Der letzte Mönch von Himmerod

Von TIMO FRASCH, Fotos SABINE KRESS

13.03.2018 · In Kloster Himmerod in der Eifel lebten 800 Jahre lang Zisterzienser-Mönche. Jetzt wird die Abtei aufgelöst. Nur noch Pater Stephan hält durch.

D ie Zisterzienser-Abtei Himmerod in der Eifel hat große Zeiten erlebt. Im zwölften Jahrhundert gegründet, entwickelte sie sich im Mittelalter vor allem durch Landwirtschaft und Weinbau zu einem der reichsten Klöster der Region. Bis zu 300 Mönche lebten dort. Im Moment ist es noch genau: einer.

Als wir Himmerod besuchen, hat es um die null Grad. Pater Stephan, der 83 Jahre alte last man standing, trägt trotzdem keine Strümpfe zu seinen Sandalen. Er ist es gewohnt, widrigen Umständen zu trotzen. Aber so widrigen? Es gibt die Abtei nämlich gar nicht mehr. Weil die wirtschaftlichen Probleme immer größer und die Gemeinschaft immer kleiner geworden waren, fasste das Kongregationskapitel, bestehend aus 20 Äbten und Äbtissinnen, den Entschluss, Himmerod aufzulösen.

Rein in die Kukulle, raus aus der Kukulle: Im Chorgestühl tragen die Mönche – hier Pater Ignatius – den Überwurf.

Im vergangenen Oktober war es so weit: Die verbliebenen sechs Mönche hatten eine Woche Zeit, ihre persönlichen Sachen zu packen. Pater Stephan, seit 60 Jahren in Himmerod, packte nicht. Er hatte schon lange eine besondere Stellung in der Gemeinschaft inne. Er war für die Gäste zuständig, die ins Kloster kamen, um dort bei Exerzitien Abstand vom Alltag zu finden. Himmerod als eine Art kleines Taizé: die Kulisse altehrwürdig, aber die Form der Begegnung mit Gott durchaus heutig – so sieht Pater Stephan das.


„Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“
PATER STEPHAN

Sein Auftreten ist bescheiden. Trotzdem genießt er es sichtlich, dass er in der Umgebung von Himmerod bekannt ist als der etwas andere Pater, der sich auf Meditationswanderungen mit roter Badehose schon mal im Schlamm wälzt. So war sein Blick immer eher nach außen gewandt, nicht so sehr in die Ordensgemeinschaft hinein, die ganz andere Schwierigkeiten drückten. Jetzt, da außer ihm kein Zisterzienser mehr in Himmerod ist, scheint er daher auch nicht so viel zu vermissen.

Alles habe seine Zeit, sagt Pater Stephan, der sich als Verfasser religiöser Texte einen Namen gemacht hat. Auf ein Blatt Papier hat er seinen Leitspruch für die nähere Zukunft gedruckt: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“

Frühstück in der Anrichte: Die Mönche – unter ihnen Bruder Oliver (Mitte) – bedienen sich selbst.
Während der Vesper: Pater Stephan (Mitte) sitzt im Chorgestühl.
Beim Mittagessen: Pater Ignatius liest vor.

Bruder Oliver und Pater Ignatius haben sich für etwas Drittes entschieden. Sie haben Himmerod in Richtung Marienstatt verlassen, eine Zisterzienser-Abtei 150 Kilometer nordöstlich, in der sie sich besser aufgehoben fühlen als an dem Ort, auf den sie sich mit ihrer Profess eigentlich verpflichtet hatten. Auch sie haben einen Leitspruch zur Auflösung ihrer bisherigen Abtei: „Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“

Die beiden sind jeweils auf ganz unterschiedlichen Wegen nach Himmerod gelangt. Oliver, ein gebürtiger Bonner mit Schalk im Nacken, arbeitete bis Mitte der neunziger Jahre als Geologe - „nicht als Theologe“, wie er im Gespräch in Marienstatt hervorhebt: „Die einen regeln, was unten ist, die anderen, was oben ist. Und beide haben keine Ahnung davon.“

