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Führung in der Christuskirche

In den kommenden Monaten wollen wir uns den verschiedenen Kirchen und Glaubensgemeinschaften widmen, die in Mainz und Umgebung vertreten sind, und ihre Gebetsstätten kennenlernen. Den Anfang machten wir am 13. Oktober 2017 mit der evangelischen Christuskirche.
Wir trafen uns um 15 Uhr am Eingang, wo uns Ruben Seiler, Mitglied des Kirchenvorstandes der Christuskirche, in Empfang nahm und uns zu Beginn etwas über die Stadterweiterung im 19. Jahrhundert erzählte. Bis dahin hatte sich Mainz kaum ausdehnen können. Es war eingeklemmt in Stadtmauern, Wälle und Bastionen. Schließlich hatte Mainz über lange Jahrhunderte große Bedeutung als Festungsstadt. Für den damaligen Stadtbaumeister Eduard Kreyßig blieb nur eine Erweiterung nach Norden, ins Gartenfeld.
1866 legte Kreyßig einen Entwurf für die Mainzer Neustadt vor. Auf heutigen Stadtplänen erkennt man ganz klar die Strukturierung. Während in der Altstadt die Straßen kreuz und quer verlaufen, sind sie in der Neustadt klar und symmetrisch angeordnet. Wo früher die Stadtmauer verlief, entstand eine prachtvolle Allee, der „Boulevard“. 1887 erhielt die Allee den Namen „Kaiserstraße“, den sie bis heute trägt. Kreyßig sah für die drei großen Konfessionen auch Kirchen vor und legte die Standorte für die katholische, evangelische und jüdische fest.

Auf dem „Boulevard“ ließen sich Fabrikanten, Bankiers und Kaufleute nieder, die prächtige Wohnhäuser und Geschäfte bauen ließen. Bis 1892 entstanden 452 Häuser im neuen Stadtgebiet.
Leider haben nur wenige Häuser aus der Gründerzeit die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs überstanden.
Erhalten blieb die schön gestaltete Pflasterung auf dem Fußweg um die Christuskirche. Vor dem Haupteingang sind die kleinen Pflaster zu einer großen Rosette verlegt.

1886 schenkte die Stadt der evangelischen Gemeinde einen Bauplatz, wie sie es zuvor auch für die katholische Gemeinde getan hatte. In der Nähe des Hauptbahnhofs entstand St. Bonifazius. Die Schenkung war mit der Bedingung verbunden, dass ein Bauwettbewerb ausgeschrieben wird und innerhalb von zehn Jahren mit dem Bau der Kirche begonnen werden muß.
Es wurde ein Bauverein gegründet. 300.000 Mark wurden gesammelt, 25.000 gab Kaiser Wilhelm I. dazu.

Kreyßig entwarf die Kirche im Stil der Neorenaissance. Er wollte ein "monumentales“ Bauwerk schaffen, ein Gegenstück zum katholischen Dom.
1894 gewann Kreyßig den ausgeschriebenen Wettbewerb und erhielt im März 1895 den Auftrag, eine Kirche für die evangelische Gemeinde, der er auch selbst angehörte, zu errichten. Er überarbeitete den Plan noch einmal, so dass der Bau 1896 begonnen werden konnte.
Er berief den schwedischen Architekten Franz Fredriksson als Bauleiter, Kreyßig behielt die künstlerische Oberleitung. Fredriksson hatte als Mitarbeiter des Berliner Architekten Otzen gerade erst die Ringkirche in Wiesbaden gebaut.
Kreyßig sollte den Bau der Christuskirche jedoch nicht mehr erleben. Im März 1897 starb Eduard Kreyßig. Nach seinem Tod wurde die Planung noch einmal geändert und der Bau in Länge, Breite und Höhe reduziert. Nach nur 7-jähriger Bauzeit vollendete Fredriksson die Kirche. Am 2. Juli 1903 wurde die Christuskirche feierlich geweiht. Dazu reiste der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt mit großem Gefolge an.

Durch das von der katholischen Gemeinde Mainz geschenkte sieben Meter hohe goldene Kreuz ist die Christuskirche 80 m hoch und damit einen halben Meter höher als der Dom. Diese Tatsache hat uns erstaunt !
Die Kirche erinnert von der äußeren Erscheinung und der gewaltigen Kuppel an den Petersdom in Rom.
Für die Kuppel wurde statt der ursprünglich vorgesehenen Konstruktion aus Stein eine Stahlkonstruktion entwickelt. Auf ihr sitzt eine Laterne, in der ein Glockenspiel installiert ist, das 1954 nach der Einweihung der wieder aufgebauten Kirche von der Stadt Mainz gestiftet wurde. Die 25 verschieden großen Stahlglocken erklingen seitdem jeden Tag um 7.45 Uhr, 12 und 18 Uhr. Die Auswahl der Lieder richtet sich nach den Jahreszeiten. Nur an zwei Tagen im Jahr, an Karfreitag und Karsamstag, schweigen die Glocken.
Nachdem die Kirche im Februar 1945 durch die Bombardierung von Mainz stark beschädigt wurde und mehrere Tage lang vollständig ausbrannte, wurde sie unter der Leitung von Heinrich Otto Vogel wiederhergestellt und am 31. Oktober 1954 neu eingeweiht. 2004 wurde das Kircheninnere erneut umgebaut.

