Genuss ohne schlechtes Gewissen
Der kleine Bauch ist das sichtbare Zeichen, dass wir in der Vergangenheit Essen und Trinken genossen haben. Der Genuss ging über das reine Stillen des Hungers und des Durstes hinaus. Der Mensch hat seit Urzeiten drei Dinge besonders genossen: Essen und Trinken – körperliche Nähe und Zuwendung – und nicht zuletzt berauschende Getränke und andere Drogen.
Seit der Erfindung der neuzeitlichen Religionen stehen diesen Genüssen die Verbote und Vorschriften der entsprechenden Religionen gegenüber. Für jede Übertretung dieser Vorschriften werden den Menschen Bestrafungen angedroht und die Folge hiervon war die Entwicklung des sogenannten schlechten Gewissens. Wir alle wissen, dass ein übermäßiger Genuss nicht nur ‚himmlische‘ Strafen, sondern auch recht irdische Probleme in Form von sogenannten Zivilisationskrankheiten nach sich zieht. Und so ist der Mensch gefangen in einem Dilemma von mehr oder weniger großen Ausmaßen. Genießen wir das gute und so schmackhafte Essen oder hungern wir, um der Idealfigur für den nächsten Badeurlaub wieder etwas näher zu kommen?
Wenn wir uns nun ein wenig in der Geschichte umsehen, müssen wir erkennen, dass sich die Ideale in Bezug auf die figürlichen Proportionen im Laufe der Zeit doch recht schnell und drastisch wandeln. Galt eine füllige Figur in alten Zeiten als ein sichtbares Zeichen des persönlichen Erfolges und Wohlstandes, so wurde dieselbe Üppigkeit in der jüngsten Zeit als sichtbares Zeichen für einen ungesunden Lebenswandel gesellschaftlich gebrandmarkt.
Nach den Hungerjahren, die dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland folgten, wurde die Leibesfülle in den sechziger Jahren als Zeichen des wachsenden Wohlstandes gesehen. Man konnte es sich leisten den Braten nicht nur am Sonntag zu essen und wer kennt sie nicht, die Familienfeste, die zu wahren kulinarischen Schlachten ausarteten. Und heute, nur wenige Jahrzehnte später erscheint uns ein solches Verhalten schon fast unerklärlich.
Heute, wo die Mehrheit der Menschen sich auf der Seite von fülligerer, als die in der Werbung angepriesene Idealfigur wiederfindet, wird es Zeit darüber nachzudenken, was dies eigentlich bedeutet. Essen und Trinken gehören, wie schon gesagt, zu den Grundgenüssen des Menschen. Dass wir süß und fettig bevorzugen gehört zu unserem evolutionären Erbe, dass wir nicht einfach ablegen können. Sprich, wir werden mit recht schlechten Ausgangschancen in diese Welt hinein geboren.
Die Empfehlungen zur gesunden und richtigen Ernährung ändern sich inzwischen schon fast so schnell, wie die Mode. So ist, was gestern als richtig galt, heute schon wieder völlig überholt und damit natürlich total falsch. Nicht mehr viele kleine, sondern wenige große Mahlzeiten ist der aktuelle Trend; mal sehen, was da als Nächstes auf uns zu kommt.
Es ist ohne Zweifel richtig, dass mit dem Einzug der amerikanischen Form des Fast Food und des TV-Dinners die Ernährung sich nicht verbessert hat. Nun hat unsere Lebensweise, mit dem nie Zeit haben, ein Übriges dazu getan, dass man schnell etwas isst, weil man für mehr einfach keine Zeit hat.
Zum Ausgleich für diese kleinen Sünden beim Essen quälen wir uns dann stundenlang im Fitness Center und reden uns ein, dies ist alles nur gut für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden.
Zwar sehen die wenigsten Menschen heute noch die ‚Völlerei‘ als eine Todsünde, aber die Übergewichtigen werden nur zu gern als willensschwache und daher minderwertige Menschen abgestempelt.
Es ist an der Zeit, das die Menschen mit den sichtbaren Zeichen, dass sie das Leben genießen, anfangen dazu zu stehen und sich nicht mehr länger ein schlechtes Gewissen einreden lassen. Solange der Bauchumfang, keine gesundheitlichen Probleme mit sich bringt, sollte er von seinem Besitzer nicht länger als Makel angesehen werden. In diesem Sinne auch euch allen eine schöne Zeit und bis zum nächsten Mal.
Denis
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