Als er Mitte 40 war, ging das Ingenieurbüro, in dem er beschäftigt war, pleite. „Danach stand ich dann mehr oder weniger auf der Straße. Sozialhilfe war aber nicht unbedingt mein Bestreben. Dann habe ich erst mal eine Weinstube übernommen.“ Himmerod kannte Oliver, inzwischen 63 Jahre alt, schon von früher. Sein Onkel war in der Nähe Pastor, die Mönche halfen in seiner Gemeinde als Beichtväter. Als Oliver keine Lust mehr auf Weinstube hatte, machte er Urlaub in der Eifel. Ein anderer Onkel, Bruder des Pastors, brachte ihn für eine Woche bei Pater Stephan in Himmerod unter. „Das hat mir so gut gefallen, dass ich da immer wieder Urlaub gemacht habe“, sagt Oliver. „So ist das langsam in mir gewachsen, dass das Kloster eventuell ein Weg für mich sein könnte.“ Im September 2006 trat er ein, im Mai 2012 war feierliche Profess. „Aus heutiger Sicht betrachtet, wusste ich nicht, worauf ich mich da einlasse.“

Im Refektorium: Die Brüder essen still zu Mittag und hören dem Vorleser zu.

Pater Ignatius, 58 Jahre alt, wurde in Gießen geboren, fühlt sich aber als Frankfurter Bub. An der Goethe-Uni hat er Kunstgeschichte studiert, er brachte es bis zum wissenschaftlichen Mitarbeiter. Der plötzliche Tod seiner Mutter und die Krankheit seines Vaters, den er bis zu dessen Tod pflegte, hat viel in ihm verändert. „Da stellt man sich die eine oder andere Frage über das Leben.“ Er begann, Theologie zu studieren, war zeitweise Jesuit, wurde zum Priester geweiht und war auch als Lehrer für Latein, Religion und Ethik tätig. Himmerod kennt er, „mit allen Sonnen- und Schattenseiten“, seit er als Kind mit seinen Eltern zum Urlaub an die Mosel gefahren ist. Damals machten sie auch einen Abstecher zum Kloster. Im Studium war er dann häufiger zu Gast, um zur Ruhe zu kommen. „Ich fand den Ort immer sehr schön, den Mönchsberuf fand ich attraktiv, aber es war damals für mich noch nicht dran.“ Eines Tages saß er wieder in Himmerod, bei Pater Stephan. Und diesmal dachte er sich: Jetzt ist es dran. Feierliche Profess war am 6. März 2016.

Wenn man sich für ein Leben im Kloster entscheidet und dann auch noch in der kärglichen Eifel, muss man mit Entbehrung zurechtkommen, in gewisser Weise sucht man sie vielleicht sogar, auch in sozialer Hinsicht. Bei den Zisterziensern ist das tägliche Leben streng reglementiert. In Himmerod wurde sieben Mal täglich gebetet, wochentags ging es um 4.30 Uhr los, sonntags schon um 4.15 Uhr – insgesamt etwa drei Stunden im Schnitt. „Rein in die Kukulle, raus aus der Kukulle“, sagt Oliver mit Bezug auf das Übergewand, das im Chorgestühl Pflicht ist. Zeit zum Beisammensein gab es kaum. Auch beim Essen wurde in der Regel nicht gesprochen. Stattdessen las ein Mönch aus einem Buch vor. Ein anderer bediente, der Rest aß und schwieg. Was Himmerod betraf, fanden das Oliver und Ignatius sogar ganz angenehm. „Wenn man sich nichts zu sagen hat, soll man schweigen“, sagt Oliver, „bevor man anfängt, nur dummes Zeug zu reden.“

In der Skristei: Die Gewänder hängen bereit.
In der Gnadenkapelle: Pater Ignatius zündet fürs Gebet die Kerzen an.

