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Der Weihnachtsmann in der Lumpenkiste

Weihnachtsbaum
foto: Baerchen44



In meiner Heimat gehen am Andreastage, dem 30. November die Ruprechte von Haus zu Haus. Die Ruprechte, das sind die Burschen des Dorfes, in Verkleidung wie sie die Bodenkammern und Truhen der Altenteiler, der Großeltern hergeben. Die rüden Burschen hat bei diesem Rundgang durch das Dorf keineswegs der Ehrgeiz, friedfertige Weihnachtsmänner zu sein. Sie dringen in die Häuser, wie eine Räuberhorde.. Sie schlagen mit Birkenruten um sich, werfen Äpfel und Nüsse, auch Backobst ins Zimmer. Sie brummeln wie alte Bären und wackeln mit ihren vermummten Köpfen. „Können die Kinder beten?“ brummten sie. Die Kinder beten, sie beten vor Angst kunterbunt:“Müde bin ich geh zur Ruh´…komm Herr Jesus sei unser Gast … der Mai ist gekommen…“
Wenn die Ruprecht Horde die kleine Schneiderstube meiner Mutter verlassen hatte, roch es darin noch lange nach stockigen Kleidungsstücken, nach Mottenpulver und reifen Äpfeln. Meine kleine Schwester und ich saßen unter dem Schneidertisch. Die Tischplatte schien uns ein besseren Schutz, als alle unsere Gebetchen und wir wagten noch lange nicht hervor zu kommen, noch weniger das Dörrobst und die Nüsse, die die Ruprechte in die Stube geworfen hatten, anzurühren. Das hat dann wohl auch der Mutter nicht gefallen, denn sie bestellte im nächsten Jahr die Ruprechte ab. Oh, was hatten wir für eine mächtige Mutter! Sie konnte die Ruprechte abbestellen und das Christkind einladen.
Zu uns kam also jahrsdrauf das Christkind, um uns mit den üblichen Weihnachtsbringern zu versöhnen. Das Christkind trug ein weißes Tüllkleid und ging – in Ermangelung von heiligweißen Strümpfen – es war im 1. Weltkrieg – barfuß in geborgten Brautschuhen. Sein Gesicht war von einem großen Strohhut überschattet, dessen Krempe mit Wachswattekirschen garniert war. Vom Rande des Strohhutes fiel dem Christkind ein weißer Tüllschleier über das Gesicht. Das holde Himmelskind sprach mit piepsiger Stimme und streichelte uns sogar mit seinen Brauthandschuhenhänden. Als wir unsere Gebete ab gerasselt hatten, wurden wir mit gelben Äpfeln beschenkt, die den Goldparmänen Äpfel, die wir als Wintervorrat auf dem Boden in einer Strohschütte liegen hatten, sehr glichen. Das sollten nun Himmelsäpfel sein?
Wir bedankten uns bei dem Christkind trotzdem artig mit „Diener“ und „Knicks“ und das Christkind stakte gravitätisch auf seinen nackten Himmelbeinen in Brautstöckelchuhen davon. „Habt Ihr gesehen wie´s Christkind aussah?“ fragte meine, mit dem Christkind zufriedene Mutter.
„Ja – sagte ich – wie Bukis Alma hinter einer Gardine sah´s aus.“
Bulkis Alma war die etwas vierzehnjährige Tochter aus der Nachbarschaft. An diesem Abend sprachen wir nicht mehr über das Christkind. Vielleicht kam die Mutter wirklich nicht ohne Weihnachtsmann aus, wenn sie tagsüber die nötige Ruhe in ihrer Schneiderstube erhalten wollte. Jedenfalls sollte der Weihnachtsmann nach dem misslungenen Christkind nunmehr eine Werkstatt über dem Bodenzimmer über dem Dach eingerichtet haben. Das war freilich eine dunkle geheimnisvolle Ecke des Häuschens, in der wir noch nie gewesen waren. Die Treppe führte nicht bis unters Dach und eine Leiter war nicht vorhanden. Die Mutter wusste so geheimnisvoll zu erzählen wie sehr der Weihnachtsmann dort oben, nachts wenn wir schon schliefen, arbeite, dass uns das Umher tollen und Plappern verging, weil der Heilige Mann sich bei Tage doch ausruhen und schlafen musste. Eines Abends vor dem Schlafengehen hörten wir dann auch wirklich den Weihnachtsmann in seiner Werkstatt scharwerken, und die Mutter war sicher an jenem Abend dankbar gegen den Wind, der ihr beim Märchenmachen behilflich war.
