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Warum die Frankfurter ihren Brickegickel so lieben

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Der durchlöcherte Hahn.
Der durchlöcherte Hahn. © FNP Archiv

Es gibt viele Märchen und Legenden rund um den Frankfurter Brickegickel. Schaurig schöne Geschichten, bei denen der Teufel auch seine Klauen im Spiel hat. Aber auch die wahre Geschichte über den Brickelgickel ist es Wert, erzählt zu werden.

Er war das Letzte, was du gesehen hast, bevor du in den Fluten des Mains verschwunden bist. Und er war das Erste, was du  gesehen hast, wenn du den Main aufwärts gereist bist: Der Brickegickel. Seit über 600 Jahren thront das vergoldete Tier nun schon – mit ein paar kleineren Unterbrechungen – auf einem Kruzifix über dem Strom. Er war vor allem im Mittelalter ein wichtiges Symbol: Für eine sichere Reise über den Fluss und für die Hoffnung auf ewiges Leben.

Begleiter in den Tod

Seit 1401 sitzt er nun auf der Alten Brücke, dort, wo der Hauptstrom das Wasser Richtung Rhein treibt und wo der Fluss am tiefsten ist. Denn der Gickel war im Mittelalter eine Richtstätte. Dort ertränkte man jene, die zum Tod verurteilt waren, erzählt Bau- und Kulturhistoriker Björn Wissenbach.

ALte Brücke "Brickegickel"
ALte Brücke "Brickegickel" © Archiv

Tod durch Ertrinken war im 15. Jahrhundert die häufigste Form der Todesstrafe in Frankfurt. War das Urteil gefällt, wurden dir Knie, Arme, Hände und Hals mit Stricken zusammengebunden. Anschließend schob man dich auf einem Holzbrett über das Brückengeländer. Dann bist du gefallen.

Dein letzter Blick galt dem Hahn

Vielleicht hast du in den letzten Sekunden, bevor das Wasser dich umschloss und aus der Stadt trieb, noch um Vergebung gebeten. Dafür war das Kruzifix mit Hahn gedacht. Als letzte Möglichkeit, auf den rechten Weg zurückzugelangen. Das Kruzifix erinnerte den Sterbenden an die göttliche Gnade und die Vergebung der Sünden. Der Hahn an die Möglichkeit, Vergebung zu erlangen. Auch wenn du dich des Verrates schuldig gemacht hast.

Diese letzte religiöse Instanz hatte für die Menschen im Mittelalter einen ganz pragmatischen Hintergedanken. Wer unversöhnt diese Welt verlässt, kehrt als Wiedergänger zurück und sinnt im schlimmsten Fall nach Rache an den Lebenden, so der Glaube. „Und das wollte nun wirklich niemand“, sagt Wissenbach. Aber das war nicht der einzige Zweck des Brickegickels.

Viele Jahrhunderte hast du als Flößer wertvolles Bau- und Brennholz aus dem Spessart den Main hinaufgetrieben. Die bis zu 250 Meter langen, schwerfälligen Baumstammverbände waren schwierig zu manövrieren. Mehrere Dutzend Männer mussten mit langen Holzstangen die Stämme sicher durch die Hauptströmung des Flusses lenken.  Vor allem der Mainbogen in der Frankfurter Innenstadt war dabei eine gefährliche Passage.

Alte Brücke Die Frankfurter Brückenfreiheit Aus: Daniel Meisner / Eberhard Kieser: Politisches Schatzkästlein II, 1627, Institut für Stadtgeschichte
Alte Brücke Die Frankfurter Brückenfreiheit Aus: Daniel Meisner / Eberhard Kieser: Politisches Schatzkästlein II, 1627, Institut für Stadtgeschichte © Daniel Meisner / Eberhard Kieser: Politisches Schatzkästlein II, 1627, Institut für Stadtgeschichte

Hat der Teppich aus trägem Holz nicht genau die Mitte des Hauptstroms erwischt, konnte es passieren, dass das Floß sich im Nadelöhr Alte Brücke verkeilte. Auch hier leitete der Gickel den rechten Weg. Denn der war schon von weitem zu sehen und so auch von der Stelle, zu der du als Flößer deine Fracht lenken musstest. Vor allem bei Sonnenschein glitzerte er wie ein winziges Leuchtfeuer auf der westlichen, flussabwärts gelegenen Seite der Brücke. Dort soll er nun auch wieder hin.

Pakt mit dem Teufel

Im Volksmund war der Hahn der erste, der die Brücke nach der Erbauung 1401 betrat und damit dem Teufel seine Seele opferte. Denn der Brückenbaumeister musste, damit er die Brücke pünktlich fertig bekam, einen Pakt mit dem Belzebub eingehen. Und dieser wollte – selbstverständlich – dafür eine Seele. Und zwar die erste, die die Brücke betrat. Als dann der listige Baumeister den Hahn zur feierlichen Eröffnung vor sich her trieb, war der Teufel, erzählt die Sage, so erzürnt, dass er das arme Tier durch die Brücke warf.

Alte Brücke Die Frankfurter Brückenfreiheit Aus: Daniel Meisner / Eberhard Kieser: Politisches Schatzkästlein II, 1627, Institut für Stadtgeschichte
Alte Brücke Die Frankfurter Brückenfreiheit Aus: Daniel Meisner / Eberhard Kieser: Politisches Schatzkästlein II, 1627, Institut für Stadtgeschichte © Daniel Meisner / Eberhard Kieser: Politisches Schatzkästlein II, 1627, Institut für Stadtgeschichte

Damit erklärten die Frankfurter ihren Kindern, warum nicht alle Bögen der Brücke gleich gewölbt waren. Das hatte natürlich einen anderen – wenn auch nicht weniger dramatischen – Grund, weiß Wissenbach: Einer der Bögen war mir Bohle ausgelegt, sodass man ihn im Kriegsfall hinausziehen, und die Brücke somit unpassierbar machen konnte.

Der Hahn als Kriegsveteran

Sechs Hähne haben sich in all den Jahrhunderten auf der Brücke abgelöst. Der erste wurde 33 Jahre nach Dienstbeginn, 1434, von einem Orkan in den Fluss geweht. Den Zweiten hatten die Schweden während des Dreißigjährigen Krieges bei einem Gefecht heruntergeschossen. Der Dritte versank im Main, als die Alte Brücke im Jahr 1739 aus Altersschwäche auseinanderbrach.

Als man den vierten Gickel Anfang Juli 1914 von der Brücke holte, um ihn für die neue Brücke aufzubewahren, hatte das Tier fünf Schüsse im Leib und in seinen vergoldeten Schwanzfedern. Das waren vermutlich Napoleons Truppen, die ein Jahrhundert vorher auf ihrem Rückzug nach der Schlacht von Leipzig in Frankfurt vorbeikamen. Man schoss damals tödliches Blei über den Main. Die Franzosen auf der Frankfurter Seite, die Bayern und Österreicher in Sachsenhausen.

Brigge- Giggel auf der Spitze des Kreuzes
Brigge- Giggel auf der Spitze des Kreuzes © archiv

Der Kriegsveteran landete übrigens im historischen Museum Frankfurt. Der fünfte Gickel, aufgestellt 1967, wurde 1992 gestohlen. Der sechste Gickel nahm im September 1994 seinen Platz ein. Seit 2013 wird das Tier saniert und diesen Freitag, am 17. November, auf seinen angestammten Platz zurückkehren. Und hoffentlich für lange Zeit stiller Beobachter des Zeitenlaufs sein.                                                                                                                                        

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