Weder Oliver noch Ignatius haben sich je ins Mittelalter gewünscht, als die Ordensgemeinschaft so groß war, dass das Generalkapitel sogar eine Obergrenze einführen musste. „Für ein erfülltes klösterliches Leben braucht man keine 300“, sagt Ignatius. „Mir wäre das zu unübersichtlich, zu anstrengend. Es geht auch gut mit 30 oder 13.“ Das Gefühl, sich einer untergehenden Lebensform zu verschreiben, hat Ignatius, wenn überhaupt, nur ganz vage gehabt. „Erstens bin ich am liebsten dort, wo ich am meisten gebraucht werde, und nicht da, wo es am bequemsten ist. Und zweitens gehört es ja irgendwie auch zur christlichen Botschaft dazu, dass man Ablehnung erfährt und in der Minderheit ist. Insofern hat mir das keinen Kummer bereitet.“


„Das Damoklesschwert des finanziellen Niedergangs hing seit langem über uns.“
BRUDER OLIVER

Aber natürlich sind auch Mönche soziale Wesen, die den Austausch mit ihresgleichen suchen, die ihren Neigungen nachgehen wollen. Diese Bedürfnisse konnten in Himmerod kaum befriedigt werden. Das hatte zum einen wirtschaftliche Gründe. „Das Damoklesschwert des finanziellen Niedergangs hing seit langem über uns“, sagt Oliver. „Der Faden, an dem es befestigt war, wurde immer dünner.“ Schon 2011 gingen die Klosterbetriebe in die Insolvenz, Gaststätte, Buchhandlung, Fischerei. Damit das Kloster, juristisch gesehen ein Verein, nicht belastet wird, hatte man die Betriebe schon vorher in eine eigene Gesellschaft ausgelagert, sie werden inzwischen von Privatleuten betrieben. Vor ein paar Jahren musste das Kloster seine defizitäre Landwirtschaft aufgeben, die 160 Milchkühe wurden nach Belgien verkauft. Aber damit war längst kein Ende in Sicht. Die Klostergebäude etwa müssen dringend saniert werden, allein der Kostenvoranschlag für die komplette Dachanlage belief sich auf vier Millionen Euro. Von den laufenden Kosten – 150.000 Euro im Jahr nur für Heizung und Strom – ganz zu schweigen. „Jedes Kloster muss autonom für sich wirtschaften, aber das ging in Himmerod nicht mehr“, sagt Oliver. „Man konnte sich ausrechnen, wann die letzten Reste des Vermögens verbraucht sind. Es war klar: Egal wie wir uns anstrengen, ob wir noch 100 Gäste mehr haben pro Woche oder 200 – wir schaffen es nicht.“

Zwischen dem wirtschaftlichen Niedergang des Klosters und der personellen Ausdünnung der Ordensgemeinschaft gibt es Wechselwirkungen: Je schlechter die Lage, desto unattraktiver wird das Klosterleben, desto kleiner die Gemeinschaft. Austritte, die es in den vergangenen Jahren immer mal wieder gab, auch von Leuten, die schon lange dabei waren, können teuer werden, weil für all die Jahre im Kloster Rentenbeiträge nachgezahlt werden müssen. Je kleiner die Gemeinschaft ist, desto mehr Kosten fallen an für Personal von außerhalb, desto mehr ist aber auch der einzelne Mönch gefragt, mit anzupacken. Ignatius: „Ich bin in der romantischen Vorstellung ins Kloster gekommen, dass ich wieder mehr lesen und schreiben kann. Dass ich mich zum Schluss vor allem darum kümmern musste, dass der Schornstein funktioniert und das Haus beheizt wird, habe ich mir so nicht gedacht.“ Oliver fügt ironisch hinzu: „Unsere Leidenschaft war der Hausflur, zweiter Stock: 100 Meter lang, vier bis fünf Meter breit. Den nass wischen. Dazu Treppenhäuser und Bäder in großer Zahl.“ Konnte man da nicht auf Lücke arbeiten? „Wir haben es ja schon eingeschränkt“, sagt Oliver. „Zum Teil wurden ganze Gebäudeteile nicht mehr benutzt. Aber sie waren halt da.“ Ignatius: „Und haben Staub produziert.“

Von Bernhard von Clairvaux gegründet: Aber zum Schluss beten in der Abtei nur noch wenige Mönche.