Soll der Weihnachtsmann Nacht für Nacht arbeiten, ohne zu essen? Diese Frage stellte ich hartnäckig. „Wenn ihr artig seid, isst er vielleicht wahrhaftig einen Teller Mittagessen von euch“ – entschied die Mutter.
Also erhielt der Weihnachtsmann am nächsten Tage von meiner Schwester und mir einen Teller Mittagessen. Den Teller stellten nach Ratschlägen der Mutter an der Tür des Bodenstübchens ab. Ich gab meinen Patenlöffel dazu. Sollte der Weihnachtsmann vielleicht mit den Fingern essen?
Bald hörten wir unten in der Schneiderstube, wie ein Löffel im Teller klirrte. Oh, was hätten wir gegeben, den Weihnachtsmann essen sehen zu dürfen; allein die gute Mutter warnte, den alten wunderlichen Mann ja nicht zu vergrämen und wir gehorchten.
Versteht sich, dass der Weihnachtsmann nun täglich von uns beköstigt wurde. Wir wunderten uns, dass der Teller und Löffel, wenn wir sie am späten Nachmittag vom Boden holten, blink und blank war, als wären sie durch den Abwasch gegangen. Der Weihnachtsmann war demnach ein reinlicher Gesell und wir bemühten uns ihm nachzueifern. Wir schabten und kratzten nach den Mahlzeiten unsere Teller aus und trotzdem waren sie nicht so sauber wie der leere Teller des Heiligen Mannes auf dem Dachboden. Nach dem Mittagessen hatte ich als die Älteste um meine Mutter in der nähfädelreichen Vorweihnachtszeit zu entlasten, das wenige Geschirr zu spülen, und meine Schwester trocknete es ab. Da der Weihnachtsmann sein Essgeschirr in blitzblankem Zustand zurück lieferte, versuchte ich ihm auch das Abwaschen unseres Mittagsgeschirrs zu übertragen. Es glückte! Ich ließ den Weihnachtsmann für mich arbeiten und meine Schwester war auch nicht böse, wenn sie die leicht zerbrechlichen Teller nicht abtrocknen brauchte. War es der Forscherdrang der mich zwackte, war´s um mich bei dem Alten auf dem Dachboden beliebt zu machen. Ich begann ihm, außerdem auf eigene Faust meine Aufwartung zu machen. Bald wusste ich was ein Weihnachtsmann gerne aß. Von einem Stück Frühstücksbrot, das ich ihm hin getragen hatte, aß er zum Beispiel nur die Margarine herunter. Der Großvater schenkte mir ein Zuckerstück, eine rare Sache ein jener Zeit. Ich schenkte das Naschwerk dem Weihnachtsmann. Er verschmähte es. Oder mochte er es nur nicht, weil ich es schon angeknabbert hatte? Auch einen Apfel ließ er liegen, aber eine Maus aß er. Dabei hatte ich ihm die tote Maus nur hingelegt in der Hoffnung er würde sei wieder lebendig machen: hatte er nicht im Vorjahr einen neuen Schwanz an mein altes Holzpferd wachsen lassen? Soso, der Weihnachtsmann aß also Mäuse? Vielleicht würde er sich auch über Heringsköpfe freuen, die die Mutter weggeworfen hatte. Ich legte 3 Heringsköpfe vor die Tür der Bodenstube, und da mein Großvater zu Besuch war, hatte ich sogar den Mut mich hinter der Lumpenkiste zu verstecken, um den Weihnachtsmann bei seiner Heringskopf Mahlzeit zu belauschen. Ganz wohl war mir nicht dabei, mein Herz pochte bis in die Ohren. Lange zu warten brauchte ich nicht, denn aus der Lumpenkiste sprang „Murr! Miau!“ – unsere schwarzbunte Katze, die dort den Tag in dem Lumpengewölbe verschlief. Eine Erschütterung ging durch mein kleines Herz .Ich schwieg jedoch über meine Entdeckung und ließ meine Schwester fortan den Teller Mittagsbrot alleine auf den Boden schaffen.
Bis zum Frühjahr bewahrte ich meine Geheimnis, aber als in der Lumpenkiste im Mai, da vor der Haustüre der Birnbaum blühte, vier Kätzchen umher krabbelten, teilte ich meiner Mutter dieses häusliche Ereignis mit:“ Mutter, Mutter der Weihnachtsmann hat Junge!“

Erwin Strittmatter






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