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Nachtzug Mainz

Lieben wir uns noch?

Fast geräuschlos glitt der letzte Nachtzug aus der Halle. Der Bahnsteig war leer, bis auf einen einzelnen Mann. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und starrte dem Zug nach, dessen rote Schlusslichter rasch kleiner wurden. Das war nun das Ende einer Ehe, die mit so viel Hoffnung auf beiden Seiten vor 10 Jahren begonnen hatte.

Endlose Diskussionen, die meistens in Streit ausarteten. Der Kinder wegen war vor ein paar Tagen noch mal der Versuch unternommen worden, eine befriedigende Lösung für beide Seiten zu erreichen. Aber leider war es wieder im Streit geendet. So haben sie beschlossen, für drei Monate sich zu trennen, damit jeder in Ruhe alles noch mal überdenken und seine Entscheidung treffen kann. Am Abend waren sie, zum vorerst letzten Mal, in ihr Lieblingsrestaurant essen gegangen.

Sie fragte ihn, ob es ihm recht wäre, dass sie zum Italiener gingen, was er auch bejahte. Walter stand sofort auf und ging zum Telefon in der Ecke. Er bestellte zwei Plätze, in der Nische rechts den zweiten Tisch bitte, hörte sie ihn sagen und um 20 Uhr bitte. Ein zartes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Ja das war genau der Tisch von damals, als sie sich nach der Rheinfahrt das erste Mal wieder trafen. Jeder hing nun seinen Gedanken nach, die Unterredung zwischen ihnen kam nur stockend wieder in Gange. Walter meinte zu Ingeborg: "Es gab doch auch schöne Zeiten in unserer Beziehung. Oder?“ Er nahm noch einen Schluck aus dem Weinglas und sah sie fragend an. Ingeborg zögerte mit ihrer Antwort. Doch spontan kam es aus ihrem inneren heraus. "Das war zu wenig, die paar mal hin und wieder. Das langt mir nicht. Du siehst ja wie weit wir gekommen sind." Er zog heftig an seiner Zigarette und sagte: "Ja, das sehe ich ein, schon wegen der Kinder." Da fiel sie ihm erneut ins Wort: „Wenn es nur wegen der Kinder sein soll, da ist es unnötig noch darüber zu reden“, kam es spontan aus ihrem Munde. "Komm lass uns die letzten Stunden das Ganze einfach mal zur Seite schieben. Reden wir von Dir und Deinen Plänen", sagte Walter.

„Gut versuchen wir es“, meinte sie und tatsächlich schafften sie es, wie ein normales Ehepaar den Abend zu verbringen. Sie brachte es sogar fertig, ihm über sein etwas wachsendes Bäuchlein einen Witz zu erzählen. Worüber sie beide sehr lachen mussten. Sie erzählte ihm dann von ihren Plänen, wieder in den Beruf zu gehen und in einem Verlag als freie Mitarbeiterin tätig zu sein. "Weißt du, das kann ich gut von zu Hause nebenbei tun und den Kindern wird es an nichts fehlen." Sie tauschten noch mehr solcher zukünftiger Gedanken aus. Auf einmal stellten sie erschrocken fest, dass es Zeit wurde, denn ihr Zug ging um kurz vor 24 Uhr. Walter winkte der Bedienung um die Rechnung zu zahlen.

Auf dem Bahnsteig ging es dann schnell und hektisch zu, denn der Zug stand schon da. Eine kurze Umarmung und Grüße an ihre Mutter und die Kinder. Walter stand nun etwas verlassen auf dem Bahnsteig und ging langsam dem Ausgang zu. Er schüttelte den Kopf, wie konnte es nur soweit kommen? Gedankenverloren ließ er den gestrigen Abend noch mal Revue passieren. Es war einer der seltenen streitlosen Abende geworden, worüber man danach noch gerne mit seinen Gedanken nachdenkt. Sie bummelten durch die hell erleuchteten Straßen der Stadt, was sie früher so gerne taten in Richtung Bahnhof. Als sie so nebeneinander her schlenderten, sehnte sie sich danach ihn zu berühren. Das Altvertraute gab es ja noch immer zwischen ihnen.

