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Eine Weihnachtsgeschichte

Der kopflose Reiter und der Wiedergänger oder: "Eine Weihnacht auf Pellworm"

Es war einer dieser unwirtlichen, stürmischen Regentage im Hamburger Herbst. Am Fischmarkt war "Land unter" und wer eben konnte, der blieb zu Hause und machte es sich gemütlich.
Ich hatte gerade das Kaffeewasser aufgesetzt, als das Telefon schrillte. "Jaja, ich komme ja schon", murmelte ich unwillig vor mich hin und nahm den Hörer ab. "Ah, moin moin, na endlich, wie lange brauchst Du denn zum Telefon", dröhnte eine bekannte Stimme. Es war mein alter Freund Hinnerk aus Pellworm. "Lütte, kannst Du über Weihnachten auf meiner Warft einhüten?“ Lütte nannte er mich immer, weil ich nur 1,58 m groß war. "Ich möchte gerne mit dem Landbauernverein nach Irland verreisen". "Nichts spricht dagegen Hinnerk", entgegnete ich. Mein Sohn ist über Weihnachten in Berlin bei seiner Freundin und Besuch bekomme ich nicht.

Gustl, mein Freund aus dem Allgäu und tief verwurzelt in seiner Heimat, war nicht bereit Weihnachten in Hamburg, was ja für Allgäuer schon fast Ausland war, zu verbringen. Er besaß dort einen kleinen Heimat - Verlag. Wir führten nun schon eine ganze Weile eine Fernbeziehung. - Ja, seufz... - ein bayrisches Urgestein und ein Nordlicht, das gab so manche Turbulenzen.

Am Morgen des 23. Dezember setzte ich also meine Hündin Luna in das Auto und fuhr bepackt mit so allerlei, in Richtung Husum / Nordstrand. In Strucklahnungshörn nahm ich die Fähre und war gegen Mittag auf der Insel.

Ein traumhafter Anblick erwartete mich. Pellworm im Winter, einfach ein unglaublicher Anblick. Schneebedeckte Deiche und Reetdächer, Häuser mit weihnachtlich geschmückten beleuchteten Fenstern, ansonsten alles watteweich und weiß. "Winterwonderland...“, summte ich vergnügt vor mich hin. Ich wollte noch zwei Bleche Weihnachtskekse backen und kaufte die Zutaten bei Edeka Feddersen, einem der zwei Lebensmittelgeschäfte der Insel. Die selbstgemachten Lammfrikadellen des Schlachters sind legendär und ich kaufte gleich fünf davon. Was sollte ich Heiligabend essen? Vielleicht gab es noch Nordseekrabben, es war ja einer der Monate, welcher mit R endete, wo es Krabben gibt. Und die bekam ich hier beim Taucher, der mit dem Kutter nachts herausfuhr. Tatsächlich, ich hatte Glück und deckte mich reichlich ein. Das Krabbenpuhlen beherrschte ich inzwischen gut. Ich hatte sogar einmal bei der Inselmeisterschaft darin den zweiten Platz belegt. Dann fuhr in Richtung Schutzstation Wattenmeer zum anderen Ende der Insel und schon von weitem sah ich auf dem Hügel Hinnerks Warft. Welch vertrauter, lieber Anblick. Ich wusste, was ich täglich zu tun hatte: Schafe zählen, Hühner und Graugänse füttern, Eier einsammeln und Pferde versorgen.

Es schneite immer noch dicke Flocken, als ich in die Einfahrt fuhr. Der Schlüssel würde wie immer auf der Konsole im Pferdestall liegen, dort wo auch die Kutschen standen und das Zaumzeug hing. Auf Pellworm haben die meisten alten Friesenhäuser vier Eingänge. Warum? Damit "De Düwel" (der Teufel) nicht weiß, welches der richtige Eingang ist und sich verirrt. Ich wohnte immer in der separaten Wohnung, welches die eigentlich rechte Haushälfte war. Ich schloss die Tür auf. Hinnerk hatte mir sogar einen kleinen Tannenbaum besorgt und auf dem Tisch stand eine Flasche Friesenpunsch: "De geele Köm". Den kann man mit Tee und Kluntjes trinken oder als Grog. Hmmm, lecker.

