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U-Trakt

Ich trage das Bündel mit Bettwäsche und Decken über der Schulter, gehe drei Schritte vor dem Justizbeamten aus der Bekleidungskammer im Landesgericht Salzburg. Die nächste Station der Entwürdigung ähnelt einem Ärztezimmer. Ich sehe jedoch keinen Arzt, nur einen Wärter der mich in harschem Ton auffordert:

„Ausziehen. Alles Ausziehen. Umdrehen. Bücken.“
Es folgt eine Durchsuchung bis in die letzte Hautfalte. Ich bin so eingeschüchtert, dass ich gar nicht an Widerstand denke, als mich der Aufseher mit einer Handpumpe einstaubt. Es ist wohl DDT, das mich in eine weiße Wolke hüllt. Der Kommentar des Beamten:

„Das ist nur zur Vorsorge, man weiß ja nie mit welchem Gesindel man es zu tun hat.“
Meine Leibwäsche und alle persönlichen Habseligkeiten wurden in einen Plastiksack gesteckt, registriert und verwahrt. Die private Oberbekleidung und meine Schuhe darf ich behalten. Ich habe soeben meine Souveränität und einen Großteil meiner bürgerlichen Rechte abgegeben, denke ich.

Der Gang führt in Richtung des ersten Gittertores zum Stiegenhaus des U-Trakts, dem Gebäudeflügel für Untersuchungshäftlinge. Die Lage scheint ausweglos. Und Flucht? Daran ist nicht zu denken. Oder doch? Ich mag meine Ehre verloren haben, nicht aber meine Geschichte. Das ist meine Zuflucht: Erinnerung an früher, mein Langzeitgedächtnis ist intakt. Ganz anders ist es mit gestern und vorgestern. Blackout – wieder einmal. Der Alkohol macht mich fertig. Aus grenzenlosem Optimismus wird traurige Kriminalität. Ich weiß nicht mehr genau, was passiert ist. Ich weiß nur – es war illegal.

„Stehenbleiben!“
Der Befehl des phlegmatisch wirkenden Beamten in der grünen Uniform der Justizwache erreicht mich kurz vor der Gittertür. Eine beklemmende Hilflosigkeit steigt in mir auf. Völlig unerwartet, wie zum Schutz meiner Seele, sehe ich die komische Szene mit dem betrunkenen Kerkermeister Frosch aus der Operette "Fledermaus", vor mir ablaufen. Das Schlüsselrasseln dieses Schließers aber ist real, kein Schauspiel. Er taxiert mich, ermahnt mich, langsamer zu gehen. Die Anweisungen sind kurz, hier hat alles einen Hauch von Militär. Ich weiß, dass ich verloren habe. Ich hadere nicht mit dem Schicksal, das macht die Sache irgendwie leichter.

Die Meldung meines Führers in das Zellenhaus des Gefängnisses: „Uuuu-Trakt-Zuuu-gang“, reißt mich aus den Gedanken. Ich werde an den Stockchef der Abteilung übergeben und das Ritual wiederholt sich. Drei Schritte vor dem Beamten gehe ich immer tiefer ins „Loch“. Vor der Zelle mit der Nummer 46 kommt das „Halt“. Ich bin angekommen vor meinem Domizil für unbestimmte Zeit. Bevor sich die schwere Zellentür öffnet, wird noch mein Namensschild in eine Vorrichtung rechts neben der Tür geschoben. Ich sehe drei Namen und daneben ein weiteres Kästchen mit diffusen Bemerkungen die nicht zu entziffern sind, vermutlich sind es abgekürzte oder verschlüsselte Informationen über jeden Häftling. Links an der Außenseite, über der Tür, befindet sich ein Spülkasten für den Abort innerhalb der Zelle. Das erscheint mir nicht logisch und ich wundere mich über diese Besonderheit. Es ist eine gefängnisübliche Maßnahme, die ich später noch unangenehm zu spüren bekommen werde. Die Zellentür selbst ist aus massivem Holz gebaut, das Guckloch in Augenhöhe, darunter eine Klappe. Ich vermute dass durch diese Luke das Essen gereicht wird, das habe ich schon in Filmen gesehen. Die oftmals übertünchten Wände sind dick und alt. Das Mobiliar stammt wie das Gerichtsgebäude selbst, aus der Gründerzeit. Gauner und Falotten gab es immer schon. Ich bin jetzt einer von ihnen.
Mit lautem Klacken wird der schwere Riegel zurückgeschoben, noch ein Schlüsseldreher und ich bin drin. Skeptisch starren mich drei Augenpaare an und ich versuche ein wenig unbeholfen mit einem genuschelten „Habe die Ehre“, zu grüßen. Ein dumpfer Schlag, ich drehe mich noch einmal um, die schwere Tür ist ins Schloss gefallen. Ich sehe nur mehr die glatte Innenfläche ohne Klinke.

