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Alltagsrosen

Feierabend-Mitglied Angelick hat ein Gedicht über den langen Weg der Heimkehr ihrer Mutter nach Kriegsende geschrieben.

Anna, die Trümmerfrau
(meine Mutter)


Ein Zeitspann nur von 80 Jahren,
ein Wimpernschlag im Weltgescheh’n,
es reicht ihr aus um zu erfahren,
daß Leben nur aus Kampf besteht.

Ans Elternhaus denkt sie verschwommen,
an der Geschwister große Zahl,
ihre Mutter ist in Himmel kommen,
als sie gerade sieben war.

Der erste Weltkrieg war beendet,
der Vater arm – mit Kinderschar,
man wußte nicht wie das noch endet,
da er auch oft betrunken war.

Die kranke Tante kümmert sich,
sie hätte selbst genug zu klagen,
es wäre ihr ganz sicherlich,
noch heute Dank zu sagen.

Mit dreizehn aus der Schul’ entlassen,
brauchte sie Arbeit und Logis,
sie konnte fast ihr Glück nicht fassen,
die Pfarrersfrau – die brauchte sie.

Sie blieb dort unter strenger Hand,
lernte den Haushalt und Benimm,
bis sie die andere Stelle fand,
als „Zimmermädchen“ sie nun ging.

Jetzt gab es für sie schöne Tage,
zuerst war sie in Hindelang,
es folgt ein „Haus in guter Lage“,
um Arbeit war ihr niemals bang.

Sie hätt’ die Jugend voll genossen,
wär’ nicht im Volk das große Raunen,
man hörte von Parteigenossen,
von Kriegsgefahr – und von den Braunen.

Und dann war Krieg - sie mußt erleben,
und schmerzlich fühl’n am eigenen Leib,
was Frauen und Mütter müssen geben,
an Kraft, an Sorgen, Herzeleid.

Ihr Lieblingsbruder kam zum Heer,
er „durft’“ für Deutschland streiten,
die Todesnachricht traf sie schwer,
der Auftakt schlimmer Zeiten.

Sie geht nach Erfurt ins Hotel,
und dort, in dieser Stadt voll Blumen,
verliebt sie sich und heirat’ schnell,
die Pflicht hat ihn gerufen.

Drei Jahre dauerte das Glück,
sie wünscht sich sehnlichst Kinder,
er kehrt vom Krieg nicht mehr zurück,
in ihrer Seel’ war Winter.

Der Endsieg wurde prophezeit,
doch der ließ auf sich warten,
in Reutlingen versucht sie jetzt,
ihr Leben neu zu starten.

Sie muß an einem Webstuhl stehen,
und wohnt zur Untermiete,
es zählt nur eins – das Weitergehen,
was auch das Schicksal biete.

Sie war noch jung und voller Leben,
drum dauerte es auch nicht lang,
die Liebe spann erneut die Fäden,
noch einmal reicht sie ihre Hand.

Er war nur Schuster von Beruf,
hatte nie die Front gesehen,
als Gott ein neues Leben schuf,
denkt sie, das müßte gehen.

Die Kriegstrauung war schnell vollzogen,
mit dickem Bauch, geliehenen Schuh’n,
das Bataillon wurde abgezogen,
für Schuster gab’s nichts mehr zu tun.

Der Trupp sollte nach Mindelheim,
im Jahre fünfundvierzig,
dort trafen sie jedoch nicht ein,
die Kriegswirren sprachen für sich.

Sirenen heulten Tag und Nacht,
die Menschen in den Bunkern,
sie haben fast nie Licht gemacht,
die Angst durchzog das Dunkel.

Sie saß mit Freundinnen im Keller,
die Bombe schlug ganz plötzlich ein,
der Feuerschein wurd’ immer greller,
sie war mit Gott und sich allein.

Vier waren tot – total verschüttet,
sie durfte weiterleben,
ihr Dasein war total zerrüttet,
wer konnte Trost ihr geben.

Nach Stunden wurde sie gerettet,
sie hatte nicht mehr dran geglaubt,
steht auf der Straße und muß betteln,
sie wurde von der Zeit beraubt.

Ein Rucksack war ihr noch geblieben,
mit etwas Babysachen,
den schultert sie, gehetzt, getrieben,
will auf den Weg sich machen.

Sie hat noch einen Hoffnungsschimmer,
das ist die Heimat – Donauwörth,
sie will zurück und zwar für immer,
hat von den Lieben nichts gehört.

Beförderungen gab’s nicht mehr,
sie mußt die Strecke laufen,
das tut sie auch – es ging ums Leben,
das Deutsche Reich ein Trümmerhaufen.

Manchmal ließ man sie übernachten,
auch gab es mal ein Essen,
die Leute muß man dafür achten,
es hat doch keiner was besessen.

Man schenkt ihr einen Kinderwagen,
jetzt geht es leichter schon voran,
braucht ihren Rucksack nicht mehr tragen,
kommt irgendwann in Günzburg an.

Hier war mal eine Donaubrücke,
doch das ist endlos lange her,
nun gähnt hier eine große Lücke,
die Heimkehr wurde wirklich schwer.

Es war bereits schon Mitte Mai,
die Amis fuhren mit den Panzern,
den Flüchtlingen war’s einerlei,
auch den versprengten Landsern.

Ein Waldrand lockt mit seine Kühle,
es war sehr heiß an diesem Tag,
auch merkte man bereits die Schwüle,
die ein Gewitter bringen mag.

Hier rastet sie, schläft auch gleich ein,
den Rucksack dicht bei sich,
das Wägelchen noch obendrein,
sie träumt von Zuversicht.

Doch dann verläßt sie aller Mut,
als sie vom Schlaf erwacht,
gestohlen ist ihr letztes Gut,
man hat zur Ärmsten sie gemacht.

Sie weint, sie schreit, kann es nicht fassen,
was hier und jetzt mit ihr geschieht,
es scheint ihr, Gott hat sie verlassen,
fühlt sich erbärmlich wie noch nie.

Nur in eine „Kittelschürz’“ gekleidet,
schaut sie die Heimat wieder,
und als sie die Familie sieht,
sind naß die Augenlider.

Nur Tage später – schicksalhaft,
hat sie mich dann geboren,
jetzt wußte sie von Gottes Macht,
und war nicht mehr verloren.

© Christa Siegl (Tochter)
geb. 28.5.1945
aus dem Gedichtband
„Alltagsrosen“

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