Ich sah aus dem Fenster. So still und sauber ist es hier. Ganz anders als in der Stadt. Ich ärgerte mich über meinen Freund in Bayern. Gustel konnte mich mal..., sollten ihn doch die Perchten hohlen, die in den Raunächten unterwegs waren. Nach altem bayerischen Brauch, wo sich Spaß und Mystik verbinden, zogen sie kettenrasselnd und furchteinflößend mit ihren Holzmasken, den gedrehten Hörnern und Trommeln rumorend durch die Gegend. Am besten sollte den Gustl gleich Frau Perchta, die doppelköpfige Wintergöttin persönlich, welche auch in vielen Märchen Frau Holle heißt und die Frau von Wotan, dem Wettergott ist, holen. Alleine kann es auch gemütlich sein, dachte ich und stellte mein Handy ab. Wer sollte auch anrufen?

Ich feuerte den Kaminofen an. Im Flur stand seit Jahren meine Stammtruhe mit meinen Sachen und der Kleidung samt Gummistiefeln. Ich sah hinein. Mist, nicht ein einziges Buch, das ich noch nicht kannte. Meinen Islandkrimi hatte ich zuhause vergessen. Ich schlenderte unwillig zum Regal im Wohnzimmer. Naja, nicht gerade mein Geschmack. Aber hier, das könnte interessant sein: Sagen aus Pellworm um die Jahrhundertwende.

Es dunkelte schon und inzwischen war wirklich alles zugeschneit und es gab auf der ganzen Warft keine Schärfen und Kanten mehr, allerdings auch kaum Licht. Ich schloss die Fensterläden. Die zwei Bleche Kekse waren schnell gemacht und die ganze Wohnung durchzog ein Weihnachtduft von Vanillekipferln und Lebkuchen. Hinnerk würde sich sicher freuen, wenn er aus Irland zurück kam und noch Weihnachtsgebäck vorfand.

Ich schenkte mir Tee ein und gab einen ordentlichen Schuss "De geele Köm" dazu. Die erste Sage in dem Buch handelte von einem reichen Salzkaufmann aus Pellworm, welcher seine Tochter in die Wand der Waschküche eingemauert haben soll, damit sie nicht einen Mann vom Festland heiratete. Seitdem soll diese Wand nie wieder weiß zu streichen gewesen sein, immer sei die Silhouette der Frau als grauer Schatten wieder durch gekommen. Huch, gruselig. Ich blätterte weiter. Und gerade im dem Moment, als in der nächsten Geschichte der kopflose Reiter den Deich entlangritt, vernahm ich plötzlich ein Klopfen. Ich erschrak. Nicht doch, das konnte nicht sein. Bestimmt ein herunterfallender, schneebedeckter Ast vom Baum oder die klappernden Fensterläden. Ich griff zum Becher mit dem Punsch und nahm einen großen Schluck. Das machte es auch nicht besser und ich beschloss, ins Bett zu gehen. Wieder vernahm ich so etwas wie ein Scharren und Schleifen. Das könne nur am Punsch liegen, mutmaßte ich und ließ vorsichthalber die kleine Nachttischlampe an. Meine Hündin Luna lag behaglich eingerollt am Fußende des Bettes. Toller Wachhund! Auch ich schlief jedoch bald ein. Morgen ist Weihnachten, dachte ich.

