von tastifix Mittwoch 01.04.2020, 10:32 – geändert Mittwoch 01.04.2020, 10:34

Nun mussten sich die Bürger Schildas gedulden. Würden sie ´Rechtschreibreform` verkraften, was immer es auch war??

Eine Woche später versammelten sie sich erneut, gespannt, was der Schulmeister zu berichten wusste. Leider war der ausgesprochen umständlich veranlagt und holte gern aus. Nicht nur, um einen Schüler zu ohrfeigen, sondern genauso bei detaillierten Reiseberichten.
„Ja, ich kam also dort an ...“
„Aah!“, zogen alle wichtige Gesichter.
Immerhin war ihr Schulmeister am Ziel angekommen. Aber noch war der Bericht nicht zu Ende, fiel es ihnen auf. Irgendwie fehlte ja das Wichtigste. Also hörten sie weiter aufmerksam zu:
„Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie viele interessante Leute dort aufeinander trafen. Manche trugen sogar als Indiz für ihre Klugheit ein schmales Buch unter dem Arm. Meist war es aber das Kursbuch, was ich sehr schnell erkante.´Fahrplan` stand vorne drauf.“
„Ja, du meine Güte!“
Anerkennendes Gemurmel.
„Nun verratet doch endlich: Was ist denn diese Rechtschreibreform??“
Angehaltenen Atems versuchten die Mitbürger, noch unausgesprochene Worte von seinen Lippen abzulesen - falls sie dies dann überhaupt gekonnt hätten.
„Vieles, was bislang als korrekt galt, ist jetzt falsch. Es ist nur noch richtig, wenn man es schreibt, wie man es spricht!“
Es schlug ein wie ein Blitz.
„Beispiele!!“, drängten die Männer.
„Wir wollen Beispiele!“, unterstützten die Frauen sie.
„Nehmt das Wort ´Phantasie`. Die habt ihr sehr oft bewiesen, anstatt zu schreiben, wie die Regeln es verlangten. In Zukunft dürft ihr an Phantasie sparen, wenn ihr sie schreiben wollt: ´Fantasie!`
„Toll!“
Jetzt dürften sie die zum Beispiel dafür einsetzen, wie viele Brötchen sie beim Bäcker kaufen wollten oder ob und welches Schwein geschlachtet werden sollte.
„Und welchen Vorteil haben wir Kinder?“, empörten sich ein paar Zehnjährige.
„Früher trug der ´Delphin` immer ein ´P`. Jetzt dürft ihr dem ´P` ein ´Pööh` hinterher schreien und euren Fisch so schreiben: ´Delfin`. Und so geht es jetzt mit vielen Wörtern.“
„Super!“

Schon lange hatte man die Schildbürger nicht mehr in solch ausgelassener Stimmung erlebt. Dennoch war es beileibe noch nicht ausgestanden.
Wenige Tage später wurde auf dem schwarzen Brett am Haus des Schultheiß - probeweise größtenteils nach den neuen Rechtschreibregeln verfasst - angekündigt, dass die Wahl eines neuen Schultheiß anstand. Doch war dabei ihrem jetzigen das ´ß` weiterhin gegönnt worden. Dies schrieb jener dem Ansehen seiner Person zu und fing prompt an, die Rechtschreibreform zu mögen.

Aber die Wolke der Grübelei hüllte erneut die Stirnen der Schildbürger ein. Doch es vermochte sie nicht mehr in dem Maße wie bislang zu schocken. Das auf sie noch Zukommende würden sie schon zu bewältigen wissen. Sie wurden ja nicht grundlos als besonders klug angesehen und zudem sie hatten ja durch die letzten Ereignisse immens dazugelernt. Recht fix entschieden sie also, dass Schultheiß sein sollte, der den Begriff ´Rechtschreibreform` nach den neuesten Regeln am richtigsten niederschrieb. Es würde bestimmt nicht einfach, denn es handelte sich um ein langes Wort.

Es entstanden die abenteuerlichsten Varianten.
„Reechtschraibreform!“, notierte der Erste, mit ´Doppel-E` und ´ai`.
Der Zweite wollte nicht nachstehen:
„Rechchtschreibrreform!“, mit ´Doppel-Ch` und ´Doppel-R`.
Sah zwar nicht schlecht aus, war aber genauso falsch.
„So kommen wir nicht voran! Wir müssen anders herausfinden, wer würdig ist, meinen Platz einzunehmen!“, forderte der Schultheiß. „Die Wahl wird um ein paar Wochen verschoben und wir beobachten derweil, wer am besten mit den Neuerungen umgeht.“
Ja, ein für ihn typisch weiser Entschluss.

Aber es geriet zur mittleren Katastrophe. Ständig gestresster formulierten die Bürger ihre Briefe und zermarterten sich wegen der neuen Regeln die Köpfe, obwohl angeblich alles unkomplizierter geworden war. Die Vereinfachung erwies sich als berühmt-berüchtigtes Damokles-Schwert. Als ständige Image-Bedrohung schwebte es zunehmend gefährlicher über den rauchenden Köpfen. Den Leuten brach der Schweiß aus vor Sorge, vielleicht doch nicht klug zu sein. Bald wagten nur noch Wenige, etwas zu Papier zu bringen. Allerdings las man dann einen Krautsalat aus alter und neuer Rechtschreibung. Das schwierigste Kreuzworträtsel war ein Klacks dagegen! Offizielle Briefe muteten an wie Nachrichten von einem fremden Stern. Familien verzweifelten fast: Sie konnten die neuesten Klatschnachrichten ihrer Angehörigen nicht enträtseln ...


tastifix

Du möchtest die Antworten lesen und mitdiskutieren? Tritt erst der Gruppe bei. Gruppe beitreten

Mitglieder > Mitgliedergruppen > Deine Kurzgeschichte > Forum > Rechtschreibung für Schildbürger (2)