Ein etwa 30 jähriger Mann, offenbar der Capo in diesem Raum, stellt sich als „Manfred“ vor. „Ich bin der Franz“ sage ich und schaue auf die beiden anderen Zellengenossen. „Sulejman“ sagt ein kleiner Jugoslawe und hebt halbherzig seine Hand zum Gruß. „Isch bin der Helmut und komme aus Frankfurt“, blafft der dritte im Bunde. „Typischer Piefke“ denke ich, „vor denen bist nicht einmal im Häfen sicher.“ Mir wird ein Kästchen in Kopfhöhe der rechten Wand zugewiesen. Hier kann ich die Anstalts-Unterwäsche, ein Nachthemd, Seife, Zahnbürste, Handtuch und einen blechernen Schekel mit Löffel einräumen. Auf meine Frage: „Was ist mit Rasierzeug?“, antwortet Manfred grinsend: „Sicherheitsmaßnahme, Rasierklingen gibt es nur zweimal pro Woche auf Anforderung, sie müssen nach Gebrauch wieder abgeben werden. Obwohl (und jetzt verstehe ich sein Grinsen) du dich mit diesen stumpfen Uraltklingen aus Kriegsbeständen kaum umbringen kannst.“

Ich schaue mich um in der relativ hohen Zelle mit einem blitzblank gebohnerten Boden aus rotbraunem Holzbeton. Ich schätze den Raum auf 5 x 3 Meter, stirnseitig ist ein Fenster, natürlich vergittert und so hoch, dass man nur auf dem Stuhl stehend hinaussehen kann. Links und rechts vom Fenster stehen der Länge nach zwei metallene Stockbetten. Der Tisch in der Raummitte ist von vier Hockern umgeben, ein Waschbecken grenzt an den in der Ecke neben der Tür befindlichen Lokus ohne Brille. Mich befremdet an diesem Abort die fehlende Abgrenzung zum Raum. Man sitzt wie auf einer Bühne und scheißt . In mir steigt ein Gefühl der Hilflosigkeit auf. Mit meiner ohnehin nur gespielten Selbstsicherheit ist es vorbei und das ist mir anzusehen. Prompt kommt die rhethorische Frage: „Du bist zum ersten mal hier, stimmt´s?“ Ich bejahe und spüre in diesem Moment, dass ich mich jetzt in der Häfenhierarchie behaupten muss. Beim ersten Gespräch mit meinen Zellengenossen kommt nach und nach Persönliches zur Sprache. Sulejman will sein Alter nicht sagen, ist aber sonst freundlich. Er ist Hütchenspieler und kommt aus Jugoslawien. Warum genau er „sitzt“ wird mir nicht klar, er spricht nicht viel. Manfred, der Capo, ist ein 33 Jahre alter Wiener und schon 6 Monate in U-Haft. Er ist Einbrecher und bezeichnet sich selbst als „Steher“. Er gibt nur zu, was ihm eindeutig bewiesen werden kann. Helmut, der dreissigjährige Schönling aus Hessen, gibt zu, ein Heiratsschwindler zu sein, sitzt aber wegen Autodiebstahl und Einbruch in U-Haft. Meine Zellenbrüder haben durchwegs Knasterfahrung. Verurteilt ist noch niemand, alle warten mit gemischten Gefühlen auf ihren Verhandlungstermin.

„Hast du Geld und warum bist du hier?“ werde ich gefragt. Die Geldfrage muss ich verneinen, ich bin komplett abgebrannt. Die Frage: „Warum bist du hier?“ ist schon schwieriger. Instinktiv antworte ich mit: „Scheckbetrug“, das stimmt zwar nicht ganz, aber es gibt mir Zeit zum Überlegen. „Das ist schon in Ordnung, wenigstens kein Eierdieb“, sagt Manfred. Er meint damit, dass er mit Kleinkriminellen nichts anfangen kann. „Na, da kann ich ja beruhigt sein“, denke ich. Die Wahrheit ist, dass ich in einer Bank mit einem gefälschtem Scheck Geld beheben wollte und dabei festgenommen wurde. Das Scheckbuch hatte ich von einem Kumpel, den ich nach durchzechter Nacht im Bahnhofsbuffet kennengelernt hatte. Von ihm kannte ich nur den Vornamen: Alfred. Er erzählte mir, dass er das Scheckbuch in Wien gestohlen hätte. Der Kontobesitzer hätte einen Unfall erlitten und läge im Krankenhaus im Koma. Die Unterschrift sei „wasserdicht“ gefälscht, meinte Alfred und zeigte mir gleichzeitig eine „echte“ Signatur zum Vergleich. Am Konto würden über 300.000 Schilling liegen, die wir, sofern ich mitmachen würde, vorsichtshalber in kleinen Tranchen abheben könnten. Ich wäre genau der richtige Typ, denn er bräuchte einen seriös wirkenden, halbwegs gut angezogenen Menschen, der in der Bank nicht auffällt, wenn er den Scheck einlöst. Er selbst sei dafür zu schlecht gekleidet, meinte er. Ich fühlte mich geehrt und da ich komplett pleite war, sah ich in dieser Aktion, die mir Bares einbringen sollte, meine letzte Chance, aus dem Leben am Rande der Gesellschaft auszusteigen. Welch´ fatale Fehleinschätzung.

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