Über eine breite Treppe gelangen wir zum Haupteingang der Kirche. Am Hauptportal sind auch die wenigen noch erhaltenen Elemente zu sehen. Ein umlaufendes Reliefband aus Blumen schmückt das Portal.
Wir betreten das Foyer, das heute als eigenständige „Werktagskirche“ genutzt wird und in der Ausstellungen, Andachten und kleinere Veranstaltungen stattfinden.
Der Innenraum der Kirche wurde nach der Zerstörung im Krieg im nüchternen Stil der 50er Jahre verkleinert und verändert, während er ursprünglich im Stil des monumentalen Historismus durch bildhauerische Arbeiten ausgeschmückt war. Dies können wir eindrucksvoll bei der Führung auf den Bildern an den Wänden erkennen. Der kreisförmige Raum war reich an Glasmalerei, Plastiken
und bildhauerischen Arbeiten.

Über dem Eingang und auf den Seiten verläuft eine auf Pfeilern ruhende Empore. Früher – so Ruben Seiler – waren diese Pfeiler schwarz. Nach dem Wiederaufbau 1954 wurden sie mit Mosaiken verkleidet.
Über dem Eingang auf der Empore steht die Orgel der Firma Förster & Nicolaus aus Lich, die im Jahr 1962 erbaut wurde und aus drei Manualen und 3000 Pfeifen besteht. Die Orgel ist an einem Stahlträger aufgehängt.

Im erhöhten Chorraum befand sich früher der Altar. Bei der Umgestaltung im Jahr 2004 wurde ein neuer eindrucksvoller Altar aus schwarzem Granit, geschaffen von Erwin Heerich, in die Mitte des Kirchenraums gestellt. Auch der Taufstein aus dem gleichen Material und das Lesepult wurden in den Kreis der Gemeinde integriert. Stühle ersetzen die Bänke und können insbesondere für Konzerte leichter umgestellt und ergänzt werden. Ingesamt gibt es ca. 1.200 Sitzplätze.
Ursprünglich wies der Grundriss der Kirche ein Kreuz mit vier Armen aus. Das westliche Mittelschiff ist dabei etwas länger und das östliche Mittelschiff, welches den Chor bildet, etwas enger geschnitten als die beiden Querschiffe. Es gab drei große Fenster, die mit Glasmalereien geschmückt waren. Sie wurden im Krieg ebenfalls zerstört. Die beiden großen Fenster in den Querschiffen wirken heute schmucklos.
Statt des großen Fensters an der Ostwand des Chors, der heute für Konzerte und andere Aufführungen genutzt wird, wurden 9 kleinere Fenster mit Glasmalereien von Hans Gottfried von Stockhausen geschaffen. Im obersten Fenster ist die Dreieinigkeit Gottes mit dem Goldenen Lamm und der roten Taube dargestellt. Die Fenster in der mittleren Reihe zeigen Offenbarung und Schöpfung; in der unteren Reihe die Verheißung der Gnadengaben mit Taufe, Gabe des Heiligen Geistes, Sündenvergebung und Abendmahl.

Vor den neun Fenstern hängt die überlebensgroße Figur des auferstandenen und segnenden Christus, die von Bildhauer Karl Hemmeter geschaffen wurde.
Über der Schnittstelle von Mittel- und Querschiff erhebt sich eine Kuppel aus Holzsegmenten, die den Eindruck des kreisförmigen Raumes verstärkt.

Danach wird es spannend.
Wir steigen mit Ruben Seiler die fast 200 Stufen bis nach oben. Unterwegs können wir verschnaufen und erfahren einiges über die Kriegszerstörungen und im Glockenstuhl, in dem immer vier Glocken hingen, den Irrsinn der damaligen Zeit. Das erste Geläut hing von 1903 bis 1917. Die größte Glocke wog damals ca. 5 Tonnen.

1917 wurden 3 Glocken als kriegswichtiges Material abmontiert und eingeschmolzen.
Erst 1928 gab es wieder ein vollständiges Geläut. Die größte Glocke wog ca. 5,5 Tonnen.
1942 werden in einer Nacht- und Nebel-Aktion wiederum drei große Glocken zu Kriegszwecken abgeholt. Die kleine „Christusglocke“ blieb in der Kirche und überstand den Feuersturm nach der Bombennacht im Februar 1945.
Sie läutete als einzige Glocke, bis 1962 das komplett neue Geläut von vier Glocken kam und wurde danach nach Königstein verkauft. Heute wiegt die größte Glocke ca. 2,5 Tonnen.

Probleme mit Tauben gibt es bei der Christuskirche übrigens wenig. Jedes Jahr brütet dort ein Wanderfalken-Paar und zieht seine Jungen auf. Deshalb sind, so Ruben Seiler, Turmführungen in der Brutzeit zwischen März und Juli nicht möglich. Wenn die Jungvögel größer sind, stören sich die Wanderfalken wenig an den Besuchern.
Von der Glockenstube aus geht es noch eine Wendeltreppe weiter nach oben. Auf der Höhe von ca. 50 m können wir einmal rund um die gewaltige Kuppel gehen und haben trotz des verhangenen Himmels einen fantastischen Blick, wie die Bilder unserer Fotografen zeigen.
Ich habe auch einen kleinen YouTube-Film eines früheren Rundgangs gefunden und sogar jemand entdeckt, den wir kennen (!) - klicke hier

Nach dem Abstieg, der problemlos und schnell vor sich geht, sammeln wir uns noch kurz in der Kirche.
Wir verabschieden uns von Ruben Seiler und danken ihm für die kundige und überaus erfrischende Führung durch die über 100jährige Geschichte der Mainzer Christuskirche.
Renate/Schmiermaxe hat Plätze für uns im Hahnenhof in der Frauenlobstraße reserviert. Dort treffen wir uns mit 13 Mitgliedern zum Abschluss.
Hier noch einige der schönsten Ausblicke auf Mainz:







Noch mehr Bilder gibt es von Dieter/fidelis45 hier zu sehen
und von Günter/bakru26 hier
(eingestellt am 15.10.17)
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