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Rechtschreibung für Schildbürger (1)

Von tastifix Dienstag 31.03.2020, 14:05 – geändert Donnerstag 02.04.2020, 09:17

Der Sommer neigte sich seinem Ende zu, die Tage wurden kürzer und trüber. Die Menschen widmeten sich wieder intensiver Themen allgemeiner Gewichtigkeit.

Auch in Schilda endete das unbeschwerte Treiben. Obendrein versetzte in diesem Jahr etwas die Stadt ziemlich in Aufregung. Ein Bürger war von einer Reise zurückgekehrt. Wegen eines bestimmten Begriffes in seinem Bericht war die Ruhe in Schilda zum Teufel.
„So darf es nicht weitergehen!“, berief der Schultheiß rasch eine Bürgerversammlung ein.
Sie müssten dringend das Geheimnis darum lüften, ehe gar Panik ausbrach. Von überall her strömten die Leute herzu und diskutierten aufgeregt durcheinander. Ernster Miene eröffnete der Schultheiß:
„In unserer Nachbarstadt solll eine äußerst bedeutende Konferenz stattfinden, auf der es um eine sogenannte Rächtschreibreform gehen wird.“
Verständnislose Blicke.
„Rächt..schreib..reform?“
Ahnungslosigkeit quält.
„Hat jemand eine vage Idee, was darunter zu verstehen ist?“
Hm, hm. Vielleicht ja oder doch eher nicht …? Die Bürger Schildas fürchteten um ihr Image als besonders kluge Leute und überlegten:
„Ist denn sicher,“ warf der Bäcker ein, „dass es nicht´Vonrechtsschreibreform` heißt?“
Weil er meist ziemlich kleine Brötchen buk, kam dieser Einwand entsprechend zögerlich. Unter ´Vonrechtsschreibreform` hätte er sich wenigstens etwas vorstellen können. Ihm schwante Schlimmes. Sollte er gar die Namen sämtlicher Brötchensorten umschreiben müssen? Die Umstehen atmenten erleichtert auf. Seine spontane Wortmeldung bewahrte sie nämlich davor, zugeben zu müssen, dass sie bei diesem brisanten Thema total im Dunkeln tappten. Also klatschten sie wohlwollend. Der über sich selber verblüffte Bäcker sonnte sich in dem trügerischen Schein, bestimmt etwas Wichtiges zur allgemeinen Diskussion beigetragen zu haben.
Gespannt blickten alle zum Schultheiß, dem vielleicht klügsten Mann von Schilda. Egal, welche Meinung er kundtäte: Sie würden zustimmen, um ja nicht als dumm dazustehen.
„Nehmt es mir nicht übel, aber das meinte unser Reisender wohl nicht ... “, runzelte der die Denkerstirn und fuhr verlegen fort:
„Fällt euch nicht ein sehr ähnliches Wort ein, das er gesagt haben könnte?“
Der Schulmeister meldete sich.
„Vielleicht ´Schreibrechtsrefom`? Es wird ja größten Wert darauf gelegt, dass jeder das Schreiben lernt. Wahrscheinlich soll die Schreiblernpflicht nochmals gesetzlich verankert werden.“
Auch dies erschien den Bürgern von Schilda als durchaus möglich.
Strenggenommen sahen sie den Schulmeister noch eher im Recht. Den entsprechenden Beifall genoss jener gebauchpinselt scheinbar zu Recht von ganzem Herzen. Hätte der Schultheiß dem nur zugestimmt! Aber:
„Leider kann ich euch auch darin nicht beipflichten!“
„Ooch!!“
„Denn ich vermute, dass es sich wahrscheinlich eben doch um ´Rächtschreibreform` handelt!“
Getuschel ringsum. Enttäuschung bei Schulmeister und Bäcker.

Letztendlich siegte die Wissbegierde, was sich hinter ´Rechtschreibreform` verbarg. Sie grübelten und grübelten - vergeblich. Mürrisch nörgelten die Bürger herum. Irritiert schauten sie ihren bislang verehrten Schultheiß an, den sie eigentlich für nooch klüger gehalten hatten. Täuschten sie sich so sehr? Aber darüber jetzt auch noch nachzusinnen, hätte den Kopfschmerzen, die sich wegen des intensiven Denkens bereits eingestellt hatten, zusätzliche Nahrung geboten. Deshalb überlegten sie lieber nur, wie denn das Rätsel um jene Rechtschreibreform zu lösen wäre. Als wider Erwarten unkluge Bürger einer dann unklugen Stadt wollten sie nicht gelten.

