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Die Möchtegern-Gräfinnen

Elfi im bayerischen Miesbach, Sonja in Würzburg und Manuela in Stuttgart, hocken gebannt vor der Flimmerkiste. Werbend schaut ihnen ein edles Antlitz entgegen. Es handelt sich um einen echten Grafen mit echtem Schloss und noch waschechterem Vermögen und so wirkt jener Mann auf sie besonders begehrenswert. Zudem hat der Edelmann das halbe Leben bereits hinter sich und trotz blauen Blutes sowie Geld wie Heu keine würdige Partnerin gefunden.

„Entweder stellt der total überzogene Ansprüche oder er hat einen deutlichen Sprung in der Schüssel!“ Wie meint das wahrlich bemitleidenswerte Geschöpf gerade: „Sie sollte bildhübsch sein, intelligent, meine Interessen teilen und repräsentieren können. Aber ich erwarte vor allem, dass sie sich unterordnet!"

Elfi, das hübsche Bauernmädel (25 Jahre) aus Bayern, sagt sich: „Das mit der Unterordnung würd` i dem noch abgewöhnen! Aber davon abgesehen: Inlent bin i und repentiert hab i au scho auf dem letzten Maifest an der Seite vom Bürgermeister.“ Sie ist wohl sehr von sich überzeugt.

Sonja, die schöne Studentin (26 Jahre) aus Würzburg, grübelt: „Wir würden wunderbare Diskussionen führen, Museen sowie Theater besuchen und mit namhaften Größen aus Gesellschaft und Kulturkreisen verkehren.“ Gleich Elfi traut sie sich zu, ihm die Unterordnung-Macke fix austreiben zu können.

Manuela, die rassige Friseurin (30 Jahre) aus Stuttgart, darf sich ihm durchaus ebenbürtig fühlen, denn auch sie hat eine deutliche Macke. Ihr Lupenhund, Mischung Chihuahua/ Bohnerbesen, obendrein tatsächlich Kleopatra genannt, trippelt nur mit Strass verziertem Halsband und nie ohne gleich farbene Lederschuhe über die Straße und wackelt in denen arg unbeholfen einher. Genauso verzweifelt kämpft Frauchen Manuela auf den 10cm-Absätzen der ebenfalls pinkfarbenen Schuhe ums Gleichgewicht.

Nur selten sind sich Frauen dermaßen einig. Unabhängig voneinander entscheiden sie sich: „Nichts wie hin!“ Rasch packen sie die Koffer. Elfi wählt als Festgewand das blaue Sonntagsdirndl aus und flechtet sich Zöpfe. „So sehe ich noch jünger aus!“ Ältere Männer mögen junge Frauen.

Sonja dagegen sucht ein dezentes, elegantes Kostüm heraus, selbstverständlich die passende Handtasche und schlichte Pumps. Das blonde Haar lässt sie offen über die Schulter fallen. In Stuttgart dreht sich Manuela vor dem Spiegel: „Der kriegt Stielaugen!“ Auf dem Bett türmt sich der halbe Inhalt des Kleiderschrankes. Letztendlich greift sie sich ein weißes tief ausgeschnittenes, extrem kurzes Kleid, das den üppigen Busen und auch die wohlgeformten Beine bestens zur Geltung bringt. Klein-Kleopatra trägt einen weißen Jogginganzug mit Kapuze und weiße Turnschuhe.

So treffen die drei Möchtegern-Gräfinnen vor dem Schloss des Grafen ein und, deswegen mächtig sauer, unerwartet aufeinander. Gezwungenermaßen machen sie gute Miene zum peinlichen Spiel, strahlen sich an und murmeln zuckersüße Worte, hegen dabei jedoch bitterböse Gedanken. Die Haushälterin führt sie in das Empfangszimmer und die Drei nehmen auf einem hochvornehmen Sofa Platz.

Kurz darauf lässt der Graf bitten. Als Erste folgt Elfi der Aufforderung. Es empfängt sie ein sehr charmantes Lächeln. Nur jetzt keine Unsicherheit zeigen! Elfi lächelt also charmant zurück. „Erzählen Sie mal etwas über sich!“ Der Graf erfährt: Elfi wuchs auf einem Bauernhof aus, kennt sich bestens mit Kühen und Schweinen aus und kann sogar reiten. Der Edelmann lächelt höflich und ist scheinbar tief beeindruckt. „Und - haben Sie schon mal in der Öffentlichkeit gestanden?“ „Ja, einmal!“, erklärt sie stolz. „Da hab i dem Bürgermeister sein Mikro gehalten.“ „Donnerwetter!“, ringt er um Disziplin und verabschiedet sich mit einem Wangenkuss.

Als Nächste ist Sonja an der Reihe. Souverän lächelnd betritt sie den Salon. Dem Grafen gefällt sie auf Anhieb. ´Hübsch, wirkt intelligent. Sehr viel Gefühl für Stil!` Sie führen ein ausgesprochen interessantes Gespräch. Thema reiht sich an Thema, beide vergessen die Zeit. ´Eine attraktive Frau!`- “Ich hoffe, dass dies nicht unser letztes Treffen gewesen sein wird!“ Strahlend verlässt Sonja den Raum.