Mehr noch als beim Putzen war Ignatius in der Seelsorge gefordert. Er übernahm außerhalb eine halbe Pfarrerstelle, damit über die Diözese ein bisschen Geld in die Klosterkasse kam. „Das Ende vom Lied: Ich habe fast mehr Zeit im Auto verbracht als am Altar. Das hatte mit klösterlichem Leben nicht mehr viel zu tun, aber es war nötig, weil die Gebäude erhalten werden mussten.“ Oliver war vor allem für die Gästeversorgung zuständig: Buchungen, Kassieren, Fahrdienste. Und jeden Morgen fürs Frühstück. „Mein Rekord waren 135 Frühstücke. Da wissen Sie schon um neun Uhr morgens, was Sie gemacht haben.“


„Das war für mich das Überraschende in Himmerod: dass es eigentlich keine Gemeinschaft war.“
BRUDER OLIVER

Das menschliche Miteinander wurde dadurch nicht besser, was umso schwerer wog, als es sowieso schon nicht besonders gedeihlich war, oder besser: kaum existent. Das lag zum einen an der Geschichte des Klosters. Nachdem es Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge der Säkularisierung enteignet worden war, wurde es nach dem Ersten Weltkrieg von Trappistenmönchen neu belebt. Trappisten sind Zisterzienser der strengen Observanz, sie machen keine Seelsorge, und informelle Gesprächsebenen gibt es bei ihnen überhaupt nicht. Zwar wechselten sie auf Wunsch des Bischofs die Observanz und wurden weniger strenge Zisterzienser, aber die Tradition wirkte nach. Oliver: „Das war für mich das Überraschende in Himmerod: dass es eigentlich keine Gemeinschaft war. Ich hatte gedacht, das sind doch Leute, die aus den gleichen Erwägungen hierher gekommen sind. Dass sie dann nebeneinanderher leben, war für mich merkwürdig.“

In Marienstatt, wo die beiden jetzt in einer Gemeinschaft von zwölf Leuten leben, gibt es nach dem Abendessen die Rekreation: Man setzt sich eine halbe bis dreiviertel Stunde zusammen und redet über dies und das, trinkt auch mal einen Wein oder ein Schnäpschen. Was hilft: Die Gemeinschaft in Marienstatt ist homogener als es die in Himmerod war, das Alter betreffend, aber auch die Sozialisation und die Bildung. Viele Zeitungen liegen hier aus – und werden auch gelesen.

Die Abtei Himmerod liegt im Dreieck von Bernkastel, Bitburg und Manderscheid.

In Himmerod hat es die Rekreation nur als Versuch gegeben. Ein Bruder, der damals schon Jahrzehnte lang dabei war, sagte, als sie dann doch mal alle im Kreis zusammensaßen: „Ich bin das gar nicht gewöhnt, hier vor den anderen etwas über mich zu sagen.“ Die Sprachlosigkeit ist vor allem dann ein Problem, wenn man viel zu bereden hätte: etwa, wie man die Zukunft des Klosters sichern will. Wie jede Firma, sagt Ignatius, brauche auch ein Kloster ein Alleinstellungsmerkmal, einen Markenkern. In Himmerod fehlte das. Marienstatt hingegen ist ein lebendiges Pilgerzentrum, hat eine Brauerei und vor allem ein Gymnasium, das auch den Alltag der Mönche verändert hat – zum Positiven, wie Ignatius und Oliver meinen. So wurden etwa Gebetszeiten zusammengefasst, was den Mönchen die Gelegenheit gibt, sich mal ein paar Stunden am Stück auf eine Sache zu konzentrieren. Das erste Gebet findet jetzt erst um zehn nach sechs statt. „Eine sechs vor dem Komma ist schon etwas ganz anderes als eine vier“, sagt Oliver.

Auch in Himmerod geht das Leben erst einmal weiter. Als sichtbares Zeichen dafür soll im Juni die Klosterkirche, die nach einem Brand saniert werden musste, vom Trierer Bischof Stephan Ackermann feierlich wiedereröffnet werden. Ziel des Bistums ist es, Himmerod als geistlichen Ort zu erhalten und eine neue Ordensgemeinschaft zu gewinnen, was nicht ganz leicht werden dürfte. Investitionen werden erst einmal nicht getätigt. Und was passiert mit Pater Stephan? Er soll auch in diesem Jahr die Angebote im Gäste- und Exerzitienhaus fortführen. Formal wird er Mönch von Himmerod bleiben, obwohl es das Kloster gar nicht mehr gibt.