Ausgerechnet dem Metzger, der sonst nur zwischen Schweinen herum lief, fiel das einzig Richtige ein.
„Ich hätte ja eine Idee … !“, setzte er zaghaft an. „Wie wäre es, wir würden jemanden hin schicken, der uns dann alles erklären könnte?“ Überrascht registrierten die Anderen die für ihn ungewöhnlich lange Rede. Die Überraschung wich vager Bewunderung. Froh, dass er vielleicht gerade half, ihr Image zu retten, feierten sie den deswegen total verblüfften Metzger wie einen Helden. Sie hatten ja von jeher geahnt, dass in ihm ein unerkanntes Genie schlummerte. Dies bewies er ja gerade. Richtig, genau so würden sie vorgehen. Es würde ihnen weiteres vergebliches Kopfzerbrechen ersparen wie auch die Sorge, ihrem Ruf leider doch nicht gerecht zu werden,

Schade, die Freude darüber hielt nicht lange vor. Es musste jetzt nämlich dringend ein Beschluss gefasst werden. Der Leitfaden für nachfolgende Aktionen baumelte zum Greifen nah in der Luft. Zielstrebigkeit war angesagt! Und die bewiesen die Schildbürger dann auch. Ja, sie würden einen Kundschafter zu jener Konferenz schicken! Wer aber war weise genug, diese Aufgabe zu übernehmen und später die Informationen so weiterzugeben, dass wirklich jeder sie begreifen würde? Erneut ergriff der Schultheiß das Wort.
„Für ihn darf die Rächtschreibung keine Schwierigkeit bedeuten. Wer kommt da in Frage?“
Sich selber zu benennen, war er zu klug, zu bescheiden.

„Klar! Der muss das ganze ABC kennen!“, meinte stolz die Marktfrau und hoffte, dass ihr genauso applaudiert werden würde wie dem Metzger zuvor. Dagegen klatschten nur Wenige wie aus Versehen verhalten Beifall, denn auch sie zählte zu dieser überaus klugen Gemeinschaft und man hielt ja zusammen. Sich darüber im Unklaren, was er dazu sagen sollte, ergänzte der Schultheiß schnell:
„Vor allem muss er viele Bücher gelesen haben, um dort mitreden zu können!“
Gegenseitig prüfende Blicke, begleitet von abschätzenden Gedanken. Dann der erste Vorschlag:
„Der Müller soll reisen!“, riss ein kleiner Junge den Mund weit auf und nahm ihn damit sehr voll.
„Warum der Müller?“, verlangte der Schultheiß eine Begründung.
„Der schreibt immer so tolle Rechnungen. In Schönschrift. Und ´Rechnung` richtig mit nur einem ´g`!“
Alle lachten.

Selbst den Erwachsenen war nun die Zunge gelöst. Auf den armen
Schultheiß stürmten die Vorschläge nur so ein. Nein, so arm war der nicht. Weder im Geiste und erst recht nicht so.
„Warum fährst denn du nicht?“, fragte eine Frau schüchtern.
´Ich? Bloß nicht! Dann ist mein Ruf, klug zu sein, sofort
dahin. Ich besitze ja nur zwei Bücher: Das Notizbuch und mein
Tagebuch!`
Deutlich sichtbar standen sie daheim in seinem Bücherregal mit dem nur einen Fach. Es ließ ihn als gebildet erscheinen. Um nicht eine für ihn entlarvende Antwort geben zu müssen, schlug er fix vor:
„Lasst uns den Schulmeister schicken. Der liest pro Tag ein ganzes Buch und steht mit der Rechtschreibung auf du und du.“
Zufrieden nickten alle. Ja, der war wirklich der Richtige für einen solchen Auftrag.
Der Schulmeister reiste also ab und freute sich auf die Diskussionen mit den vielen intelligenten Leuten, die gleich ihm mit der Rechtschreibung klar kamen.
´Wenn ich daran denke, wie schulmeisterlich korrekt ich die Zeugnisse schreibe ... Einfach genial! ...

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