Nun erscheint Manuela auf der Bildfläche. Der Graf ist froh, dass er sitzt. Sie wiegt sich in den Hüften, ihr Busen hüpft bei jedem Schritt auf und nieder und sie lässt keine Gelegenheit aus, seinen Blick auf die schier endlos langen Beine zu lenken. Klein-Kleopatra dagegen duckt sich, wohl schwer enttäuscht, in Manuelas Armbeuge. Vielleicht hat sie ja auf einen schicken adeligen Rüden gehofft? Der Graf ist tatsächlich tief beeindruckt, aber gänzlich anders, als Manuela denkt. ´Mein Gott! Der reine Pamela-Anderson-Verschnitt und dazu noch dieser Hund ...` „Ist er/sie immer dabei?“ „Ohne sie geh i nirgendwo hin und nachts schläft sie auf meinem Kopfkissen. Es ist ja so süß, so ein entzückendes Schnäuzchen an meiner Wange!! Nich, Kleopatrachen, mein Schnuckelchen?“

Kleopatra ist in diesem Moment eindeutig die Klügere und hält die Schnauze. Gut erzogen bemüht sich der Edelmann um weitere Konversation, denn es verbleiben noch fünf Minuten festgelegter Redezeit. „Und wofür interessieren Sie sich ansonsten noch?“ „Ooh, i geh für mei Leben gern shoppen, aber nur Gucci oder so … Und chic essen, kenne da einige Restaurant der Extraklasse.“ So exaltiert, wie sie auftritt, verkehrt sie ja vielleicht in Künstlerkreisen. Also macht er die Probe aufs Exempel: „Kennen Sie Hundertwasser?“ Den Namen hat Manuela schon mal gehört. ´Das ist auf jeden Fall etwas Modernes!`, brütet sie und fragt: „Ist das ein neues Parfüm?“ Fassungslos bricht der Graf das Gespräch ab, diesmal ohne Handkuss und auch ohne obligatorisches charmantes Lächeln.

Einige Tage später erhält Sonja einen Brief. Der Graf lädt sie für eine Woche auf sein Schloss ein. Prompt schwebt sie auf Wolke 5 und sieht sich dem hochgestochenen Ziel ihrer Träume bereits ziemlich nahe. „Warum sonst sollte er mich einladen? Der hat Feuer gefangen!“ Sie nimmt ihre edelsten Designer-Kleider und legt sie sorgfältig gefaltet in den Koffer. Angehende Gräfinnen machen das so! Einige Stunden später betrachtet sie hingerissen das prachtvolle Schloss. Der ist steinreich!
Schnell noch richtet sie ihre Frisur, keine Minute zu früh, denn schon schreitet der Graf strahlend auf sie zu. Wieder gibt er ihr einen Handkuss, doch diesmal schaut er ihr dabei tief in die Augen. Sonja landet auf Wolke 6. Er geleitet sie durchs Haus zu einem Gästegemach. Von dem traumhaften Himmelbett mitten im Zimmer kann sie durchs Fenster bis zum Horizont schauen. „Wunderschön!“, schwärmt sie. ´Vielleicht gehört das alles bald mir. Zumindest zur Hälfte ...`

Ihr Gastgeber zieht sich zurück und die junge Frau packt den Koffer aus. Eine halbe Stunde später treffen sie sich zu einem ersten Rundgang. Überall stehen antike Möbel mit Intarsien, hängen wertvolle Gemälde und liegen kostbare Teppiche. Vor der Ahnengalerie hebt der Schlossherr zu ausschweifenden Erklärungen an. Sonja heuchelt bewunderndes Interesse und langweilt sich dagegen zu Tode.

Nachmittags scheint die Sonne und der Graf schlägt einen Ausritt vor. ´Wow!` Sonja langweilt sich auf einmal gar nicht mehr. Den gutaussehenden Mann auf dem edlen Pferd neben sich und die riesigen Ländereien vor Augen, fühlt sie sich bereits fast als Gräfin und genießt es. Sie reden und sie lachen viel. Stunden vergehen. Auf einer sanften Anhöhe machen sie Rast. „Es muss wunderbar sein, hier zu leben!“ Anstatt sich darüber zu freuen, schaut der Graf auf einmal sehr ernst. „Es wäre an dem, wenn nicht ...“, beginnt er zögerlich. Die Stirn runzelnd horcht Sonja auf. Mit einem schnellen Seitenblick zu ihr fährt er fort: „Wegen der Kosten zur Unterhaltung des Anwesens bin ich mittlerweile hoch verschuldet, werde alles verkaufen müssen und in die Stadt ziehen!“ „Wie bitte!!?“ Sonja ist schockiert. Ihr lang gehegter Traum ist zerplatzt wie eine Seifenblase. ´Kein Schloss, kein Gut: Adieu, Luxusleben!`

Nicht länger sieht sie einen Traumprinzen vor sich, sondern nur einen unbedeutenden Jemand, von dem sie sich obendrein schlimm betrogen fühlt. Vortäuschung falscher Tatsachen! „Das hat der feine Herr ja prima eingefädelt! Du - und ein Adliger? Ein jämmerliches, unverschämtes Würstchen biste!!“ Wutverzerrten Gesichtes setzt sie eiskalt hinzu: „Nicht mit mir! So habe ich mir das nicht vorgestellt!“ Sie lässt den nun leichenblassen, sie entsetzt anstarrenden Grafen stehen und braust davon. ´Dafür hab ich nicht Benimm-Kurse besucht, wochenlang Lexika auswendig gelernt und mich garantiert nicht pro forma an der Uni als Studentin eingeschrieben …!!“

Autorin: tastifix

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