Ein paar Stunden später riss mich ein Knall von oben und gleich darauf ein Rascheln und Scharren, aus dem Schlaf. "Der kopflose Reiter.... " murmelte ich schlaftrunken vor mich hin. Quatsch, rief ich mich zur Ordnung, da oben ist nur der Heuboden mit den Strohballen, einige alte Möbel und sonst nichts. Vielleicht Eulen oder ein Marder dachte ich. Und wenn nicht...?
Der einzige Polizist auf der Insel war vor drei Jahren in Pension gegangen. Doch im Flur gab es eine Deckenklappe nach oben, wo man eine Art Leitertreppe herausziehen konnte. Ich zog meinen dicken Norwegerpullover über mein Nachthemd und die Wollsocken an. Dann holte ich die Taschenlampe, öffnete die Luke und stieg vorsichtig hinauf. Noch nicht ganz oben angekommen, vernahm ich ein leises Röcheln. Vorsichtig leuchtete ich herum. Da lag etwas! Zwischen den Strohballen lag ein mit irgendetwas gefüllter Sack. Eiskalte Schauer liefen mir über den Rücken, mein Blutdruck stieg merklich an. Eine Leiche!!! Oder noch schlimmer ein "Wiedergänger". Das waren die im Meer Ertrunkenen, deren Seelen keine Ruhe fanden. Ein sogenannter "Huckup", wie die Insulaner hier sagten. In manchen Vollmondnächten wanderten sie umher und sannen auf Rache für das Unrecht, das ihnen geschehen war. Ich sah mich um und erblickte zwischen Möbeln, alten Koffern, Geschirr und Strohballen eine Forke oder Heugabel. Mit ihr bewaffnet pirschte ich mich näher an das "Etwas " heran. Gerade erhob ich den Arm mit der Forke, als Leben in den "Sack" kam. Etwas ragte da oben heraus. Ein Schopf, mit einer Frisur wie ein geplatztes Sofakissen. Mit der Taschenlampe leuchtete die Kreatur an und dann traf mich fast der Schlag. Ich schleuderte die Mistgabel durch die Luft. Sie landete auf einem der oberen Strohballen "Oh mein Gott, Gustel", kreischte ich entsetzt. "Was machst Du denn hier?" Keine Antwort. Denn sprechen konnte er nicht, dazu musste ich ihn erstmal unten in der Badewanne auftauen.

Ich bereitete noch einmal Teepunsch zu und dann erzählte er mir die ganze Geschichte: Er hatte plötzlich Sehnsucht bekommen und wollte mich Weihnachten doch nicht alleine lassen. Dann war er bei fürchterlichen Wetterverhältnissen die fast 890 km von Untermeiselstein bis zur Nordseefähre gefahren, hatte das Auto auf dem Deichparkplatz stehenlassen und dann übergesetzt. Da er der letzte Passagier war und der Pellwormer Fährmann Feierabend hatte, nahm dieser ihn mit und setzte ihn hier ab. Unterwegs versuchte er verzweifelt mich auf meinem Handy zu erreichen. Doch nichts tat sich. Hier angekommen sei alles verriegelt und verrammelt gewesen, die Fensterläden geschlossen. Nur an der Hauswand habe eine marode Leiter in Richtung einer halboffenen Speichertür im Dachfirst gelehnt. Mit seinem Rucksack auf dem Rücken sei ihm keine andere Wahl geblieben, als dort hochzusteigen und sich zumindest einen warmen Platz zu suchen für die Nacht. Den habe er dann zwischen Heuballen und in einem leeren Kartoffelsack gefunden. Dann sei er vor Erschöpfung eingeschlafen und erst wach geworden bis ich ihn zu guter Letzt fast mit der Schaufel erschlagen, beziehungsweise mit einer Mistgabel aufgespießt hätte.

"Gustl, du armer Kerl", mir standen die Tränen in den Augen. Ich nahm ihn in den Arm. " Gusteliiii, ich verspreche es ganz fest, nächstes Jahr wird Weihnachten in Untermeiselstein gefeiert.“ Ich öffnete einen Fensterladen. Das Licht des vollen Mondes zauberte wunderbare Reflexe auf die schneebedeckte Insel und ein stiller Weihnachtsfrieden durchzog die Nacht.

Beihnahe hätte die Insel also einen Wiedergänger mehr gehabt. Es wurde ein wundervolles Weihnachtsfest voller Romantik, Leidenschaft und Ruhe. Eine Weihnacht auf Pellworm.

Hinweis der Autorin: Ähnlichkeiten mit in Nordfriesland oder in Bayern wohnenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt ;-)

Autor: Lunasun1956

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