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Glaubenskrieg

Kolumne

Glaubenskrieg

Verglichen mit den PC-Glaubenskriegern sind die religiösen Fundamentalisten ein schlapper Verein. Fragt sich nur, warum die Anwender als Werbeträger für Produkte auftreten, mit denen sie selbst nicht zufrieden sind.

Dabei ist "Werbeträger" schon eine krasse Untertreibung. Darunter versteht man gemeinhin ein Ja auf die Frage, ob jemand mit einem bestimmten Produkt zufrieden ist, und bestenfalls ein Schulterzucken, wenn der so Beratene dann doch etwas anderes kauft. In der PC-Welt hingegen können daran Freundschaften zerbrechen oder zumindest endlose Diskussionen auslösen. Hier gibt es keine normalen Werbeträger, sondern missionarische Eiferer, fragt sich nur warum. Ich glaube, die Lösung des Rätsels gefunden zu haben.

Es muss eine unsichtbare gasförmige Droge sein, die beim Öffnen der Verpackung frei wird. Der Anwender atmet deren Dämpfe bei der Installation ein, und das um so intensiver, je häufiger er die 147 Varianten der Einstellungen ausprobiert, von denen bekanntlich nur eine (oder gar keine) funktioniert. Die Droge wirkt derart traumstimulierend, dass in der Tiefschlafphase eine Geschichte abläuft, an die sich das Opfer am nächsten Morgen nicht mehr erinnert, die jedoch sein Verhalten im Wachzustand prägt.

Zufällig sind wir auf einen Linux-User gestoßen, bei dem die Traumerinnerungssperre ausfiel, weil ihm just in diesem Augenblick seine temporäre Lebensgefährtin die Bettdecke geklaut hatte.
Der User wurde in einen sakralen Raum geführt, wo ihn Männer mit riesigen Köpfen und winzigen Körpern begrüßten. Er kniete vor einem blauen Altar, legte seine rechte Hand auf das Manual und sprach den Schwur nach: Ich schwöre, Linux stets tapfer zu verteidigen, zu Windows nur noch Windoof zu sagen, überall zu verkünden, dass 64 mehr als 32 ist, und jeden Monat wenigstens zwei begeisterte Forenbeiträge zu schreiben.

Dieses Erlebnis mag Zufall gewesen sein, doch mehrere Fakten stützen meine These. So fällt auf, dass Raubkopierer graduell schwächer oder überhaupt nicht für ein Produkt kämpfen. Der Grund ist, dass beim Kopieren nur noch Spuren des Traumgases übertragen werden, bzw. spätestens ab der dritten Kopie gar nichts mehr.

Die These erklärt auch sehr gut die so oft bewunderte Objektivität und Neutralität von uns PC-Journalisten. Wer ständig neue Software installiert, wird schon nach wenigen Tagen immun, es sei denn, er wird einer Überdosis ausgesetzt, so wie dies im Falle von Windows XP geschehen ist. Mehrere Überdosen bewirken allerdings schwere Verhaltensstörungen bis hin zu auflagensenkenden Sprüchen wie "Macinstosh-User sind auch Menschen".

Störend an der Droge ist, dass ihre Wirkung mit der Zeit nachläßt und eine Wiederauffrischung, zum Beispiel mit Upates, eher zum Trauma anstatt zum Traum führt. So können Sie heutzutage ungestraft igit igit zu Turbo-Pascal sagen oder behaupten, dass Access besser als dBase sei, Straftaten, für die man Sie vor kurzen noch erschossen und gevierteilt hätte. Das wohl wissend, haben sich die Software-Hersteller einige flankierende Methoden einfallen lassen, um ihre Kunden wieder als Missionare zu aktivieren.

Zuerst muss der Kunde glauben, dass er zu den Ausnahmegenies zählt, die diese hochkomplizierte Software überhaupt bedienen können. Ersatzweise kann der daraus resultierende Glaube, einer Elite anzugehören, auch über den Preis erreicht werden. Trifft auch das nicht zu, muss man dem Kunden wenigstens einreden, der geistigen Führungselite anzugehören, weil er so klug war, genau diese Software zu kaufen. Ideal für jede Elite ist natürlich, wenn es massenhaft Deppen gibt, die ein schlechteres Produkt benutzen müssen, weil sie zu arm, zu dumm oder nicht aufgeklärt sind.

Mit dieser Argumentation konnte sich beispielsweise DOS jahrelang gegen Windows behaupten, und genau deshalb bekam dereinst Turbo-Pascal Probleme, weil das jeder Depp beherrschte, jedenfalls glaubte er das.

Nachdem DOS abgetreten wurde, gerät Windows ins Visier, denn was ist noch einfacher als Windows? Seine Nachfolger: Vista ist einfacher als XP, Windows 7 ist einfacher als Vista. Der Beweis sind die Einarbeitungszeiten. Waren es bei Vista 8 Wochen, sind es bei Windows 7 nur noch 7 (daher der Name):

Der nächste Ansatz ist schon etwas komplizierter. Der eine Usertyp strebt nach einem System, das als elitär gilt, während der andere wie ein Camper handelt , der sein Reiseziel nach dem Motto aussucht "eine Milliarde Mücken können nicht irren".

So gibt es sicherlich nicht wenige Linux-User, die nur deshalb konvertiert sind, weil jedermann Windows nutzt, während die Anhänger der Milliarden-Mücken-Theorie erst wechseln werden, wenn Linux die kritische Masse von 20% Marktantteil erreicht hat. Doch genau dann springen die bisherigen Elite-User ab, es sei denn, sie fühlen sich als Mitglieder einer Gemeinde. Deshalb ist gerade dieses Feeling eine wesentliche Komponente des Traumgases, während Maßnahmen wie Hotlines, Mailboxen, Infopost und Clubkarten hierbei nur unterstützend wirken.

Doch es muss ein Gegengift geben, denn anders kann ich mir diese Szene nicht erklären: Drei User sitzen an der Bar und trinken Weizenbier. Der eine nutzt Windows, der nächste Linux und der dritte Mac OS X. Die Drei schlagen sich nicht, sie diskutieren das Thema nicht, offensichtlich akzeptiert jeder das System des anderen. Heißt das Gegengift etwa Weizenbier?

Autor: WoSoft

Peter Wollschlaeger

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