Aber dann siegte wieder die Vernunft, schließlich war sie im Sternbild der Jungfrau geboren, und er hatte ihr sehr wehgetan. Er sollte wohl den ersten Schritt tun. Der Bahnhof kam in Sichtweite und an dem Kiosk, der ein paar Schritte links davor stand, verspürten sie, den aufgekommen Durst zu löschen. Petra die Eigentümerin desselben wollte gerade schließen, als sie ihre Freunde kommen sah. Da sie auch schon von den Problemen der beiden gehört hatte, fragte sie, ob sie Durst hätten, was beide bejahten. Da gab sie ein kleines Bier aus, was gerne angenommen wurde. Der weiße Schaum war sehr verlockend und so stießen sie auf die Zukunft an, denn auch sie hatte von den Schwierigkeiten von Walter und Ingeborg gehört. Es schmeckte ihnen trefflich und lockerte die Spannung auf. Sie verabschiedeten sich von Petra und strebten dem Bahnhof entgegen. Die Kinder waren, da Ferien sind, bei ihrer Mutter in Frankfurt, der Zug nach dort war mit ihr abgefahren. Er schüttelte wiederholt den Kopf. Musste es so kommen? Er konnte es einfach nicht fassen.

Ingeborg, eine attraktive Frau, lernte Walter vor dreizehn Jahren auf einer Rheinfahrt in Rüdesheim kennen. Er war mit ein paar Freunden auf dem Rheindampfer "Stolzenfels" zu einer Ausflugsfahrt von Mainz nach Assmannshausen gestartet. Sie waren schon ganz schön in Stimmung. Bei einem Bummel über das Schiffsdeck sah er sie, Ingeborg. Es war Liebe auf den ersten Blick, wie Beide immer wieder versicherten. Jedoch mit den Kindern, im Laufe der Jahre, kamen auch die Belastungen in seiner Ehe. Walter war Kassierer im Fußballverein, und dieses Hobby hatte er auch nach der Hochzeit beibehalten. Es war der Ausgleich für die Bürotätigkeit, die er als Amtsleiter des städtischen Liegenschaftsamtes tagtäglich zu erfüllen hatte. Ingeborg eine lebenslustige Frau, war immer fröhlich und gut gelaunt. Die beiden Kinder hatten ihrer Figur nicht geschadet. Sie versorgte das Haus und die Familie zur vollsten Zufriedenheit von ihm. Er war stolz auf seine Familie und wurde von seinen Bekannten deswegen beneidet.

Die Kinder sind nun aus dem Gröbsten raus, und so stellt auch sie einige Ansprüche. Sie würde gerne ab und zu in eine Diskothek tanzen gehen. Jedoch von Tanzen wollte Walter nicht mehr viel wissen. Auch für das Wochenende zu zweit wäre sie bereit, da ihre Mutter oder die Schwiegereltern gerne die Kinder ab und zu betreuen würden. Aber da ist der Fußball, der bei Walter eine sehr große Rolle spielt. Nicht zuletzt, dass er selbst noch in der Altherrenmannschaft, jede Woche trainierte um fit zu bleiben und um ab und zu als Ersatz eingesetzt zu werden. Zu jedem Spiel muss er auf den Sportplatz. Ingeborg ging zwar gelegentlich mal mit den Kindern mit, aber ansonsten hatte sie andere Interessen.

Es kam wie es kommen musste, sie lernte bei Gelegenheit, da sie mit ihrer Freundin Carmen unterwegs war, einen Mann kennen, der ihr all dies bot, was Walter ihr versagte. Er machte Komplimente, lud sie ins Kino ein und war immer für eine Überraschung gut. Diese Kleinigkeiten vermisste sie bei ihrem Mann am meisten. Er kam gar nicht auf die Idee, sie könnte dies vermissen. Hauptsache war, dass er seine Freiheit, den Fußballverein und die dazu gehörigen Freunde hatte mit denen er alles Mögliche unternehmen konnte. Die Familie wurde ja vorbildlich von ihnen beiden geführt, aber das Zwischenmenschliche blieb dabei auf der Strecke.

