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Das Gesetz des Dschungels


Sicher, eine Grünpflanze kann eine Wohnung verschönern.
Aber was ist, wenn sie zu Hause die Macht übernimmt?


Wir können uns noch gut an die Zeit erinnern, als unsere Zimmerpflanze bloß ein zarter Trieb war. Für fünf Mark hatten wir sie aus ihrem Elend in der Ikea-Grünzeug-Abteilung erlöst, sie dankte es uns mit sattem Grün und schnellem Wuchs. Erst barst ihr Plastik-Töpfchen, dann wurde ihr die Fensterbank zu schmal, wir gaben ihr den schönsten, hellsten Platz des Wohnzimmers, zwischen Kommode und CD-Ständer. Nicht, dass wir gern gärtnern, doch die Entschlossenheit, mit der diese Pflanze in die Höhe schoss, flößte uns Respekt ein. Wir topften um und düngten, lockerten in aller Freundschaft ihre Erde. Sie dankte mit immer neuen Blättern, die sie zärtlich aus ihrer Mitte wickelte.

Nach zwei, drei Jahren unter einem Dach begann uns unsere Pflanze über den Kopf zu wachsen. Erst legte sie wie nebenbei ein Blatt auf der Kommode ab, in der wir allerlei Gegenstände des täglichen Gebrauchs aufbewahrten. Wir räumten das Nötigste um. Dann wurde es dunkler im Zimmer. Wie wir sie auch drehten, die Pflanze produzierte in Windeseile neue Triebe, die sich kraftvoll dem Licht entgegen streckten. Zum Lüften mussten wir mit einer Vierteldrehung am Blattwerk vorbeitauchen und uns dann senkrecht zum Fenstergriff hochschrauben. Sicher, das klingt etwas seltsam, doch man gewöhnt sich. Was blieb uns auch übrig? Gesunde, muntere Blätter einfach abzuschneiden, das brachten wir nicht über uns; schon jedes braune Blatt schien uns wie eine traurige stumme Anklage, ein Zurückschneiden wäre ein Akt purer Barbarei. Unsere Pflanze in ihrem XXL-Bottich sollte es doch gut haben bei uns - und uns Großstädter im Gegenzug mit dem schönen Gefühl entlohnen, einen grünen Daumen, mehr noch: ein extrem entspanntes Verhältnis zur Natur zu haben.

Als die Pflanze drei mal drei Quadratmeter eingenommen hatte, beobachtete ich von meinem Platz am Klapptischchen aus (an ihm nahmen wir nun die Mahlzeiten ein, seit der Esstisch nicht mehr ins Zimmer passte), wie mein Freund in gebückter Haltung durchs Unterholz brach, auf den CD-Ständer zukroch, hockend die gewünschte Musik auswählte und mühsam zurückrobbte. Ich dachte an unseren Sommerurlaub, den wir auf den Winter verschoben hatten, weil niemand Zeit gehabt hatte, in unserer Abwesenheit täglich das Monstrum zu wässern - von gefälligem Blumengießen konnte angesichts der eineinhalb Liter, die die Pflanze an heißen Tagen zieht, keine Rede mehr sein. Ich glaube, die Pflanze spürte, dass ich mich zu fragen begann, warum ich das alles mitmachte. Sie merkte, dass es eng für sie wurde. Da entwickelte sie ein Blatt, das kräftiger war als alle anderen. Wie ein Speer trieb es der Zimmerdecke entgegen, kratzte daran, öffnete sich krachend zu einem mächtigen Fächer und presste sich schwer unter das Gebälk.

Das war ein Statement. Eindringlich und brutal. Meine Pflanze: Sie duckt sich nicht weg, und wenn sie aneckt, holt sie umso weiter aus. Ich war hingerissen von dieser passiven Anarchie, der trotzigen, rücksichtslosen Grenzverletzung. Ja, meine Grünpflanze knechtet mich, aber wider alle Vernunft hängt mein Herz an ihr. So, wie andere Menschen an ihren Hunden hängen, obwohl sie sie zwingen, nachts um elf Gassi zu gehen. Oder alte, schrottreife Autos fahren, obwohl sie damit die Stadtgrenzen nicht mehr verlassen können.

Vielleicht lieben wir, was uns bindet und uns Grenzen setzt in dieser zerfledderten Welt. Die Zimmerpflanze jedenfalls blieb. Und ich habe Ableger in kleine Plastiktöpfe gepflanzt und sie an gute Freunde verschenkt. Für spätere Grenzerfahrungen, sozusagen.

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