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Die wertvollsten Geschenke, die so auch letztlich die schönsten sind, sind wirklich meistens unsichtbar. Eine passende und wahre Adventsgeschichte

So ein Geschenk kann auch Zeit sein. Ich hatte ein entsprechendes Erlebnis am letzten Samstag im Penny-Markt in Oberursel.

Ich war mit meinen Einkäufen für das zweite Adventswochenende in der Pfeiffstraße bei einem anderen Supermarkt fertig und hatte nur 1, 2 Artikel nicht bekommen. Es war am späten Samstagnachmittag gegen 16.00 Uhr, tagsüber schien die Sonne. Es war aber kalt bei einem klaren Winterhimmel. Der Sonnenuntergang stand kurz bevor und ich wollte möglichst schnell mit dem Motorroller heim. Also fuhr ich auf den Parkplatz von P, stellte den Roller ab und ging flotten Schrittes in den Supermarkt. Ich nahm mir einen Karton und suchte die wenigen Sachen zusammen.

Beim Gemüse stand eine alte Frau mit einem Kopfsalat in der Hand. Ihr Blick suchte nach den dünnen Plastiktüten, damit das Wasser und die Erde vom Salat nicht Ihre Einkaufstasche verschmutzen würde. Die Frau wirkte etwas desorientiert, fragte mich aber klar nach den Tüten. Ich sagte: “Dort drüben beim Obststand liegt eine Rolle mit den Abreißtüten” und zeigte mit einer Handbewegung hin. Ich wollte mich wieder um meine eigenen Angelegenheiten kümmern, sah aber dass die Frau zu weit in einen anderen Gang ging um die Tüte zu holen. Dort waren jedoch keine, also schnappte ich mir eine vom Obststand und folgte Ihre, half den Kopfsalat zu verstauen und wurde von ihr in ein Gespräch verwickelt.

Sie erzählte von Ihrem Mann, der an Demenz litt. Sie könnte nachts kaum schlafen, weil ihr Mann aufstand und umher spazierte. Einmal musste sie ihn sogar im Schlafanzug von der Straße holen. Ich hörte ihr zu und gab die eine oder andere zustimmende Antwort aus eigener Erfahrung.

Freundlicherweise wollte ich das Gespräch nicht abrupt abbrechen und einfach zügig meinen Heimweg antreten. Innerlich war ich etwas genervt von der Erzählweise und dem Inhalt des Gespräches mit der Achtzigjährigen – ihr Alter hatte sie mir auch schon mitgeteilt. Ich spürte jedoch, dass sie einfach einmal mit einem Menschen reden wollte und sich mitteilen musste. Außerdem standen auf Ihrem Zettel noch etliche Artikel, die sie zu besorgen hatte. Ich wollte eigentlich schnell heim.

Draußen sank die Sonne immer tiefer zum Horizont und der wolkenlose Himmel versprach eine aufziehende eisige, für einen Motorradfahrer besonders unangenehme Kälte. Sie erzählte von ihrer Kindheit, von ihrer eigenen großen Familie, etc. etc. Ich wollte wegen der aufziehenden Kälte eigentlich nur heim.

Um das Gespräch abzukürzen, dachte ich, helfe ich ihr schnell, die Einkäufe zu machen und kann dann verschwinden. Ihre Erzählungen hätten noch Stunden dauern können. Sie selbst war ebenfalls schon etwas vergesslich und ihr Zeit-gefühl kaum präsent.

Da sie sich mit ihrem Mann wegen der Demenz zuhause wohl kaum unterhalten konnte, war das Mitteilungsbedürfnis groß. Ich versuchte Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Einkäufe zu lenken. Gemeinsam schauten wir auf Ihren Einkaufszettel und so hatte ich schnell einen praktischen Rundweg durch den Supermarkt zusammengestellt.

Schließlich lagen Quark, Butter, Rosinen, Speck, Mehl, Hefe und Zucker in Ihrem Einkaufswagen. Sie wollte Weihnachtsstollen und Plätzchen backen, wie sie mir auf dem Weg zu den Regalen erzählte. Andere Kunden beobachteten uns und über das eine oder andere Gesicht glitt ein scheues und verstecktes Lächeln, gepaart mit etwas Mitleid.

Ich fragte mich, wem letzteres galt, mir (BJ 1959) oder der Frau? Außerdem klärte mich die Frau zwischendurch noch über die Suche nach einem Altersheim für Ihren dementen Mann auf. Ob ich denn selbst ein gutes kennen würde, fragte sie. Da gab es doch das Heim H. in Oberhöchstadt oder eines in Königstein, welches zwischenzeitlich nach Falkenstein umgezogen sei....

Ich antwortete, dass ich diese Häuser aus eigener Erfahrung nicht kennen und nur gelegentlich und wenig davon hören würde. Dann wurde ich noch über die vier erwachsenen Kinder aufgeklärt, die ja alle studiert hatten und irgendwo fern von dem alten Ehepaar lebten; ein Sohn mit Familie in Dubai. Ihre Kinder hatten ihrerseits eigene und deren 12. Die alte Frau hatte also ein Dutzend Enkel, die auch noch mit Weihnachtsgeschenken versorgt werden wollten, wie sie mir erzählte.

Endlich waren alle Einkäufe im Wagen und auch ich hatte unterwegs noch einige zusätzliche Artikel eingesammelt. Wir gingen zur Kasse und zahlten. Ich half ihr noch mit dem Wagen und den Einkäufen bis zum Parkplatz zu ihrem Fahrrad. Wir packten beide unsere Schätze ein und wünschten einander eine gute Heimfahrt.

Die Sonne war zwischenzeitlich schon hinter dem Horizont versunken und nur das rötliche Licht strahlte noch etwas auf einige Wolkenschleier und in das Türkisblaue des Himmels.

Ich fuhr vorsichtig mit dem Motorroller über die Landstraße Richtung Nachbardorf. Die Fahrbahndecke schimmerte stellenweise dunkel und feucht und höchste Aufmerksamkeit war nötig, um nicht wegzurutschen.

Ich war froh bald zuhause anzukommen und dachte unterwegs an eine dampfend heiße Tasse mit Russischer Schokolade. Dazu würde ich ein Stück Mohnkuchen vom Vortag essen. Als ich daheim ankam, war es dunkle Nacht und nur noch einige Sterne funkelten über mir. Meine Einkaufsfahrt hatte deutlich länger als erwartet gedauert. Ich fühlte mich jedoch nicht mehr genervt. Eine leichte wohlige Wärme stieg in mir auf.

Ich musste nochmals an die alte Frau denken, die nun ihre Einkäufe zusammen hatte; ihr Gebäck herrichten und einmal ihr Leid sich von der Seele reden konnte. Zugegebenermaßen war mein Zeitgeschenk an sie nicht ganz freiwillig, aber ich habe mich auf die Situation intuitiv eingelassen. Irgendwie ergab sich eine Win-win-Situation für uns beide daraus.

Autor: Reiseonkel

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