Nachdem er die Zigarette zu Ende geraucht hatte, ging er im Bahnhof dem hinteren Ausgang zu. Als er gerade die Treppe zur Tiefgarage hinunter gehen will, begegnet ihm ein guter Bekannter von früher. Das war ein Hallo. Er lud ihn spontan zu einem Bierchen ins Oberbayern ein, das ganz in der Nähe ist. Sie hatten sich schon eine lange Zeit nicht gesehen und die Freude war groß. Walter war das sehr recht, denn an seine leere Wohnung mochte er gar nicht denken. Sie hatten sich viel zu erzählen. Nachdem aus dem einen auch zwei Bier wurden, kamen sie mehr ins Gespräch nach Frau und Kinder. Da stellte sich heraus, dass Norbert schon seit ein paar Jahren von seiner Frau getrennt lebt. Walter war sehr bestürzt, da er diese Ehe für sehr glücklich gehalten hatte. Auf seine Frage: "Ist dies denn nun ein angenehmes Leben?" meinte er: "Wie man es nimmt. Niemand macht mir Vorschriften. Ich kann tun und lassen, was ich will. Meine Frau und die Kinder sind finanziell abgesichert. An Feiertagen und abends, wenn ich müde nach Hause komme, ist niemand da, mit dem ich reden könnte. Manches Mal ist dies sehr nervend und es wäre schön, wenn meine Frau wieder da wäre. Walter konnte sich noch sehr genau an Norberts Frau erinnern. Sie war eine hübsche und sportliche Frau. "Spielte Deine Frau nicht in einer Handballmannschaft", fragte er Walter.

Ja, das stimmt, aber die letzten fünf Jahre hatte sie es wegen den Buben aufgegeben. Auch meine beiden Söhne vermisse ich sehr. Jetzt wären sie in dem Alter, da könnte man mit ihnen sich über Fußball unterhalten. Sie spielten damals schon in der Jugendmannschaft. Klaus spielte Stürmer und Wolfgang Verteidiger. Es waren prachtvolle Burschen geworden. Wenn ich ehrlich bin muss ich mir eingestehen, dass ich mich damals nicht allzu viel um sie gekümmert hatte". Er machte ein sehr bekümmertes Gesicht und gab ehrlich zu, dass dies sein größter Fehler gewesen sei. „Der Verein verlangte zu viel Freizeit von mir, die ich ihm auch noch gerne gab. Ich spielte ja noch aktiv in der Mannschaft.

Heute bereue ich dies sehr.“ Walter meinte zu ihm, dass er es doch versuchen sollte mit seiner Familie wieder Kontakt aufzunehmen. Er bestätigte ihm, dass sie sich zwar in größeren Abständen sehen würden, aber leider ... er blieb ihm, das Weitere schuldig. Walter steckte sich eine neue Zigarette an und schaute dem Rauch gedankenverloren nach. Wie wird das bei mir dann sein? Sitz ich dann nur in den Kneipen rum und warte, dass ich einen Gesprächspartner finde, damit ich nicht die Abende alleine Verbringen muss? Das sind ja schreckliche Aussichten. Walter vermied es dem Bekannten von seinen Schwierigkeiten zu erzählen, denn Norbert hatte mit seinen Problemen Genug zu tun. Er war nun sehr nachdenklich geworden. Dachte an seine Fehler, immer stur, nur an sich gedacht zu haben. An seinem Fußball hing er sehr, da spielte die Familie nur die zweite Geige. Als er zu Hause angekommen war und die Hautür aufschloss, stand für ihn fest.

Er würde um den Fortbestand seiner Ehe kämpfen und nicht den Kopf in den Sand stecken. "Am Samstag fahr ich nach Frankfurt", sagte er leise zu sich selbst und zog die Tür zu.

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